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Liberty Media-Vision 2021: Gut gemeint ist nicht gut

Von Mathias Brunner
In Abu Dhabi 2017 gabe es für Chase Carey (links) Kuchen, nun präsentierte der Amerikaner viel Zuckerwatte

In Abu Dhabi 2017 gabe es für Chase Carey (links) Kuchen, nun präsentierte der Amerikaner viel Zuckerwatte

​Formel-1-CEO Chase Carey hat in Bahrain den GP-Teamchefs seine Vision 2021 präsentiert. Nicht alle haben Freude daran. Vor allem drängt sich der Gedanke auf – gut gemeint ist nicht unbedingt gut.

Samstagmorgen auf dem Weg zum Bahrain International Cicuit. Ich stelle das Radio ein. Und was wird gespielt? «Sweet Home Alabama» von Lynyrd Skynyrd. Ausgerechnet! Letztlich passt das prima zur heutigen Formel 1. Der Grand-Prix-Zirkus gastiert in Arabien, aber der Soundtrack stammt aus Amerika.

Die Band singt: «Big wheels keep on turning», grosse Räder drehen sich weiter und weiter – ist das nicht ein schönes Sinnbild für unseren Sport?

Das Formel-1-Rad dreht sich seit 1950, bis in die 70er Jahre mit gemütlicher Gelassenheit. Dann kam Bernie Ecclestone. Der frühere Gebrauchtwagenhändler erkannte, dass die Formel 1 das Potenzial birgt zu einem weltumspannenden Milliarden-Spektakel. Ecclestone ist der Baumeister der modernen Formel 1, dafür gebührt ihm auf ewig Anerkennung. Nur Olympische Spiele und die Fussball-WM fesseln ein ähnlich grosses Publikum.

Unter Ecclestone verkrustete der Grand-Prix-Sport jedoch, der Schritt ins digitale Zeitalter war ein zielloses Gestolper.

Gut ein Jahr nun haben wir eine neue Formel-1-Führung. Der Ecclestone der Neuzeit heisst Chase Carey, als F1-CEO von Grossaktionär Liberty Media will der US-Amerikaner mit dem charakteristischen Schnauzer dem Sport frischen Schub geben.

In Bahrain hat Carey die Katze aus dem Sack gelassen: seine Vision für die neue Ära ab 2021. Denn Ende 2020 erlischt die heutige Formel-1-Verfassung namens Concorde-Abkommen, das ist jener komplexe Vertrag, der die sportlichen und wirtschaftlichen Zusammehänge regelt im Dreieck FIA, Formula One Management, Rennställe – das letzte Abkommen, das Bernie Ecclestone ausgehandelt hat.

Was am Freitag in Bahrain der Öffentlichkeit präsentiert worden ist, entspricht einem US-amerikanischen Klischee: Viel Oberflächlichkeit, säuselnde Worte, aber wenig Konkretes. Wir durften einem Blick auf eine Hollywood-Fassade werfen, statt in den Weinkeller eingeladen zu werden. Wer nur die entsprechende Mitteilung von Liberty Media betrachtet, der seufzt – verdammt wenig Fleisch am Knochen!

Das liegt daran, dass Chase Carey und seine Kollegen die Vision 2021 nicht in aller Öffentlichkeit zerpflückt sehen wollen. Die Teamchefs sprachen über die wesentlich detailliertere Präsentation in homöopathischen Dosen – sie haben sich zum Schweigen verpflichtet. Diese Vereinbarung ist auch der Grund, warum wir bislang nichts gehört haben vom sonst so mitteilungsfreudigen Ferrari-Präsidenten Sergio Marchionne. Wer auch in Zukunft Boni-Zahlungen in Aussicht gestellt erhält, der kann bei 50 Millionen auch mal aufs Maul hocken.

Was gut ist und was nur gut gemeint

Die Vision 2021 drängt den Satz auf: Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Stochern wir in der Zuckerwatte von Liberty Media also mal ein wenig nach dem Holzustecken.

Chase Carey sagt: «Die Formel 1 ist reich an Historie. Wir wollen dieses Erbe schützen, pflegen und vertiefen. Wir wollen einen attraktiveren Sport, mit dem Fan im Mittelpunkt, profitabel für die Rennställe, technisch hochstehend.»

Kein Marketing-Experte hätte das eleganter formulieren können, dann endlich ein Satz mit ein wenig Tiefgang.

«Die Motoren werden einfacher, lauter, kraftvoller, die Notwendigkeit von Strafversetzungen soll entfallen.»

Konkret heisst das: Die Antriebseinheiten werden serienrelevant bleiben, also Hybridtechnik aufweisen. Der Anteil kinetischer Energie wird verstärkt, der zweite elektrische Generator am Lader (die so genannte MGU-H) entfällt. Dieser Teil der Energierückgewinnung war nicht nur sündhaft teuer, er würgte auch einen interessanten Sound ab. Das ungeliebte Kraftstofflimit wird gelockert. Das Grundkonzept hingegen bleibt – ein 1,6-Liter-V6-Turbomotor mit Einzel-Lader. Weil die Hersteller keinen besseren Vorschlag unterbreitet haben.

Damit plumpsen wir hart auf den Boden der Realität zurück. Denn die Formel-1-Führung hatte auf der Motorenschiene die Beweglichkeit eines Strassenbahnfahrers. Ein komplett neues Motorkonzept war aus finanziellen Gründen undenkbar. Die Hersteller fordern eine Brücke zur Serie, also bleibt die Energierückgewinnung.

Ex-GP-Pilot Marc Surer meint: «Die Grossrichtig stimmt. Wenn die teure MGU-H wegfällt und die Motoren um 3000 Touren höher drehen, wird der Sound interessanter und die Triebwerke erzeugen mehr Dampf. Es hilft auch, wenn die Fahrer nicht mehr spritsparend fahren müssen. Formel-1-Rennen als Benzinsparwettbewerb, nein danke.»

«Diese Motoren sind wahre Wunderwerke an Effizienz, aber seien wir mal ehrlich – diese Nachricht ist beim Konsumenten nie angekommen. Ich frage mich bei den Motoren nur, und das wird von Liberty Media gar nicht erklärt: Wenn die Triebwerke härter belastet werden, erhalten wir dann pro Jahr mehr Motoren als nur drei?»

«Was ich nicht glaube – dass durch das neue Reglement neue Hersteller kommen. Ich bin auch nicht der Meinung, dass wir mehr als vier Motorenhersteller brauchen. Denn die Historie hat gezeigt: Wenn du ein halbes Dutzen Hersteller hast, dann merkt die Hälfte davon nach kurzer Zeit: Wir gewinnen hier keinen Blumentopf. Und schon sind sie wieder weg.»

Liberty Media weiter: «Die Kosten werden durch vereinheitlichte Teile gesenkt, die Autos sollen aber ihre eigene Identität behalten. Ein Kostendeckel kommt, obgleich die Formel 1 ihre Position als Königsklasse behalten wird.»

Hier wird elegant weggelassen, was den Top-Teams um die Ohren geknallt worden ist: Ein Budgetdeckel von 150 Millionen Dollar im Jahr.

Gemessen am heutigen Budget eines Top-Teams käme dies einer Verringerung um glatt die Hälfte gleich. Nicht in diesen 150 Millionen enthalten sind Fahrergehälter oder das Salär leitender Angstellter, auch das Marketing wird ausgeklammert.

Kostendeckel: Theorie und Praxis

Ein Kostendeckel, das gab es in der Formel 1 noch nie. Marc Surer lobt: «Das ist der richtige Weg, denn allen muss klar sein – so kann es finanziell in der Formel 1 nicht weitergehen. Sonst hätten wir am Ende nur noch Werksteams, und wenn einige Hersteller entscheiden, dass die Formel 1 nicht mehr ins Marketing-Konzept passte oder sie wegen Erfolglosigkeit verschwänden, stünde der Sport vor einem echten Problem.»

«Die Realität ist: Ein Team wie Williams hängt am Tropf der Familie Stroll und der Sponsoren von Sergey Sirotkin. Ohne dieses Geld könnte Williams glatt zusperren. Wir brauchen aber unbedingt Privat-Teams in der Formel 1, denn nur mit Werksrennställen geht es nicht.»

Zum Überleben gehört, dass die Rennställe aus dem Preisgeldtopf angemessen entschädigt werden. Liberty Media weiter: «Die Preisgeldvergabe wird ausbalanciert und basiert auf Verdienst durch Rennergebnisse. Der historische Wert wird jedoch weiterhin geehrt.»

Übersetzung: Ein Team wie Ferrari erhält weiter Sonderzahlungen. Allerdings mit Einschränkungen: Boni dürfen nicht dazu genutzt werden, die Entwicklung des Rennwagens voranzutreiben, sie werden vielmehr als Gewinn in die Buchhaltung einfliessen.

Nach Liberty-Media-Berechnungen könnte Ferrari 2021 in der Lage sein, einen Gewinn in dreistelliger Höhe zu erwirtschaften. Mit solchen Argumenten wird der Blutdruck von Sergio Marchionne gesenkt.

Neu auch: Am Preisgeldtopf laben sich Auto- und Motorhersteller. Motorhersteller werden ab 2021 vergütet, weil sie Kundenteams mit Triebwerken ausrüsten und die ganzen Entwicklungskosten tragen. Auch dies ein Argument, um Hersteller wie Mercedes, Ferrari oder Renault bei der Stange zu halten.

Marc Surer weiter: «Der verblüffendste Aspekt des Liberty-Media-Papiers ist für mich, dass auf die Drohung von Ferrari reagiert worden ist – mit einem finanziellen Zückerchen. Das ist ein wirklich kluger Schachzug, um den feurigen Marchionne zu besänftigen. Die Motorenhersteller zu entschädigen, ist ebenfalls eine sehr intelligente Lösung. Die Nachricht von Liberty Media lautet hier: Wir sind euer Freund, nicht euer Feind.»

Aber kann ein Kostendeckel wirklich funktionieren?

«Ja», glaubt Marc Surer. «Die Buchhaltung ist einsehbar, das Budget transparent. Ich weiss, dass viele Fans glauben – irgendwo wird ein Hersteller wie Mercedes gewisse Entwicklungen in einer Nebenabteilung verstecken. So lange das nicht ausufert, sage ich: nicht so schlimm, ein wenig Spielraum darf bleiben. Vorbei aber die Zeiten, in welchen ein Top-Team drei Mal so viel Geld verbrennen kann wie ein Mittelfeldrennstall. Das ist das Wichtige.»

Nicht alle Formel-1-Fans sind davon überzeugt. Einige geben zu bedenken – wird hier also das Bescheissen legalisiert? Nicht ganz. Liberty Media will dem Kostendeckel streng überwachen, Verletzungen ziehen drastische Strafen nach sich, das wurde den Teamchefs in Bahrain klargemacht.

Der Kostendeckel von 150 Millionen Dollar ist für viele Teamchefs eher Vorschlag als Ziel. Auch viele Fans fragen sich zu Recht: Wie soll das von einem Team wie Mercedes erreicht werden, bei dem heute 1000 Fachkräfte auf der Lohnliste stehen?

Liberty Media will das mit einer stufenweisen Verringerung erreichen, über einen Zeitraum von zwei Jahren.

Mercedes-Teamchef Toto Wolff relativiert: «Bis 2021 ist noch ein weiter Weg. Das war jetzt der Anfang von Verhandlungen. Was den Budgetdeckel angeht – vielleicht können wir durch Verhandlungen auf eine vernünftige Zahl kommen. 150 Millionen Dollar jedenfalls halte ich für nicht machbar.»

Selbst wenn sich die Top-Teams und Liberty Media beim Kostendeckel auf halbem Weg treffen: Am Stellenabbau werden die grossen Rennställe nicht vorbeikommen. Also Mercedes, Ferrari, Renault und Red Bull Racing, wohl auch McLaren. Für die restlichen Rennställe sollte das kein Problem sein.

Liberty Media verfällt dann wieder ins Schwadornieren: «Die Autos müssen besseren Sport erlauben, vor allem was das Überholen angeht. Während das technische Niveau überragend bleibt, soll das Können des Piloten in den Mittelpunkt rücken. Die Autos sollen ausdrücklich unterscheidbar sein durch Leistungsfähigkeit von Aerodynamik, Chassis und Motor. Bereiche, die für den Fan oder für den Sport wenig relevant sind, werden vereinheitlicht.»

Verpasste Chancen

Wie das alles im Detail umgesetzt werden soll, sagen die Amerikaner nicht. Marc Surer wäre ohnehin einen anderen Weg gegangen: «Um Kosten zu sparen, hätte ich den Teams aufs Auge gedrückt – ein Auto wird so homologiert, wie es zum ersten Wintertest auf die Bahn geht. Dann sind pro Saison zwei Updates erlaubt, sonst nichts. Auf diese Weise würde verhindert, dass wir bei jedem Rennen Dutzende neuer Aero-Teile haben.»

Die Vereinheitlichung von Teilen sieht so aus: Ein Rennstall wird das eigene Getriebegehäuse bauen, die Innererein aber sind bei allen gleich. Batterien oder Turbolader stammen von den gleichen Herstellern, die FIA wird dafür Bewerbungen ausschreiben.

Was Liberty Media überhaupt nicht thematisiert hat: Die mittelfristige Umstellung auf 18-Zoll-Räder. Längst fällig und ebenfalls beschlossene Sache: Ein Verbot der doofen Reifenheizdecken, deren Serienrelevant überschaubar bleibt.

Marc Surer weiter: «Was das Überholen angeht, muss ich mich über die ganze Diskussion wundern. Es wäre so einfach. Schau dir an, warum es in anderen Einsitzerklassen möglich ist, dem Vordermann zu folgen – wegen eines einfachen Frontflügels. Nur die Formel 1 hat diese unfassbar zerklüfteten Mehrteiler. Der Frontflügel ist die Wurzel allen Übels, weil er vorgibt, was aerodynamisch am restlichen Auto passiert. Ich würde nur zwei Elemente erlauben, Hauptblatt und Zusatzblatt, basta, so einfach wäre das!»

Eine Altlast von Bernie Ecclestone wird entsorgt: Die Entscheidungsfindung, heute zäh wie Berghonig.

Die Formel 1 steht sich damit selber im Weg. Künftig soll einfache Mehrheit gelten, in besonders kniffligen Fällen eine Hürde von 75 Prozent Zustimmung. Damit dürften die Tage der heutigen Entscheidungskaskade aus Arbeitsgruppe, Strategiegruppe und Formel-1-Kommission gezählt sein. In der Formel 1 soll es möglich werden, schneller zu reagieren.

Formel-1-Weltmeister Damon Hill: «Für mich ist die ganze Liste von Liberty Media ein wenig abstrakt. Was mir gefallen hat – dass die Rolle des Piloten betont werden soll. Das ist elementar, wenn du die Fans begeistern willst.»

Der Weg zu einer Einigung ist von Steinen übersät. Die ersten davon sollen am 17. April weggeräumt werden – dann tagt die Strategiegruppe der Formel 1.

Mit Zuckerwatte ist dann nicht zu rechnen, eher mit Chilipulver.

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