IndyCar-Debüt Fernando Alonso: Die ersten Runden
Mehr als gut zehn Runden durfte Marco Andretti nicht fahren, um den Orange-farbenen Dallara-Honda für Fernando Alonso einzufahren – so schreibt es das Reglement vor.
Wenn alles optimal funktioniert, wird der Formel-1-Weltmeister von 2005 und 2006 heute seinen Rookie-Test absolvieren. Für 2017 müssen die Indy-Neuling zehn Runden in einem Bereich zwischen 205 und 210 Meilen pro Stunde fahren (330 bis 338 km/h), dann fünfzehn Runden im Fenster zwischen 210 und 215 Meilen (338 bis 346 km/h) sowie fünfzehn Runden über 215 Meilen.
Hier geht es nicht um mangelnden Respekt vor einem Weltmeister, den Rookie-Test muss jeder absolvieren.
Rennlegende Mario Andretti sagt: «Einer der besten Ratschläge, die wir Fernando mit auf den Weg geben können – korrigier’ einen Fahrfehler nicht zu stark. Denn dann kann das Auto auf die andere Seite ausbrechen, und schon bist du geradeaus auf dem Weg in die Mauer. Fernando soll sich in aller Ruhe an die Geschwindigkeiten gewöhnen. Der Rookie-Test ist eine Gelegenheit, Schritt um Schritt auf Tempo zu kommen und ein gutes Gefühl für Auto und Strecke aufzubauen.»
Auch Johnny Rutherford, wie Andretti eine Ikone des US-amerikanischen Rennsports, sagt: «Wer glaubt, er kann hier auf die Bahn gehen und der Welt zeigen, wo der Hammer hängt, der wird von der Strecke gebissen. Zum Glück ist Fernando ein schlauer Bursche, diesen Fehler wird der Spanier gewiss nicht machen. Aber ich habe es oft genug erlebt.»
Lustig, wie die IndyCar-Legenden Johnny Rutherford und Mario Andretti sich ein wenig kabbeln, wenn es um ein ideal liegendes Auto fürs Indy 500 geht. Rutherford (Sieger 1974 und 1976 mit McLaren, 1980 mit Chaparral) und Andretti (Sieger 1969) sind sich da überhaupt nicht einig.
Rutherford: «Ein wenig Übersteuern kann nicht schaden. Aber nicht zu viel. Dann bist du richtig schnell.»
Andretti: «Finde ich überhaupt nicht. Du brauchst ein Auto, das leicht untersteuert.»
Rutherford lacht: «Wir waren uns schon früher nicht einig.»
An der Box auch der frühere Indy-500-Sieger Gil de Ferran, der das grösste Rennen der Welt 2003 für Roger Penske gewann, dazu 2000 und 2001 die Meisterschaft. Der 49jährige Brasilianer sagt: «Ich sehe einen Fernando Alonso, der seine tollen Erfolge nicht nur aufgrund seines Talents errungen hat. Du spürst, er saugt hier alle Eindrücke in sich auf, seine Arbeits-Ethik macht mir grossen Eindruck, und ich habe schon ein paar grosse Rennfahrer an der Arbeit gesehen. Was den Speed angeht, so mache ich mir um Fernando überhaupt keine Sorgen. Ein toller Racer ist ein toller Racer, ob er nun in der Formel 1 fährt oder hier.»
Mario Andretti ergänzt: «Mein Sohn Michael hatte immer geplant, in Indy sechs Autos einzusetzen, da hat noch keiner von Fernando geredet. Er setzt vier Autos in der kompletten Meisterschaft ein. Er ist sich also ein grosses Team gewöhnt, von der Infrastruktur wird alles perfekt sein, da bin ich ganz sicher.»
Marco Andretti war beim Einfahren des Dallara-Honda mit dem Wagen nicht ganz happy: zu viel Untersteuern. Das wollte der Enkel von Mario zuerst aussortieren, bevor er Alonso das Lenkrad übergeben will.
Jenson Button meldete sich derzeit aus dem McLaren-Werk: «Hallo, Jenson hier, dein früherer Stallgefährte! Ich hoffe, du hast viel Spass da drüben, bleib sauber und gewinn das Ding! Ich werde inzwischen deinen Platz in Monaco warm halten und dich hoffentlich mit ein paar WM-Punkten neidisch machen!»
Marco Andretti unterrichtete Alonso, wie sich der Wagen anfühlt, dann machte sich der Spanier bereit.
Marco meinte, während sich Alonso bereitmachte: «Ich wollte einfach, dass der Wagen eine gute Balance hat, so dass Fernando Vertrauen ins Auto aufbauen kann. Der Wagen fühlt sich recht gut an. Wir fahren so viel Abtrieb wie im Rennen, das Auto klebt gut auf der Bahn. So etwas willst du für den ersten Einsatz. Fernando muss eine Menge lernen, aber er stellt die richtigen Fragen. Alonso ist ein Vollblut-Racer, da mach ich mir keine Sorgen. Wir haben noch gelacht – fahr einfach nicht aus lauter Gewohnheit aus deinen Formel-1-Jahren hier in die falsche Richtung!»
«Die Verhältnisse sind gut, nach diesem Tag wird Fernando recht verdorben sein. Denn das Auto baut tüchtig Abtrieb auf, und er hat die ganze Rennstrecke für sich alleine. Diesen Luxus wird er später nicht mehr haben.»
Um 10.55 Lokalzeit Uhr ging Fernando Alonso auf die Bahn – und hörte gar nicht mehr auf zu fahren. Nach wenigen Runden war er auf 208, 209 Meilen.
Mario Andretti lobt: «Er tut genau, was er tun muss. Er fährt in Ruhe seine Runden, die Linien sind sehr konservativ und sauber. Er hat sich von Runde zu Runde gesteigert, ohne ein Rad falsch zu setzen. Sehr eindrucksvoll.»
Das Team will Vollgas geben: Der letzte Wetterbericht besagt, dass es in drei Stunden in Indy regnen wird.
Alonso blieb nur wenige Minuten an der Box, um 11.06 (Lokalzeit) ging Fernando erneut auf die Bahn.
Über Funk erhielt er die Anweisung, dass er ein wenig Tempo aufnehmen kann, um zwischen 210 und 215 Meilen zu fahren. Will heissen: Phase 1 des Rookie-Tests ist abgehakt.
Mario Andretti: «Es war schön zu sehen, dass Fernando sofort reagierte und 213er Runden fuhr.»
Dann aber wurde das zweite Rookie-Segment unterbrochen – das Auto des Spaniers brauchte Sprit! Im Reglement steht, dass Fernando fünfzehn Runden im zweiten Speed-Fenster fahren muss, aber es ist nicht vorgeschrieben, das an einem Stück zu tun.