GP-Show Red Bull Ring und Silverstone: Die Gründe
Sebastian Vettel gegen Max Verstappen in Silverstone
Ich kennen keinen Sport, der sich dermassen selber ins Knie schiesst wie die Formel 1. Ständig wird am Reglement herumgedoktert, oft nicht zum Besseren unserer Show, und wenn wir zwischendurch ein fades Rennen haben wie Ende Juni in Le Castellet, dann geht sofort das grosse Wehklagen los.
Wieso eigentlich? Ich kenne keine Fussballfans, die nach einem tristen, torlosen Gekicke zwischen, sagen wir Hannover und Augsburg fordern: «Beim nächsten Spiel müssen wir die Tore vergrössern.» Oder: «Geben wir doch dem schlechter platzierten Team einen Spieler mehr.»
Nur in der Formel 1 wird immer der Ruf noch Sofortmassnahmen laut. Wie unnötig die sind, haben die Grand-Prix-Kracher auf dem Red Bull Ring und auf der Traditionsbahn von Silverstone gezeigt. Von wegen Formel Gähn! Das war Autosport auf höchstem Niveau, mit allem, wofür wie die Formel 1 lieben – packende Rad-an-Rad-Kämpfe, ein Sieger, der sich seinen Triumph hart erkämpft hat, dazu als Rahmenhandlung Dramen mit Feindberührung. Der Formel 1 geht es gut, danke der Nachfrage.
Ich kenne Menschen, die sich trauen zu sagen: «Die Formel E wird der Formel 1 den Rang ablaufen.» Ach wirklich? Wenn ich mir ansehe, was die GP-Fahrer in der Steiermark und auf dem englischen Flugfeld gezeigt haben, und das mit dem Autoscooter-Niveau der Formel-E-Piloten in New York vergleiche, dann wird das kaum passieren.
Keiner kann das schönreden: Der Grosse Preis von Frankreich war auch aus meiner Sicht stinklangweilig. Aber solche Rennen gibt es zwischendurch nun mal. Wenn Sofortmassnahmen gefordert werden, dann darf ich gerne eine anbieten: Die Formel 1 sollte nur noch auf Strecken antreten, die eben eine gewisse Spektakelgarantie garantieren – weil sie Zweikämpfe begünstigen.
Weltmeister Lewis Hamilton sagt: «Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich gewisse Rennen als Knirps im Fernseher mitverfolgte und dabei prompt eingeschlafen bin. Und ich bin mir sicher, dass es auch heute Leute gibt, die eindösen und sich den Wecker stellen, um pünktlich zum Zieleinlauf wieder wach zu sein. Ich habe das jedenfalls früher so gemacht.»
Ferrari-Pilot Charles Leclerc: «Wir haben deshalb gute Rennen in England und Österreich gehabt, weil du auf diesen Strecken überholen kannst. Die Rennstrecke spielt eine elementare Rolle dabei, ob wir einen spannenden Grand Prix serviert bekommen. Es ist wirklich einfach: Wir brauchen mehr dieser Art.»
Nochmals Lewis Hamilton: «Vielleicht zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des Sports habe ich den Eindruck ¬– man hört wirklich darauf, was wir Fahrer zu sagen haben. Und niemand weiss besser, auf welchen Pisten wir eine gute Show liefern können als wir. Wenn wir künftig Strecken aussuchen, dann müssen wir darauf achten, ob das Pistenlayout guten Sport begünstigt; dann sollten wir vielleicht Pisten aussortieren, die unterhaltsame Rennen unterbinden. Neue Strecken können durchaus coole Grands Prix erzeugen, siehe Austin, Texas.»
«Die Mächtigen in diesem Sport müssen sich entscheiden: Sollen wir ein Rennen in einem bestimmten Land haben, nur einfach deswegen, um dort vertreten zu sein? Oder sollen wir nicht eher jene Bahnen bevorzugen, auf welcher wir den Fans zeigen können, wie faszinierend unser Sport ist?»
«Wir müssen auch beim Umbauen aufpassen. Ich fand den langen Hockenheimring immer grandios. Die neue Strecke ist auch eindrucksvoll, aber eben nicht mehr einzigartig. Der alte Hockenheimring erzeugte Spektakel, dann wurde er geändert. Ich hoffe, Rennstreckenbetreiber sind offen für unsere Vorschläge.»
GP-Sieger Valtteri Bottas: «Gewisse Rennstrecken werden alleine aus politischen oder finanziellen Gründen gewählt, statt darauf zu achten, ob wir dort unsere wahren Fähigkeiten beweisen können. Das ist nicht schön. Wir lieben Rennsport, wir lieben Grands Prix wie in Österreich und England. Und die Fans lieben sie genauso. Ich hoffe, es wird in Zukunft mehr auf uns gehört.»
Die Strecken sind das eine, die Autos das andere. Längst steht fest, dass die neuen Formel-1-Renner ab 2021 simplere Frontflügel und vereinfachte, seitliche Luftleit-Elemente haben werden. Vor allem jedoch soll über den Unterboden mehr Abtrieb erzeugt werden. Ziel: Die Piloten sollen ein Auto erhalten, mit dem sie einem Gegner ganz dichtauf folgen können. Dazu ist Pirelli gefordert, Walzen zu bauen, die weniger Reifen-Management erfordern – mit denen die Fahrer also volle Kanne attackieren können.
In der Simulation zeigt sich: Heutige Autos verlieren fast die Hälfte des Abtriebs an der Vorderachse, wenn sie einem Gegner ganz nahe folgen. Die 2021er Autos sollen nur noch einen Abtriebsverlust von zehn bis fünfzehn Prozent erzeugen.
Der frühere GP-Pilot Martin Brundle, heute einer der besten Formel-1-Experten im Dienst der britischen Sky, gibt zu bedenken: «Die Rennställe sind in die Entscheidungsfindung eingebunden, und das ist schon mal falsch. Denn sie sind Wettbewerbs-orientiert und denken nur an den eigenen Vorteil, nicht an das Wohl des Sports. Ich spüre, dass wir auf eine Lösung zustreben, die nicht Neubeginn heisst, sondern Kompromiss. Das würde bedeuten, dass sich in Sachen Konkurrenzfähigkeit im Feld wenig ändert. Das würde auch bedeuten: Der Sport tut nichts, um neue Teams anzulocken und weitere Autohersteller. Das ist aber kritisch für die Gesundheit und die Zukunft der Formel 1. Manchmal denke ich: Die Formel 1 ist wie ein Wasserschloss mit aufgestellter Zugbrücke.»
«Die Formel 1 ist 70 Jahre und mehr als 1000 Rennen alt, sie ist ein Gigant mit weltweiter Magnetkraft für 350 Millionen Zuschauer. Es ist unsere Verpflichtung, dass wir als Hüter auf Zeit dazu beitragen, die Formel 1 besser zu machen.»
«Um das zu schaffen, müssen wir zunächst zur Einsicht gelangen: Die Formel 1 ist vor allem Unterhaltung. Wir brauchen eine bessere Show, dazu müssen die Rennwagen 100 bis 150 Kilogramm leichter werden. Wir brauchen Reifen, die kaum abbauen, notfalls mit vorgeschriebenen Reifenwechseln.»
«Wir müssen den Einfluss der Aerodynamik dramatisch verringern, dann könnten wir auf die ganzen Krücken verzichten aus verstellbaren Heckflügeln und Kaugummi-weichen Reifen, mit welchen die Piloten umgehen müssen wir mit rohen Eiern. Wir müssen zu dem zurück, was wir mal hatten, aber in einer frischen, modernen Weise. Ich will eine Formel 1, die eine echte Fahrer-WM ist und nicht ein Fest der besten Techniker.»
«Die Autos müssen fast unzähmbar sein, die schwierigsten Renngeräte der Welt. Ich will keine Teenager erleben, die bei einem Test erstmals in einen Formel-1-Renner hüpfen und zur Mittagszeit Top-Zeiten fahren. Ich will Fahrer sehen wie Gladiatoren, denen wir den Kampf mit ihren Autos anmerken, wenn sie aussteigen, mit Betonung auf sehen, denn heute erkenne ich sie im Cockpit nur noch anhand eines vorbeihuschenden Fetzens Farbe auf ihrem Helm.»
«Es war ein Riesenfehler der Formel 1, zu diesen 1,6-Liter-V6-Turbomotoren mit Hybridtechnik zu wechseln. Mir ist klar, dass beim Automobil kein Weg vorbeiführt an Themen wie Elektrik, Hybrid und Batterien, aber wieso nicht technische Exzellenz in einer Form beweisen, in welcher die Formel 1 wieder Vorreiter wäre – etwa in rasant schneller Aufladung der Elektrik an der Box? Oder indem sich die Autos beim Überfahren elektrischer Leiter aufladen, welche in die Rennstrecke eingelassen sind?»
«Wir müssen einen Weg finden, damit Mittelfeldrennställe wieder die Chance erhalten, einen WM-Lauf zu gewinnen. So wie das früher mit Jordan der Fall war. Wir müssen ein Umfeld schaffen, in welchem die Teams wirtschaftlich gesund existieren können und nicht ums Überleben strampeln müssen.»
«Wir brauchen endlich wieder eine WM, in welcher am Ende der schnellste, mutigste Mann Weltmeister wird. Und nicht ein Fahrer, der einfach im besten Auto sitzt. DAS wäre eine wahrhaftige Formel 1.»