Formel 1: Ein selten kurioser Unfall

Formel 1: 10 Dinge, die wir 2023 gelernt haben

Von Werner Jessner
Die Ferrari von Carlos Sainz und Charles Leclerc in Singapur

Die Ferrari von Carlos Sainz und Charles Leclerc in Singapur

​Die Grand-Prix-Saison ist zwar noch nicht vorbei, aber die Weltmeister kennen wir bereits. Höchste Zeit für einen kleinen Zwischenbericht über eine Formel-1-Saison der Superlative.

1. Max Verstappen macht keine Fehler mehr
An eine solche Dominanz können sich nicht mal Formel-1-Paläontologen erinnern: In den ersten 17 Saisonrennen war Max nur ein einziges Mal nicht unter den Top 2! 10 Siege am laufenden Band, Qualifying-Duell gegen Sergio Pérez steht bei 15:2, dritten WM-Titel fünf GP-Wochenenden vor Saisonende eingesackt. 2023 sehen wir den stärksten Max aller Zeiten und die dominanteste Vorstellung eines Rennfahrers in der modernen Zeit. Letztmals nicht in der Wertung: Monza 2021 (!), als er sich mit Lewis Hamilton am Ende der Start/Ziel-Geraden nicht über die Vorfahrt einigen konnte. Und das ist mittlerweile auch schon wieder 47 Rennen her.

2. Andreas Seidl hat ein gutes Erbe hinterlassen
Selbst wenn der Bayer per Jahresende 2022 zu Sauber gewechselt ist und jetzt Andrea Stella als McLaren-Teamchef im Scheinwerferlicht steht: Die Lorbeeren fürs Comeback der Papayas gebühren dem 47-jährigen Andreas Seidl. Er war es, der das Traditionsteam von Porsche kommend als Team-Boss zwischen 2019 und 2022 zurück in die Erfolgsspur gebracht hat. In seine Ära fielen der Umstieg von Renault- auf Mercedes-Motoren, der Anstoss zum Bau eines neuen Windkanals sowie die Personal-Entscheidungen für Lando Norris und Oscar Piastri, die das Team fahrerisch zu einem der bestbesetzten im Feld machen. Seidl weiß, wie Motorsport funktioniert. Audis Zukunft sieht also vielversprechend aus!

3. Carlos Sainz ist stärker als Charles Leclerc
Nichts gegen den Monegassen, aber in einem schwierigen Jahr wie 2023 neigt er dazu, auf Tauchstation zu gehen, während Carlos eine Chance beim Schopf ergreift, sobald er die kleinste Chance dazu sieht. Wie er das Rennen bei seinem Sieg in Singapur gemanagt hat, war ganz große Klasse. Während die Duelle in Rennen und Qualifying recht ausgeglichen sind, hat der Spanier in den Sprints klar die Oberhand. Schon Sainz’ einstiger Teamchef Franz Tost bei der Scuderia Toro Rosso identifizierte in frühen Jahren eine Stärke von Sainz, die oft übersehen wird: Fleiß. «Carlos nimmt die Formel 1 sehr ernst und wird Erfolg haben.»

4. Erfahrung ist gut …
Nico Hülkenberg (36) hat sich nach drei Jahren, in denen er gerade mal bei vier Grands Prix als Reservepilot einspringen durfte und ansonsten als kluger F1-Kommentator auf ServusTV auffiel, nahtlos bei Haas eingefügt. Der Sympathieträger hat Teamkollegen Kevin Magnussen gezeigt, wozu Rheinländer im Ruhestand fähig sind und den vermeintlich so schnellen Dänen in den Qualifyings dominiert.

Lewis Hamilton ist mittlerweile 38 Jahre alt und neben dem 42-jährigen Fernando Alonso laut Dr. Helmut Marko der Einzige, der Max Verstappen im Moment fahrerisch das Wasser reichen kann. Valtteri Bottas (34) hat seinen um zehn Jahre jüngeren Teamkollegen Zhou Guanyu fest im Griff. Und dann gibt’s noch Rückkehrer Daniel Ricciardo, mit 34 Jahren ebenfalls kein Grünschnabel mehr und bis zu seinem Handbruch in Zandvoort voll bei der Musik dabei.

5. …aber Jugend ist auch kein Nachteil
Vorbei die Jahre, als Newcomer zwei, drei Saisonen brauchten, um sich in der Königsklasse zurecht zu finden. Die Ausbildung eines Youngsters ist mittlerweile so gut, dass sie sich nahtlos in die Königsklasse einfügen. Liam Lawson (21) ersetzte Daniel Ricciardo bei AlphaTauri unter schwierigen Bedingungen souverän und wird nach Super Formula und tausenden Kilometern im Simulator noch stärker wiederkommen. Oscar Piastri hat mit seinen 22 Jahren in der ersten Saison bereits ein Sprint-Rennen gewonnen (in Katar). Und Yuki Tsunoda liefert mit seinen 23 Jahren in einem schwierig zu fahrenden AlphaTauri AT04 konstanter ab denn je. Senna, Schumacher oder auch Hamilton saßen im Alter dieser Jungs zum ersten Mal in einem F1-Auto.

6. Die Tagesform entscheidet
Okay, an der Spitze liegt in der Regel Max Verstappen. Aber hinter dem Auto mit Startnummer 1 tobt 2023 eine der spannendsten Saisonen der jüngeren Vergangenheit. Je nach Strecke und Vorbereitung ist entweder Mercedes, Ferrari, McLaren oder auch Aston Martin erster Verfolger. Hie und da setzt Alpine oder Haas ein Highlight, und selbst Alex Albon im Williams vermochte aufzuzeigen, dass es in der Formel 1 keine Hinterbänkler mehr gibt. Was beweist: Das Reglement funktioniert, und dank Budgetdeckel und zugewiesener Windkanalzeit sollte die Leistungsdichte im Feld umso weiter erhöhen, so lange das Reglement stabil bleibt, siehe Punkt 10.

7. Sohn zu sein ist nicht einfach
Stell dir vor, du willst Rennfahrer werden und es in der Formel 1 ganz nach oben schaffen. Das geht entweder mit ganz viel Talent und perfekter Ausbildung (schlag nach im Rennfahrer-Lexikon unter V wie Verstappen) – oder du hast das Glück einer Familie, die dir diesen Traum ermöglicht. Lance Stroll brachten die Dollars seines Vaters eine quasi-Pragmatisierung im familieneigenen Team Aston Martin ein, so tollpatschig kann er sich gar nicht anstellen. Und dass die F1 für die Eroberung Amerikas das fahrerische Geschick von Logan Sargeant benötigt, der aus einer vermögenden Öl-Dynastie stammt, glauben inzwischen auch nur noch die Wenigsten. Was von ihnen trotz erfüllter Bubenträume im kollektiven Königsklassen-Gedächtnis bleiben wird: wenig.

8. Alpine bleibt Alpine
Ob unter dem Namen Alpine, Renault oder Lotus: das Team aus Enstone kommt nicht zur Ruhe. Die Zeiten, als unter dem Benetton-Label und später dem kontroversen Flavio Briatore in der ersten Renault-Phase Erfolge eingefahren wurden, sind längst passé. Inkonstanz im Management ist Programm. Einst eine Ferrari-Spezialität, ist sie mittlerweile im französischen Konzern, der sich mit Enstone und Viry-Châtillon zwei getrennte Standorte leistet, fest verankert. Unvollständige Liste von Führungspersonal, das seit 2021 von Bord gespült wurde: Cyril Abiteboul, Marcin Budkowski, Alain Prost, Otmar Szafnauer, Alan Permane, Technik-Chef Pat Fry und CEO Laurent Rossi. Aber nach dem Donnerwetter von Renault-Boss Luca de Meo vor versammelten Truppen Anfang Oktober in Enstone wird künftig sicher alles ganz, ganz anders.

9. Andretti wird kommen
Die FIA hat dem Team des Ex-Piloten, der mit General Motors und der Marke Cadillac gemeinsame Sache macht, bereits grünes Licht gegeben. Nun ist Liberty Media, kommerzieller Rechte-Inhaber, am Zug. Das war erwartungsgemäß jener Moment, in dem sich die Chefs bestehender Teams in Stellung brachten und prompt in Opposition gingen. Hintergrund: Sie wollen den Kuchen wie bisher in zehn, nicht in elf Stücke teilen müssen. Es sei denn, so die Argumentation, der Newcomer brächte einen massiven Mehrwert für alle. Und genau das ist der Punkt, an dem früher oder später alle einlenken werden: Mit dem boomenden US-Markt und den drei Rennen in Miami, Austin und Las Vegas muss für ein zweites US-Team neben Haas Platz sein. Die Arrivierten wollen es dem Greenhorn so schwierig wie möglich machen, Andretti weiß im Gegenzug um die Stärke seiner Verhandlungsposition. Der Rest ist Schattenboxen.

10. Es wird keine Revolutionen geben
Pirelli bleibt bis Ende 2027 Reifenausrüster (mit Option für 2028). Bis auf das zweite Williams-Cockpit sind alle Sitze für 2024 vergeben. Im 177 Seiten starken Technischen Reglement für 2024 wurden bloß Kleinigkeiten nachgeschärft: ein Millimeter Material mehr hier, kleine Verbesserungen am Überrollbügel da – allesamt nicht, was eine radikale Änderung des Kräfteverhältnisses auslösen wird. Stabilität ist nicht die schlechteste Voraussetzung, um den aktuellen Formel-1-Boom weiterzuführen, bevor 2026 das neue Reglement greift.


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