Ayrton Senna: «Ich fuhr in einer anderen Dimension»
Ayrton Senna 1988 in Monaco
In der Coronakrise sind weltweit unzählige Veranstaltungen abgesagt worden, darunter – für Formel-1-Fans besonders schmerzlich – der Grosse Preis von Monaco, der Rennklassiker am Mittelmeer, der prestigeträchtigste aller WM-Läufe immer Ende Mai.
Monaco fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich dort an einer Mauer stehe und weiss – hier driftete Tazio Nuvolari vorbei oder die Silberpfeil-Schützen Bernd Rosemeyer und Rudi Caracciola. Ich bewundere den gelassenen Fahrstil von Juan Manuel Fangio und Jim Clarks scheinbar mühelose Überlegenheit. Doch all das kenne ich leider nur aus Filmen. Als Graham Hill und Jackie Stewart in Monaco gewannen, war ich ein Knirps aus bescheidenen Verhältnissen, der von der Formel 1 träumte. Monaco war für mich so weit entfernt wie der Mond.
Dafür werde ich immer dankbar sein, dass ich behaupten kann: Ich habe Ayrton Sennas Fahrkunst bewundern dürfen. Ich war bei seinem ersten GP-Triumph dabei (im strömenden Regen von Estoril 1985), bei seinem grössten Sieg (in der Sintflut von Donington Park 1993) – und bei der vielleicht fabelhaftesten Trainingsrunde, die je ein Grand-Prix-Fahrer gezeigt hat, in Monte Carlo 1988.
Es gehört zum Mythos Monaco, dass Senna hier etwas schaffte, was mit normalem Formel-1-Fahren nichts mehr zu tun hatte. Wenn man beim Bändigen eines GP-Renners im Leitschienenkanal von Monte Carlo überhaupt von Normalität sprechen kann.
Der unvergessene Brasilianer hat das Qualifying in Monte Carlo 1988 als «meine intensivste Erfahrung in der Formel 1» beschrieben, als «ein Gefühl, wie ich es nie wieder erleben durfte».
Die Abschlusstrainings mit Senna waren fast immer ein Leckerbissen. Wenn der Brasilianer kurz vor Schluss des Qualifyings mit frischen Reifen auf die Bahn ging, dann wussten alle – jetzt wird gleich etwas Magisches passieren. Fiebrige Spannung verbreitete sich.
Wie Ayrton durch die Gegner pflügte, das war Hochgenuss. Andere Piloten jammern nach einem Abschlusstraining oft, sie seien aufgehalten worden, «ich hatte Verkehr», wie das im Buch der Rennfahrer-Ausreden heisst. Der langjähige Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone pflegte zu sagen: «Ein guter Pilot hat keinen Verkehr.»
Senna habe ich so gut wie nie lamentieren hören. Wenn Gegner den leuchtend gelben Punkt seines Helms im Rückspiegel auftauchen sahen, zuckten sie automatisch zur Seite.
Noch heute zanken sich Formel-1-Fans leidenschaftlich darüber, welches wohl die fabelhafteste Runde von Ayrton Senna war – die Startrunde im Regen von Donington 1993 vielleicht? Nicht für den grossen Brasilianer selber. Senna bezeichnete Monaco 1988 als seine grösste Stunde.
Senna beschrieb einen Zustand, in welchem er sich quasi selber beim Fahren zusah, alles funktionierte automatisch, der Verstand war vom Körper abgekoppelt. «Ich hatte bereits die Pole, um eine halbe Sekunde, aber ich fuhr immer schneller, eine Sekunde vor meinen Gegnern, dann fast eineinhalb Sekunden. Ich fuhr nur noch nach Instinkt, ich befand mich in einer anderen Dimension, wie in einem Tunnel, jenseits von bewusstem Verständnis.»
«Ich bin ausgestiegen und habe meinen Jungs gesagt: ‘Das ist das Maximum, es gibt keine Möglichkeit, noch schneller fahren zu können.’ Dieses Gefühl habe ich nie wieder erreicht.»
Am Schluss lag Senna 1,427 Sekunden vor Alain Prost – im exakt gleichen 1988er McLaren.
Senna in seinen eigenen Worten finden Sie in diesem YouTube-Video mit Ausschnitten aus der Dokumentation SENNA: