Ayrton Senna: Erinnerungen an den greifbaren Großen
Ayrton Senna gibt ein Interview
Ich hatte das Glück, das Saisonfinale der WM 1984 in Estoril live erleben zu können. Im McLaren-Titelduell zwischen Niki Lauda und Alain Prost war es das erste Mal, dass sich der damalige Rookie Ayrton Senna aus Brasilien für mich unvergesslich bemerkbar machte.
Niki musste nach verpatzter Qualifikation (nur Startplatz 11) eine Aufholjagd starten. Lang biss er sich beim Durchmarsch durch das Feld die Zähne aus, im Kampf um Platz 3 an diesem Jungspund im unterlegenen Toleman-Hart, ehe er endlich an Senna vorbeikam.
Was Senna nicht passierte – ein Fahrfehler im Kampf gegen Lauda – geschah darauf mit Nigel Mansell, was Lauda Platz 2 und die nötigen Punkte hinter Sieger Prost brachte. Senna erklomm als Dritter das Podest, 6,5 Sekunden hinter Lauda ins Ziel gekommen.
Spätestens von da musste man Senna, damals 24, stets im Blickfeld behalten.
Das Katastrophenwochenende von Imola 1994 jährt sich zum 30. Mal. Am Samstag, 30. April, verlor Roland Ratzenberger sein Leben, am Sonntag, dem 1. Mai, Senna. Ayrton verunglückte tödlich in seiner elften Formel-1-Saison, nach drei WM-Titeln und 41 Siegen in 161 Rennen.
Sennas fahrerische Leistungen und sein immenses Talent waren unumstritten. Kaum ein anderer Fahrer bis dahin und auch nachher konnte solche Akzente auch mit unterlegenem Material setzen wie der Sohn wohlhabender Unternehmer aus São Paulo.
Im fünften Jahr in der Königsklasse wurde er 1988 erstmals Weltmeister, gemeinsam mit McLaren-Teamkollegen Alain Prost wurden 15 der 16 Saisonrennen gewonnen – nur Ferrari-Star Gerhard Berger durchbrach in Monza die Siegesserie McLarens in der Saison 1988.
Am trainingsfreien Freitag des Monaco-GP 1989 hatte ich meinen ersten Exklusivtermin bei Ayrton, in dessen Appartement über dem alten Hafen von Monaco.
Ermöglich hatte das Interview Sennas persönlicher Betreuer Jo Leberer, der Salzburger Physiotherapeut, der nach seinem Rücktritt Ende 2023 nun Sauber-Markenbotschafter ist.
Ich brachte meinen Kollegen, den Fotografen Michael Glöckner mit, seit 1993 Veranstalter des Ennstal Classic.
Als Senna öffnete und Michael sah, meinte er barsch, noch vor einem Hallo: «Ein Fotograf war aber nicht ausgemacht.»
Gewiss, entgegnete ich, aber so ein Interview ohne Foto-Dokumentation, das ginge ja wohl schlecht.
Senna war einsichtig: «Okay, aber Fotos nur auf dem Balkon, nicht in der Wohnung.» Die waren dann, mit dem Hafen und dem Palast im Hintergrund, ohnedies die besseren.
Die 20 vereinbarten Minuten dauerten eine Dreiviertelstunde. Wir lernten einander kennen. Von da an war Senna für mich fast immer ansprechbar.
Schon nach dem ersten von vielen folgenden Interviews war klar: Der Mensch Senna ist ganz anders als der Fahrer, sobald er das Visier heruntergeklappt hat.
Mit Senna konnte man über Vieles abseits der Formel 1 und des Rennsports sprechen. Er war feinfühlig, hintergründig, überlegt, nie belehrend, aber seine Standpunkte stets betonend. Senna hatte ein breites Wissen und viele Interessen.
Und er änderte sich auch nach den drei WM-Titeln (1988, 1990, 1991) nicht, genauso wenig wie im Kampf gegen überlegene Gegner wie Williams 1992 und 1993.
Als Pilot war er brutal, kannte kein Zurückstecken, war risikobereit. Er wollte immer der Beste sein. Fast immer war er es.
Unvergesslich seine fahrerischen Highlights. Wie die Regenschlacht in Donington 1993, als er im McLaren mit Ford-Kundenmotor sein ganzes Können ausspielte.
In Monza 1993 hatte ich das letzte längere Gespräch mit ihm. Es ging um Gegenwart und Zukunft, auch Pläne für die Zeit später nach der Karriere. Das Unheil von 1994, sieben Monate später, war nicht annähernd absehbar.
Bei den Wintertests Anfang März 1994 in Imola standen wir morgens in der Williams-Box. Sennas Auto war noch nicht einsatzbereit. Er hatte Zeit. Wir plauderten. Was er von der neuen Saison erwartete, wie es ihm im Winter erging, was ich so gemacht hätte. Senna war entspannt. Die Herausforderung namens Michael Schumacher war noch nicht in Sichtweite.
Nicht einmal zwei Monate später, nach zwei Schumacher-Siegen und zwei Senna-Ausfällen, war der Druck in Imola riesengroß. Aber das Unheil nahm seinen Lauf.
Rubens Barrichellos schwerer Freitag-Unfall und Roland Ratzenbergers Todessturz am Samstag ließen Senna zweifeln und fast verzweifeln. Doch er wischte den Rat von Rennarzt Sid Watkins, doch aufzuhören, weil er alles erreicht hätte, vom Tisch.
Was wäre gewesen, hätte Senna Imola 1994 überlebt, ist eine oft gestellte Frage ohne Antwort.
Senna wäre jetzt 64. Er besässe vermutlich ein Firmenimperium in Brasilien mit Bezug zur Autoindustrie wie Emerson Fittipaldi. Vielleicht hätte er Nachwuchsfahrer, auch aus der eigenen Familie, unterstützt. Wohl wäre er Markenbotschafter. Und gefragter Gesprächspartner auch für die Generation, die ihn als Fahrer nicht mehr erlebte.
Ayrton Senna hätte noch so viel zu geben gehabt. Das Schicksal wollte es anders.