Gilles Villeneuve: Ferrari-Star bleibt unvergessen
Mit seinem Geburtstag hat Gilles Villeneuve nie geschummelt, wohl aber mit dem Geburtsjahr. Villeneuves Wegbegleiter, der kanadische Formel-1-Berichterstatter und Buchautor Gerald Donaldson, hat mir erzählt: «In vielen Biographien, auch im Internet, ist davon die Rede, dass Gilles Villeneuve 1952 geboren worden sei. Aber das stimmt nicht. Joseph Gilles Henri Villeneuve wurde am 18. Januar 1950 geboren. Er machte sich als Rennfahrer zwei Jahre jünger, weil er davon überzeugt war, dass sein wahres Alter seiner Karriere im Weg stehen würde.»
Als McLaren und Ferrari auf das Talent von Villeneuve aufmerksam wurden, war Gilles also immerhin schon 27 Jahre alt – in dem Alter sind einige Fahrer der GP-Moderne schon wieder aussortiert!
Die Sorge von Villeneuve war unbegründet: Seine Begabung war so atemberaubend, dass niemand Bedenken wegen des Alters hegte.
1982 hat die Motorsportwelt einen Piloten verloren, der bis heute die Formel-1-Fans fasziniert.
Grand-Prix-Sieger Johnny Herbert sagt bewundernd: «Für mich war er der Größte. Ihn interessierte nur eines – auf die Rennbahn hinausfahren und von allen der Schnellste sein. In jeder Runde. Ich hatte immer den Eindruck, Siege oder gar ein WM-Titel waren für ihn zweitrangig. Er wollte einfach nur die Gegner in Grund und Boden fahren.»
Der Rennkomet Gilles Villeneuve verglühte im Abschlusstraining zu Grossen Preis von Belgien in Zolder, am 8. Mai 1982.
Der Kanadier wollte die Quali-Zeit seines verhassten Ferrari-Stallgefährten Didier Pironi unterbieten. Die beiden hatten beim WM-Lauf zuvor in Imola einen Pakt geschlossen, der Franzose hielt sich nicht daran und gewann, Gilles sagte grimmig: «Ich werde nie wieder ein Wort mit ihm reden.»
Auf traurige Art und Weise sollte sich das bewahrheiten.
Gilles lief in Zolder auf den March von Jochen Mass auf, der Deutsche zackte zur Seite, um Platz zu machen, aber diese Linie hatte bereits Villeneuve gewählt. Das Unvermeidliche geschah.
Ein großes Kämpferherz hörte auf zu schlagen.
An diesen Tag kann sich Jacques Villeneuve noch gut erinnern. An jenem unglückseligen Freitag durfte sich der junge Jacques zu seiner eigenen Überraschung ein Videospiel aussuchen, weil seine Mutter dem Drängeln vor dem entsprechenden Geschäft nachgab.
Der damals Elfjährige kam strahlend nach Hause, doch bald darauf klingelte das Telefon. Seine Mutter ging ran, und Jacques hat bei CNN über diesen Schicksalstag gesprochen: «Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte.»
«Als er starb, übernahm ich die Rolle des Mannes im Haus, und das gab mir die Kraft und Stärke, die mich später zu jenem Rennfahrer gemacht hat, der ich geworden bin. Auf traurige Art und Weise war es also förderlich für mich, dass mein Vater gestorben ist. Ich hatte ihn damals schon etwa zwei Jahre lang kaum zu Gesicht bekommen. In dieser Zeit war er faktisch kein Vater. Ich lebte eineinhalb Jahre lang auch nicht zuhause, sondern in den Bergen bei Freunden, weil ich dort auch zur Schule ging.»
«Es herrschte damals kein klassisches Familienleben mehr bei uns, er verschwand jeweils für zwei Monate. Und wenn er zurückkehrte, war er auch nicht wirklich da, denn er kam nach Hause, um auf seinem Boot zu spielen. Es war auch jene Generation, in der die Töchter sehr viel beliebter waren als die Söhne, alles war also irgendwie eigenartig.»
Jacques Villeneuve hat vollendet, was seinem Vater verwehrt blieb: Er wurde Formel-1-Weltmeister, 1997 mit Williams.
Der jüngere Villeneuve zeigte 2018 einen der emotionalsten Momente jener GP-Saison: Er durfte auf der Montreal-Rennstrecke, die den Namen seines Vaters trägt, den 1978er Ferrari fahren, jenen Ferrari 312T3 also, mit dem sein Papa 40 Jahre zuvor zum Sieg beim Großen Preis von Kanada gefahren war.
Als das Ferrari-Idol damals die Ziellinie des Kanada-GP kreuzte, flippten die Zuschauer komplett aus: Der kleine Ferrari-Pilot war über sich hinausgewachsen – ganz untypisch für ihn hatte er Geduld bewiesen.
Eigentlich hätte Jean-Pierre Jarier im Lotus gewinnen müssen, doch der französische Ersatzfahrer des im September 1978 verstorbenen Ronnie Peterson wurde von der Technik seines Renners im Stich gelassen. Gilles Villeneuve ging in Führung und behielt die Nerven. Es passte zu diesem verrückten Grand Prix, dass bei seiner Zieldurchfahrt Flocken fielen!
Mit wenigen Grad über null gilt der Kanada-GP als kältester WM-Lauf der Formel-1-Historie, aber den Fans vor Ort war sehr warm ums Herz.
Jacques Villeneuve: «Mit den Jahren haben die Leistungen meines Vaters für mich eine neue, tiefere Bedeutung erhalten. Denn ich konnte immer wieder sehen, wie sehr er die Menschen durch seine Fahrweise und seinen Charakter berührt hat.»
Auf die Frage, wie sich der Ferrari seines Vaters anfühle, lachte der elffache GP-Sieger: «Als würdest du in einer Sardinenbüchse sitzen! Es ist ein wenig beunruhigend – wenn die Karosserie abgenommen wird, dann sitzt du so gut wie im Freien. Du hast als Schutz nur etwas Plastik. Und doch bin ich vom damaligen Stand der Technik beeindruckt.»
«Ich bin Linksbremsen gewohnt. Aber im T3 geht das nicht, weil die Lenksäule zwischen den beiden Füssen verläuft. Es war eine tolle Erfahrung und ein schöner Knicks vor dem Erbe meines Vaters. Ich habe im Laufe der Jahre schätzen gelernt, was er den Menschen bedeutet. Es erfüllt mich mit Stolz, wie warmherzig sich die Fans an ihn erinnern.»
Die Faszination für den Mann mit dem scheinbar grenzenlosen Mut ist ungebrochen, selbst so viele Jahre nach seinem Tod.
In Italien wird er bis heute verehrt wie vor ihm nur Tazio Nuvolari, auch er ein Derwisch hinter dem Lenkrad.
Vielleicht gründet die Faszination der Fans auch darin, dass sie verstanden haben, was Johnny Herbert so formuliert: «Unvergessen, wie Villeneuve in Zandvoort 1979 nach einem seiner zahlreichen Abflüge mit ramponiertem Ferrari weiterfuhr, ständig fielen Teile von seinem Ferrari ab, an die Box kam er mit einem veritablen Dreirad, die Mechaniker schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Gilles hat derweil energisch gefordert, man möge ihm gefälligst frische Reifen geben, damit er weiterfahren könne. Er wusste überhaupt nicht, dass sein Auto so kaputt war. Gewiss gibt es erfolgreichere Rennfahrer, aber es hat bestimmt nie einen größeren Racer gegeben als Gilles Villeneuve.»