11. GP-Team: Mike Gascoyne erfindet Zweisitzer neu
Der langjährige Minardi-Teambesitzer Paul Stoddart nennt das Zweisitzer-Projekt «das elfte Team der Formel 1». Tatsächlich hat «Formula One Management» (FOM) in der Boxengasse eine komplette Infrastruktur zum Einsatz des Renners aufgebaut. Hier stehen nicht nur die beiden Zweisitzer. Hier können die Gäste der «Formula 1 Experience» auch einen Blick hinter die Kulissen werfen, was zum Einsatz eines GP-Renners alles notwendig ist.
Der Engländer Mike Gascoyne (54) hat als rechte Hand des unvergessenen Dr. Harvery Postlethwaite (am 15. April 1999 einem Herzanfall erlegen) jenen Tyrrell 026 entworfen, auf dessen Design die späteren Minardi-Zweisitzer von Paul Stoddart beruhen.
Gascoyne kehrt erstmals seit seiner Rolle als Technischer Direktor bei Caterham 2012 ins Formel-1-Fahrerlager zurück. Zuvor hatte er diese Rolle auch bei Jordan, Benetton, Toyota und Force India inne.
Formel-1-Grossaktionär Liberty Media will mit der «Formula 1 Experience» den Besuch der GP-Fans aufpeppen, zunächst mit einem limitierten Programm 2017. Das wird aber 2018 ganz anders. Dann sind die Zweisitzer fester Bestandteil des Programms, mit Einsätzen an allen 21 GP-Wochenenden!
Alle reden wir immer vom Minardi-Zweisitzer – denn die Autos fuhren meist in den Farben des einst von Giancarlo Minardi gegründeten Rennstalls, der später vom Melbourner Paul Stoddart inhaliert wurde. Stoddart gab den Auftrag zum Bau der Zweisitzer.
Aus seinem Team ging Ende 2005 Toro Rosso hervor. Aber im Grunde müssten wir eigentlich vom Tyrrell-Zweisitzer sprechen, denn der Renner basiert auf jenem GP-Auto, mit dem in der Formel-1-Saison 1998 der Japaner Toranosuke Takagi und der Brasilianer Ricardo Rosset fuhren.
Es war die letzte Saison von Tyrrell, bevor aus dem Rennstall «British American Racing» (BAR) wurde. Kurios: Aus BAR wurde das Honda-Werksteam, aus dem Honda-Werksteam, als sich die Japaner 2008 aus der Formel 1 verabschiedeten, BrawnGP, wo Jenson Button 2009 Weltmeister wurde, dann ging das Team in Besitz von Mercedes über, ein Programm, das mit den WM-Titeln 2014 bis 2016 gekrönt wurde.
Zurück zu Paul Stoddart, der nach dem Verkauf von Minardi an Red Bull das Zweisitzerprogramm stets weiterbetrieben hat. Für ihn war klar: Wenn es darum geht, den ungewöhnlichen Rennen für 2018 flott zu machen, dann kann es nur einen für diesen Job geben – Mike Gascoyne.
Mike erzählt: «Das wirklich Witzige ist, dass ich für Paul Rennen gefahren habe, in der BOSS-Serie für historische GP-Renner, das war mit einem Tyrrell 022. Und ich fuhr sogar den Zweisitzer, das war in Donington und hat unheimlich Spass gemacht.»
«Paul hat mich dann angerufen und gefragt, ob ich mich um die technische Seite der Zweisitzereinsätze kümmern wolle. Es schliesst sich ein Kreis, weil ich damals half, den Tyrrell zu entwerfen und weil ich selber den Zweisitzer bewegt habe.»
Seit 1998 hat sich die Formel 1 rasant entwickelt. Der Zweisitzer erzeugt zwar wegen des herrlichen Saugmotor-Sounds lange Hälse, wo immer er gefahren kommt, aber das Design ist gemessen an den heutigen Rennern verstaubt. Mike weiter: «Wir wollen den Wagen einen etwas moderneren Look verpassen. Aber es gibt auch andere Bereich, wo ich den Hebel ansetze, etwa bei der Standfestigkeit. Wir werden also dem Auto ein neues Aerodynamikpaket spendieren, mit Flügeln vorn und hinten, die dem aktuellen Reglement entsprechen, dazu mit Luftleit-Elementen. Wir bauen zudem zwei ganz neue Chassis, um auch etwas kräftiger gebaute Passagiere ins Auto zu bringen. Wir werden eine völlig frische Elektronik haben, das war bei den Einsätzen der grösste Sorgenpunkt bezüglich der Zuverlässigkeit. Wir werden auch einen Schirm einbauen, so dass der Passagier besser erkennen kann, wo auf der Bahn er sich befindet. Wir wollen zudem verschiedene Kameras einbauen, so dass der Gast die Möglichkeit erhält, Filmaufnahmen von sich im Zweisitzer mit nach Hause nehmen zu können.»
Ein altes Problem des Zweisitzers: Der Passagier sieht unmittelbar hinter dem Überrollbügel des Fahrers nicht so viel. Mike: «Das wollen wir korrigieren. Wir wollen die Wand zwischen Pilot und Passagier verkleinern, ohne die Sicherheit zu kompromittieren.»
«Diese Autos sind über all die Jahre vor allem deshalb so gut gelaufen, weil sie überaus stark konzipiert worden sind. Wir werden zudem ganz andere Mittel zur Verfügung haben, was den Chassisbau angeht. Früher haben wir das noch mit dem Taschenrechner kalkuliert, heute befindet sich die Belastungsanalyse auf einem sehr hohen Niveau.»
Mike Gascoyne weiss: «21 Rennwochenenden, das wird auch für uns ein stattliches Programm, was die Logistik angeht. Wir fahren erheblich weniger als ein normales Team, aber wir haben auch keine Motoren oder Getriebe, die für den Einsatz von vier bis sechs GP-Wochenende entworfen worden sind. Allein die Kontrolle aller Bauteile, was ihre Lebensdauer betrifft, ist eine gewaltige Aufgabe. Wir müssen kein möglichst schnelles Auto bauen, sondern ein möglichst sicheres, das zuverlässig läuft. Wenn du pro Tag nur kurze Zeitfenster im Tagesprogramm hast, um Gäste auf die Bahn zu schicken, dann macht es keinen guten Eindruck, wenn der Wagen nicht anspringt oder wenn er liegen bleibt.»
Es ist nicht geplant, dass der Zweisitzer anders motorisiert wird. Mike erklärt: «Die neuen Antriebseinheiten sind unfassbar komplex, alleine die Hydraulik erfordert einen Riesenaufwand, vom Rest ganz zu schweigen, das würde alles die Kosten komplett ausurfern lassen.»
Zudem würden wir so den grandiosen Sound verlieren. Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner sagt: «Den besten Sound der modernen Formel 1 bietet ausgerechnet ein uraltes Auto – der Zweisitzer mit dem V10-Saugmotor im Heck. Wenn du die Gesichter der Fans siehst, dann weisst du, was das Heulen für sie bedeutet.»