Vor Fittipaldi & Senna: Brasilien-Pionier Chico Landi
Wir stehen vor dem Traditions-GP von Brasilien, gefahren wird im Autódromo José Carlos Pace im São-Paulo-Stadtteil Interlagos. Das hat unseren Leser Heinz Inderbitzin zu folgender Frage geführt: «Ich weiss, dass viele brasilianische GP-Fahrer aus São Paulo stammen, angefangen mit Emerson Fittipaldi und vielleicht mit dem unvergessenen Ayrton Senna als Krönung. Aber stimmt es, dass die meisten Formel-1-Piloten des südamerikanischen Landes tatsächlich in São Paulo geboren wurden, und wie hat das mit den brasilianischen GP-Piloten wirklich angefangen?»
Eines ist jedenfalls gewiss ein Mythos: Dass Emerson Fittipaldi der Auslöser der ganzen brasilianischen Formel-1-Talente gewesen ist. Der zweifache Weltmeister war weder der ersten GP-Fahrer seines Landes, noch der erste aus São Paulo. Er war allerdings jener Pilot, der in seinem Land den Jüngeren zeigte – wer sich in Europa durchsetzte, der musste nach England.
Sehen wir uns die Formel-1-Brasilianer und ihre Geburtsorte kurz an, in Klammern jeweils die Jahre, in welchen sie im GP-Sport tätig waren:
Chico Landi (1951–1953 und 1956): São Paulo
Gino Bianco (1952): Mailand (I)
Nano da Silva Ramos (1955/1956): Paris (F)
Fritz d’Orey (1959): São Paulo
Emerson Fittipaldi (1970–1980): São Paulo
Wilson Fittipaldi (1972/1973 und 1975): São Paulo
José Carlos Pace (1972–1977): São Paulo
Luiz Pereira Bueno (1973): São Paulo
Ingo Hoffmann (1976/1977): São Paulo
Alex Dias Ribeiro (1976/1977 und 1979): Belo Horizonte
Nelson Piquet (1978–1991): Rio de Janeiro
Chico Serra (1981–1983): São Paulo
Raul Boesel (1982/1983): Curitiba
Roberto Moreno (1982, 1987, 1989–1992 und 1995): Rio de Janeiro
Ayrton Senna (1984–1994): São Paulo
Maurício Gugelmin (1988–1992): Joinville
Christian Fittipaldi (1988–1992): São Paulo
Rubens Barrichello (1993-2011): São Paulo
Pedro Paulo Diniz (1995–2000): São Paulo
Ricardo Rosset (1996–1998). São Paulo
Tarso Marques (1996/1997 und 2001): Curitiba
Ricardo Zonta (1999–2001 und 2004/2005): Curitiba
Luciano Burti (2000/2001): São Paulo
Enrique Bernoldi (2001/2002): Curitiba
Felipe Massa (2002 und 2004–2017): São Paulo
Cristiano da Matta (2003/2004): Belo Horizonte
Antonio Pizzonia (2003–2005): Manaus
Nelsinho Piquet (2008/2009): Heidelberg (D)
Bruno Senna (2010–2012): São Paulo
Lucas di Grassi (2010): São Paulo
Felipe Nasr (2015/2016): Brasilia
Wir sehen: Von 31 Fahrern stammten 17 aus São Paulo, das sind mehr als die anderen Herkunftsorte zusammen.
Der wahre Pionier hiess Francisco Sacco Landi, kurz Chico, Sohn eines italienischen Auswanderers. Er stammte aus einer bescheidenen Familie, sein Steigbügelhalter in den Rennsport war Manuel de Teffé, ein wohlhabender Diplomatensohn. De Teffé war einer der ersten Autorennefahrer aus Brasilien, aber er hatte seine Karriere in Italien begonnen und wurde deswegen von vielen Brasilianern nie so als einer der Ihren akzeptiert wie Landi.
Landi arbeitete schon als Kind in einer Garage als Mechaniker, wenn die Schule aus war, nachts nahm er bald an illegalen Strassenrennen teil. 1934 stand er am Start des zweiten Grand Prix von Rio und führte sensationell – bis acht Runden vor Schluss der Motor schlappmachte. Irineu Correa gewann.
Nachdem sich Chico Landi Mitte der 30er Jahre als landesbester Fahrer etabliert hatte, reiste er ins Ausland: Er wurde in Bern 1938 Achter. Er gewann den Rio-GP 1941 und nach dem Krieg ein als Grand Prix bezeichnetes Rennen in Bari (Italien), das nach F2-Reglement gefahren wurde.
Landi bestritt seinen ersten Formel-1-WM-Lauf 1951 in Monza (in einem selber eingesetzten Ferrari 375/50), 1952 bis 1956 trat er in der Formel 1 sporadisch mit einem Maserati auf, als Werksfahrer 1956 des italienischen Herstellers wurde er beim Argentinien-GP in Buenos Aires solider Vierter.
Landi fuhr bis in die 60er Jahre Rennen und verstarb vor dreissig Jahren in seiner Heimatstadt São Paulo.