Martin Brundle über Max Verstappen als Bösewicht
Martin Brundle und Max Verstappen
158 Formel-1-WM-Läufe hat Martin Brundle bestritten, von Interlagos 1984 bis Suzuka 1996. Der heute 64-jährige Engländer ist WM-Sechster 1992 geworden mit Benetton, dazu Sportwagen-Weltmeister 1988 und Le Mans-Sieger 1990 mit Jaguar.
Seit 25 Jahren arbeitet Brundle fürs Fernsehen, zunächst für ITV und die BBC, seit 2012 für die britischen Kollegen von Sky. In all seiner Zeit in der Königsklasse, sie dies als Fahrer oder als F1-Experte fürs Fernsehen, hat Brundle keine so dominante Darbietung erlebt wie von Max Verstappen 2023.
Martin Brundle ordnet die Leistung des Niederländers in seiner Nachbetrachtung der Saison bei Sky so ein: «Mann und Maschine in einem spektakulären Einklang. Gewiss, Max fährt für das derzeit beste Formel-1-Team, und er sass im stärksten Rennwagen, aber er behauptet sich in einem Feld mit mehreren Weltklasse-Piloten, nein, mehr als das, er hat die Gegner in Grund und Boden gefahren.»
«Max triumphierte, ob es nun regnete oder ob die Sonne schien. Ob es Neutralisierungen mit dem Safety-Car gab oder Unterbrechungen mit roter Flagge. Er behielt bei chaotischen Verhältnissen kühlen Kopf. Das Team hat ihn unterstützt mit einem überaus standfesten Auto, mit cleveren Rennstrategien und makellosen Reifenwechseln. Ich bin sehr froh, dass ich das alles miterleben durfte.»
«Ich treffe viele Fans, und Bemerkungen in den sozialen Netzwerken entgehen mir nicht, wonach dies eine fade Saison gewesen sei, weil halt ein Team und ein Fahrer dominiert haben. Aber ich sehe das anders. Ich erkenne im ganzen Feld eine Leistungsdichte, wie es sie selten zuvor gegeben hat, mit packenden Zweikämpfen, tollen Überholmanövern und viel Unwägbarkeit.»
«Am stärksten kam das zum Vorschein in den Abschlusstrainings. So gut wie kein Fahrer konnte sich seiner Sache sicher sein. Wer nicht alles aus dem Wagen und sich selber holte, musste damit rechnen, gleich einige Ränge zurückgereicht zu werden – bei sehr geringen Abständen und mit einigen fetten Überraschungen. Hinterbänkler gibt es in der modernen Formel 1 nicht mehr.»
«Max hat nicht alles perfekt auf die Reihe bekommen. Als die Piloten in Abu Dhabi zum Saisonabschlussfoto spazierten, gab es für ihn Buhruhe, so wie zuvor auch nach einigen Siegen.»
«Max hat in Las Vegas klar gesagt, was er über das Tamtam dieser Veranstaltung denkt, auch wenn er seine Kritik nach einem weiteren GP-Triumph relativiert hat. Ich mag es, wenn Verstappen kein Blatt vor den Mund nimmt, er ist ein erfrischender Interview-Partner und immer ansprechbar im Fahrerlager.»
«Verstappen ist stets offen und ehrlich, er steht zu seinen Ansichten und lässt sich nicht verbiegen und schon gar nicht den Mund verbieten. Da schleicht sich bei mir das leise Gefühl ein: Etwas mehr Diplomatie und Balance würde ihm und seinem Vermächtnis in der Formel 1 guttun. Letztlich sind wir alle nur Wächter auf Zeit dieses wunderbaren Sports.»
«Als Max in die Formel 1 kam, war er ein forscher Teenager, manchmal ein wenig wild. Aber das hat er im Laufe der Jahre abgelegt. Heute ist er einer der ruhigsten Piloten auf der Bahn, nicht in Sachen Kommentare, sondern punkto Fahrstil. Er fährt hart, aber fair. Mir will nicht in den Kopf, wieso ihn einige Fans noch immer als eine Art Bösewicht abstempeln. Aber letztlich muss das jeder Formel-1-Zuschauer für sich selber entscheiden.»