Andreas Seidl: So hat sich McLaren vorbereitet
Andreas Seidl (rechts) mit Andrea Stella
In der kleinen Welt der Formel 1 hat sich nach dem Abbruch des GP-Wochenendes von Australien monatelang kein Rad gedreht. Die Fachkräfte flogen von Melbourne Mitte März zurück und begaben sich in Quarantäne, die Werke wurden weitgehend geschlossen, einige Rennwagenhersteller stützten das Gesundheitswesen ihrer Länder und stellten zum Beispiel Atemgeräte her. Nun hat sich die Corona-Situation in vielen europäischen Ländern so entspannt, dass Sportveranstaltungen wieder möglich sind – allerdings unter Ausschluss der Fans und unter überaus strengen Vorsichtsmassnahmen. Am 5. Juli beginnt die Formel-1-WM mit dem Österreich-GP auf dem Red Bull Ring. In einer Videokonferenz hat McLaren-Teamchef Seidl zu den jüngsten Entwicklungen Stellung genommen.
Der 44jährige Passauer sagt zu den Vorbereitungen auf den ungewöhnlichen Saisonstart: «Hauptthema war der Anlauf des ganzen Rennwagenwerks nach dem Shutdown. Die Produktion wurde nach der Herstellung der Atmungsgeräte wieder umgestellt auf Normalbetrieb und auf Betrieb unter den ganzen Schutzmassnahmen. Derzeit arbeiten wir auf Volldampf an der Herstellung von Ersatzteilen und Entwicklungsteilen, weil jetzt sehr viele Rennen in kurzer Folge kommen. Aber wir werden sicher ein Wörtchen mit den Fahrern wechseln, weil wir an Ersatzteilen knapp sind. Das ist besonders für Österreich kritisch, weil das in den letzten Jahren jeweils ein Festival kaputter Frontflügel war.»
«Wir haben das Renn-Team komplett von der anderen Mannschaft im Werk getrennt, um maximale Sicherheit zu garantieren. Wir haben diese Fachkräfte auch regelmässig getestet. Alles hat bislang sehr gut funktioniert, wir haben im Renn-Team keine positiven Fälle. Wir haben die ganzen Abläufe in der Box so gut geübt wie möglich. Wir haben auch oft Boxenstopps geübt, weil wir uns da verbessern müssen.»
«Die Fahrer waren eng in die Vorbereitung eingebunden, mit zahlreichen Sitzungen in Bezug auf Regeln und Abläufe. Sie sassen auch regelmässig im Simulator, ihre körperliche Vorbereitung ist gut. Lando Norris und Carlos Sainz waren Kartfahren, und wir haben für sie einen Formel-3-Test organisiert. Wir konnten sie nicht im GP-Renner fahren lassen, das ist ein kleiner Nachteil, aber ich schätze, sie werden den Rost nach wenigen Runden abgeklopft haben.»
«Die letzten Monate waren eine Herausforderung, weil wir auch in gewissen finanziellen Engpässen steckten. Ich fand es nicht ganz einfach, viele Gespräche über Videos zu führen, mir persönlich ist es lieber, wenn man sich Angesicht zu Angesicht gegenübersitzt. Der persönliche Kontakt ist nicht vollständig durch Videokonferenzen zu ersetzen.»
«Wir brennen darauf, nach Österreich zu reisen und Rennen zu fahren und uns mit unseren Gegnern zu messen. Ich sehe McLaren gut vorbereitet. Wir sollten in der Lage sein, erneut um den vierten Platz zu kämpfen, wir werden schon in Österreich Updates haben. Ich glaube nicht, dass wir durch die Pause ins Hintertreffen geraten sind.»
Grossbritannien hat derzeit eine Regel, wonach Einreisende als Erstes 14 Tage in Isolation müssen. Das geht zeitlich nicht auf. Wir haben zwar nach dem Grand Prix von Ungarn eine Woche Pause, aber zu wenig Zeit, um dann in Silverstone anzutreten. Andreas Seidl sagt: «Die Formel 1 steht in Verhandlungen mit der Regierung, und ich gehe davon aus, dass es unter gewissen Bedingungen weitere Lockerungen geben wird, so dass dies kein Problem geben wird.»
Die McLaren-Fachkräfte, welche die Box eingerichtet haben, sind bis zum 30. Juni an der Arbeit, dann reisen sie zurück nach England. Am Mittwoch steigt der Grossteil der Mannschaft in einen Charter-Flieger und landet direkt in Spielberg. Andreas Seidl: «Die ganze Mannschaft ist hier in England getestet worden, ein zweiter Test folgt nach Anreise in Österreich. Und auch während des Wochenendes folgen Tests.»
«McLaren tritt als eigene Blase auf, dazu haben wir sehr viele Untergruppe gebildet. Sollte es einen positiven Fall geben, wird diese kleine Gruppe isoliert, und alle Fachkräfte werden getestet. Sollten sie gesund sein, dürfen sie gleich wieder an die Arbeit. Ein Testergebnis sollte nach unseren Informationen nach rund zwei Stunden vorliegen.»
Was passiert, wenn Lando Norris oder Carlos Sainz positiv sein sollten? Andreas Seidl: «Wir haben ein Abkommen mit Mercedes getroffen, dass wir hier auf ihre Reservisten zurückgreifen könnten, also auf den Belgier Stoffel Vandoorne, der ja früher für uns gefahren ist, und den Mexikaner Esteban Gutiérrez.»
«Mit den ganzen Massnahmen haben wir eine gute Mischung gefunden zwischen Schutz der Mitarbeiter und der Möglichkeit, die Formel-1-Show zu zeigen. Und das ist ganz wichtig für alle – die Fans sind hungrig, wir selber sind sehr hungrig.»
«Die grösste Herausforderung für die Jungs in der Box ist das Tragen der Maske. Da weiss inzwischen ja fast jeder, wie sich das anfühlt. Gerade wenn wir nun im Sommer auch viele heisse Tage haben, ist das für die Mechaniker sehr anstrengend. Wir werden genügend Pausen für sie einlegen, damit sie sich zwischendurch auch erholen können.»
Wie geht es in der WM nach Monza weiter? Andrea Seidl: «Ich gehe davon aus, dass wir am Ende bei 15 oder 16 Rennen landen. Wir stehen in ständigem Austausch mit Formel-1-CEO Chase Carey und der FIA, und klar gibt es bei den Überseerennen viele Fragezeichen. Die Situation ist sehr dynamisch, da müssen wir einfach abwarten. Grundsätzlich sind wir in der Formel 1 in der Lage, uns sehr schnell zu bewegen, die Teams sind sehr flexibel, also können wir auch spät reagieren. Allerdings gilt auch – je später die Entscheidung, desto aufwändiger die Reisekosten.»