FIA-Startverbot: GP-Team von der WM ausgeschlossen!
Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre war die Formel 1 eine kunterbunte Spielwiese der Guten, Mittelprächtigen, Kriminellen, Skurrilen oder einfach nur Peinlichen.
Heute haben wir zehn hochprofessionelle Rennställe mit zwanzig Autos. In der Saison 1991 freuten wir uns über 18 (achtzehn!) Rennställe mit 36 Piloten im Einsatz, 1992 waren es immerhin noch 16 Teams, und eines davon musste gleich zwei Mal vom Autosport-Weltverband FIA aus der Formel 1 hinausbugsiert werden – Vorhang auf für den Wanderzirkus Andrea Moda Formula, das wohl peinlichste GP-Team der Welt.
Die Farbe war Programm: 1992 trat «Andrea Moda Formula» des italienischen Unternehmers Andrea Sassetti ganz in Schwarz an, passend zur Lieblingsbekleidung des Rennstallbesitzers. Wer sich die Autos ein wenig näher betrachtete, sah ebenfalls schwarz.
Vielleicht hätte die Vorgeschichte eine Warnung sein sollen: 1985 gründete Sassetti als 25-Jähriger die Firma Andrea Moda, die Bekleidung auf den Markt brachte.
Woher der Italiener das Geld für seine Firma hatte, ist bis heute unklar. Er selber sprach davon, er habe viel Geld beim Pokerspiel gemacht und sich davon Maschinen zur Schuh-Herstellung gekauft.
Wie auch immer: Um seine Firma über die Grenzen von Italien bekannt zu machen, fand der Unternehmer den Grand-Prix-Sport.
Doch das Formel-1-Abenteuer von Sassetti endete mit dem unerreichten Rekord, dass der damalige Autosport-Weltverband das Team gleich zwei Mal von der WM ausschliessen musste.
Als Sassetti im September 1991 das dahinsiechende Coloni-Team inhalierte, samt Chassis C4, war er von Fachwissen im Motorsport eher unbelastet. Er änderte den Team-Namen in Andrea Moda Formula und trug sich keck in die Formel-1-WM ein.
Der C4 wurde vom Chef auf einer normalen Strasse ausgeführt, es dauerte nicht lange, bis die Polizei auftauchte und die Beamten nachsichtig sagten: «Äh, ihnen ist schon klar, dass sie mit diesem Auto nicht auf einfach so herumfahren können, ja?» Antwort von Andrea: «Wisst ihr nicht, wer ich bin. Ich bin Sassetti.»
Da im Vorfeld des WM-Beginns 1992 in Südafrika über dem neuen Team ziemlich viele Fragezeichen schwebten, schloss der Rennverband Andrea Moda Formula zunächst mal von der Teilnahme an der Weltmeisterschaft aus.
In den folgenden Wochen kam es zu einer Einigung zwischen Sassetti und der FIA: Nach Entrichtung einer Sicherheitsgebühr (angeblich 500.000 Dollar) wurde Andrea Moda Formula zur Weltmeisterschaft zugelassen.
Bedingung war der allerdings der Aufbau eines neuen Autos, worauf das Team bei den Rennen von Südafrika und Mexiko auf der Bahn fehlte, weil da nur der die alte Coloni-Kiste mitgebracht worden war.
Das Design des (hüstel-hüstel) neuen Wagens des Typs S921 (für Sassetti, das Jahr 1992 und die Formel 1) basierte auf jener Studie, die Designer Nick Wirth für ein potenzielles BMW-Formel-1-Projekt gebaut hatte. Als Sassetti damit antrat, war es schon ein paar Jahre alt, aber hey, na wenn schon!
1992 mühten sich mit dem jämmerlichen Rennwagen Alex Caffi, Roberto Moreno, Perry McCarthy und Enrico Bertaggia ab.
Nur der Brasilianer Moreno schaffte in Monaco das Wunder, sich für ein Rennen zu qualifizieren, als 26., 5,5 Sekunden langsamer als Nigel Mansell auf Pole-Position, schied aber bald aus, weil sein altersschwacher Judd-Motor nach elf Runden sein Leben aushauchte.
Perry McCarthy beschrieb den Wagen später als «das schlechteste Auto, das ich je bewegt habe». Alex Caffi bezeichnete den Chef als «durchgeknallt». Kein Wunder, denn McCarthy wurde in Spanien beispielsweise bei knochentrockener Bahn mit Regenreifen auf die Reise geschickt!
Der Engländer schreibt in seiner überaus lesenswerten Autobiographie «Flat Out Flat Broke»: «Sassetti wurde von Enzo Coloni übers Ohr gehauen, was eine gewisse Ironie hat. Das Material bestand aus alten Chassis, einem rostigen Motor, einem verlotterten Lastwagen und einigen Werkzeugkisten. Ich glaube, er hat für den ganzen Krempel zwei Millionen Dollar bezahlt.»
In den folgenden Monaten meldete sich Andrea Moda zu neun Grossen Preisen, qualifizierte sich aber nur in Monaco, dank eines Husarenritts von Moreno, der bis heute auf vergeblich auf seine Verdienstmedaille wartet.
Perry McCarthy: «Eigentlich hätte neben Alex Caffi dessen Landsmann Enrico Bertaggia fahren sollen, aber der wurde noch vor der Saison gefeuert. Er hatte sich öffentlich darüber beklagt, dass der versprochene neue Wagen nie kam. Später in der Saison hatte er genug Geld zusammengekratzt, um doch zu fahren, aber nun wurde dem Team kein Fahrerwechsel erlaubt, also mussten sie mit mir vorliebnehmen. Daraufhin wurde mein Auto als rollendes Ersatzteillager für Moreno verwendet.»
In Spanien kam Perry nur wenige Meter weit, dann starb bei der Ausfahrt aus der Boxengasse der Motor ab. Training beendet.
McCarthy: «Es gab keinen Windabweiser, einen Sitz für mich gab es auch nicht, ich wurde im Auto wie eine Puppe hin- und hergeworfen. In Belgien blockierte die Lenkung, und ich zog mir einen Muskelriss in der Schulter zu, weil ich mit aller Macht am Lenkrad riss, um nicht geradeaus in die Leitschienen zu fahren.»
«Ich kam an die Box und sagte: ‘Die Lenkung verzieht sich.’ Die Antwort des Teams: ‘Oh, das wissen wir.’ Wie sich herausstellte, hatten sie diese Lenkung zuvor im Wagen von Roberto ausprobiert, erkannt, dass sie nicht funktioniert, und dann wurde sie einfach in mein Auto eingebaut. An diesem Punkt hatte ich genug und ging.»
Von März bis September 1992 kam es neben sportlichen Misserfolgen zu Aufsehen erregenden Zwischenfällen – unerklärliche Verluste von Triebwerken, Prügeleien unter Teammitgliedern, Haftbefehl für den Chef, von belgischen Beamten auf Antrag der Italiener ausgeführt. Vorwurf: Urkundenfälschung und Betrug. Das F1-Material wurde beschlagnahmt.
Daraufhin schloss die FISA Andrea Moda Formula im September 1992 zum zweiten Mal von der Weltmeisterschaft aus, die schwarzen Lastwagen wurden gar nicht mehr ins Fahrerlager von Monza eingelassen.
Die Entscheidung der Sporthoheit beruhte auf Artikel 166 des Reglements. Danach kann ein Team von der Weltmeisterschaft ausgeschlossen werden, wenn es dem Standard der Formel 1 nicht genügt oder den Sport in Misskredit bringt.
Sassetti verschwand in der Versenkung, betrieb in Italien Restaurants und Nachtklubs, dazu war er an Bau-Unternehmen beteiligt. 1992 brannte eine von ihm betriebene Disco ab, es roch nach Brandstiftung. Bei Sassettis Versuch, sich aus dem brennenden Gebäude zu retten, eröffnete ein unbekannter Schütze das Feuer.
2023 erschien in Italien die überaus sehenswerte, dreiteilige Dokumentation «Andrea Moda Formula – La Scuderia piu folle di sempre» (das verrückteste Team), die drei je 45 Minuten langen Episoden sind für je 6 Euro auf dem Bezahlportal Vimeo zu finden.