Toto Wolff, Mercedes: Lewis Hamilton, so gehts weiter
Der Wiener Toto Wolff hat zwei Gesichter. Einerseits ist er der knallharte Chef des Formel-1-Rennstalls von Mercedes-Benz, 2017 zum vierten Mal in Folge Weltmeister geworden. Andererseits kann er über den Tellerrand des GP-Sports hinausdenken und sich auch selber mal tüchtig auf die Schippe nehmen.
Zu einem Interview vor der Formel-1-Saison 2018 zeigt er zum Beispiel ein Zeugnisblatt, auf dem wir nicht alles für bare Münze nehmen sollten. Da steht über den 46-Jährigen, der seit 2013 die Gechicke des Teams führt:
Rennen: 98
Siege: 66
Weltmeisterschaftstitel: 4
Flugmeilen: 1.375.000
Hotelnächte: 1250
Stunden am Telefon: mehr als 7744 (was zufälligerweise den Startnummern von Valtteri Bottas und Lewis Hamilton entspricht)
Zerstörte Ingenieurs-Tisch: 1
Gebrochene Knochen: 7
Hirnerschütterungen: 3
Verbrachte Stunden mit Niki Lauda: zu viele
Toto, wie ist im Werk die Stimmung vor der Saison?
Die Stimmung ist gut. Die Stimmung ist vor allem deswegen so gut, weil wir zum ersten Mal den Motor im neuen Rennwagen angelassen haben. Das sind immer aufregende Tage, denn nun fügt sich zusammen, was über Monate entworfen und konstruiert worden ist. Das Auto wird gewissermassen lebendig.
Was kannst du in Sachen Fortschritten mit dem neuen Wagen sagen?
Es läuft nie so reibungslos, wie wir das gerne hätten. Du versuchst mit dem neuen Renner immer, die Grenze neu zu definieren, den Wagen noch leichter zu machen und mehr Speed herauszuholen. Wir hatten einen guten Winter, es gab keine Dramen. Aber du spürst auch die Anspannung.
Du selber hast den letztjährigen Wagen als Diva bezeichnet. Welche Schritte sind ergriffen worden, um die Abstimmung des neuen W09 nicht ganz so knifflig zu machen?
Einige Charaktereigenschaften der Diva haben uns ganz gut gefallen! Der W08 vom vergangenen Jahr war das schnellste Auto in der Formel 1. Wir haben damit am meisten Pole-Positions erobert und auch am meisten Rennsiege. Also mussten wir vorsichtig sein, nicht die guten Aspekte des Autos zu verlieren, wenn du gleichzeitig die weniger guten Aspekte korrigieren willst. Wir haben das gründlich analysiert. Aber letztlich werden wir erst beim Wintertest herausfinden, ob sich die Diva ein wenig besser benimmt.
Wir haben 2018 gleich 21 WM-Läufe, mehr gab es in der GP-Historie nie, und wir haben auch erstmals drei Grands Prix an drei aufeinander folgenden Wochenenden. Wie nimmt der Rennstall dieses Mammutprogramm in Angriff?
Das ist tatsächlich sehr schwierig. Denn wir dürfen nicht vergessen: Wir haben nicht nur die 21 Rennen, wir haben alle auch einen normalen Job, wenn keine Rennen sind. Ein solches Programm ist für das Team als Ganzes und für alle Angestellten sehr belastend. Ich finde, wir sollten nicht mehr viel weitergehen als mit diesen 21 Rennen. Auch deshalb, weil ich der Ansicht bin – noch mehr Grands Prix, das verwässert die Exklusivität eines einzelnen Rennens. Wir hatten im vergangenen Jahr schon 20 Rennen und spürten: Wir kommen da langsam an die Grenze der Belastbarkeit.
Gibt es Rennen, auf die du dich besonders freust?
Ich freue mich auf alle, auch wenn die ganze Reiserei auf etwas eher Langweiliges hinausläuft: Du landest an irgendeinem Ort der Welt am Donnerstag und für die folgenden drei Tage pendelst du lediglich zwischen einem Hotel und der Rennstrecke. Aber klar sind nicht alle Läufe gleich. Ich werde das Rennen in Malaysia vermissen, weil wir in Kuala Lumpur Freunde gefunden haben (Titelsponsor Petronas, die Red.). Wir kehren nach Deutschland zurück, was für Mercedes natürlich sehr wichtig ist. Ich mag Monza, weil ich das dolce vita der Italiener mag. Ich radle dort jeweils zur Piste, und die Fahrt am Morgen durch den Königlichen Park ist einmalig.
Und dann haben wir wieder einen Grossen Preis von Frankreich.
Genau. Ich kenne die Strecke von Paul Ricard sehr gut, da bin ich selber Rennen gefahren. (Beginnt zu schmunzeln.) Es gibt sicher schlimmere Orte auf der Welt als Südfrankreich im Sommer.
Ihr habt die Möglichkeit, 2018 den fünften Titel in Folge bei Fahrern und Marken einzufahren. Denkst du an so etwas?
Nein, weil am Anfang einer Saison alles auf Null gestellt ist. Wir sind sehr stolz auf unsere vier Titel. Aber eine Garantie für einen fünften ist das nicht. Es ist eher Motivator, da vorne zu bleiben.
Wie intensiv wird der Kampf?
Schwer zu sagen. Ferrari hat 2017 alle verblüfft. Dieses Mal ist das Reglement weitgehend stabil geblieben, aber wir erhalten eine neue Generation von Reifen. Die Wahrheit ist: Wir wissen es nicht.
Wie laufen die Vertragsverhandlungen mit Lewis Hamilton?
Lewis ist ein so wichtiger Stützpfeiler unseres Rennstalls geworden, da liegt es auf der Hand, dass wir mit ihm weiterarbeiten wollen. Die Verhandlungen halten an und verlaufen sehr positiv. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Unterschrift auf dem Vertrag steht.
Wie steht es mit der Arbeit eurer Junioren Pascal Wehrlein, Esteban Ocon und George Russell?
Jedes Jahr setzen wir für die Junioren gewisse Ziele. 2017 haben sie diese Ziele erreicht. Aber wer sich für einen Silberpfeil qualifizieren will, muss schnell und fehlerfrei sein und in seinem heutigen Team überzeugen. Wir schauen uns das alles an.
Was prickelt bei dir am meisten bezüglich der neuen Saison?
Am spannendsten finde ich derzeit, sich wieder der Konkurrenz zu stellen und herauszufinden, ob wir unseren Wagen besser verstanden haben. Sind wir gut genug, um wieder zu gewinnen?
Worauf können sich die Fans freuen?
Auf einen harten Kampf zwischen drei Rennställen. Die Regeln sind so gut wie gleich, die Motoren gleichen einander immer mehr an. Es wird auch interessant sein zu sehen, was McLaren mit einem Renault-Motor anstellt. Renault wird als Werksteam vorrücken. Force India ist seit einigen Jahren sehr weit, und von Pérez gegen Ocon ist noch mehr Feuerwerk zu erwarten. Ich traue auch Williams Überraschungen zu.