Brüder Brambilla: Gorilla und die Wahrheit zu Ferrari
Im Sommer 2020 herrschte Trauer in der GP-Stadt Monza: Ernesto «Tino» Brambilla war verstorben, im Alter von 86 Jahren. Tino stand stets im Schatten seines drei Jahre jüngeren Bruders Vittorio, der 2001 einem Herzanfall erlag.
Der Ältere der beiden Brambilla-Brüder trat nur zu zwei GP-Wochenenden an – 1963 mit einem Cooper T53 der Scuderia Centro Sud und natürlich zum Rennen in seiner Heimatstadt Monza, aber er konnte sich nicht fürs Rennen qualifizieren.
Nach tollen Leistungen in der Formel 2 für Ferrari schien die grosse Stunde von Tino Brambilla 1969 gekommen zu sein: Einsatz fürs Werks-Team mit einem Ferrari 312, natürlich wieder in Monza.
Brambilla trainierte, aber Enzo Ferrari überlegte es sich anders und setzte lieber den Mexikaner Pedro Rodríguez ein, der sich mit Rang 6 bedankte.
Tino Brambilla begann seine Karriere auf zwei Rädern, 1953 rückte er mit einer 125er Rumi aus, ein Jahr später war er auf einer MV Agusta italienischer Meister. Bis Ende 1959 wurde er Werksfahrer der legendären Marke.
Anfang der 60er Jahre sah Brambilla keine Chance mehr, auf zwei Rädern voranzukommen. Er kaufte sich einen Formel Junior. 1966 wurde er italienischer Formel-3-Meister, mit stolzen 32 Jahren.
Enzo Ferrari holte Brambilla aus guten Gründen nach Maranello. Denn Tino galt als hervorragender Testfahrer, und seine Arbeit wurde belohnt – Ferrari vertraute ihm ein Formel-2-Auto an.
Brambilla wurde EM-Dritter 1968 (hinter den beiden Matra-Piloten Jean-Pierre Beltoise und Henri Pescarolo).
Bei der Temporada Ende 1968 in Südamerika holte sich Brambilla den Sieg in Buenos Aires mit dem neuen Zweiliter-Dino und wurde Gesamtvierter hinter Andrea de Adamich, Jochen Rindt und Piers Courage.
Enzo Ferrari war so dankbar, dass er Ernesto einen Wagen für den Grossen Preis von Italien 1969 in Monza versprach. Was hätte es für Tino Grandioseres geben können, als mit einem Ferrari in seiner Heimatstadt anzutreten?
Aber Tino Brambilla fiel wenige Tage vor dem ersten Training vom Motorrad und verletzte sich. Er trainierte in Monza, aber er war mehr als zwei Sekunden langsamer als Rodríguez. Da hörte die Loyalität von Enzo Ferrari auf.
In seinem Buch «Piloti, che gente» hat Enzo Ferrari über Tino Brambilla das geschrieben: «Gutwillig, immer zu allem bereit. Er war so gut, dass er nie verstanden hat, wieso er den Ruf eines knallharten Racers hatte. Er ist der erste Fahrer, der mit einem unserer Formel-2-Dino den Sieg errungen hat, das habe ich nie vergessen.»
Ferrari war auch immer beeindruckt von der Offenheit Brambillas. Nach einigen Runden im neuen Ferrari 512 stieg Tino aus, ging zu Enzo Ferrari hinüber und sagte: «Wollen Sie, dass ich Ihnen die Wahrheit über den Wagen sage oder möchten Sie lieber ein Märchen hören?»
Enzo Ferrari: «Die Wahrheit.»
Tino Brambilla: «Der Wagen ist ungefähr so handlich und schnell wie eine Strassenbahn.»
Das brauchte Eier: Nicht jeder Rennfahrer hatte den Nerv, einem Enzo Ferrari reinen Wein einzuschenken.
2015 veröffentlichte Tino Brambilla seine überaus lesenswerte Autobiographie, auch hier machte er aus seinem Herzen keine Mördergrube. Leider ist das Buch nur in italienischer Sprache erschienen.
Im Februar 2020 trat Tino Brambilla letztmals in der Öffentlichkeit auf, er feierte in einem Restaurant in Lissone Geburtstag, umgeben von Freunden aus der Motorsportgemeinde, Mechanikern und Piloten wie Bruno Giacomelli. Es wurde gut gegessen, dem Wein zugesprochen, viel geredet und gelacht.
So wie das Tino Brambilla gemocht hat.
Vittorio Brambilla: Gorilla und Lämmchen
Wegen seines bulligen Körperbaus, eines steinzerquetschenden Händedrucks und einer rustikalen Fahrweise erhielt Vittorio Brambilla den Spitznamen Gorilla.
Doch Brambilla war ein Mann mit zwei Gesichtern. Im Fahrerlager die Ruhe in Person und sehr beliebt, im Zweikampf auf der Bahn gefürchtet. Am glücklichsten war Brambilla, wenn er in seiner Werkstatt an Autos schrauben konnte. Dann war er kein Gorilla, sondern eher ein Lämmchen.
Wie Ernesto war auch Vittorio absolut unerschrocken, unberechenbar im Zweikampf, mit enormem Kämpferherzen. Vittorio begann seine Karriere mit Motorradrennen, stieg dann aber in einen Go-Kart um und kletterte stetig die Erfolgsleiter hoch – Formel 3, Formel 2, Formel 1.
Der «Gorilla von Monza» war dabei ein Spätzünder. Im Alter von 36 Jahren gilt heute ein Formel-1-Fahrer in der Regel als Alteisen, 1974 gab Vittorio mit 36 sein GP-Debüt!
Brambilla bestritt insgesamt 74 Formel-1-WM-Läufe. 1975 triumphierte er für March im Regen-Chaos vom Österreichring – und brachte es fertig, den Wagen nach dem Überqueren der Ziellinie zu schrotten.
Lerne: Mit zwei Armen in der Luft jubeln, das ist wenig hilfreich, wenn der Wagen auf einer Pfütze ausbricht.
1978 wurde Brambilla ausgerechnet in Monza bei der Startkollision, die Ronnie Peterson das Leben kostete, von einem Rad am Helm getroffen und erlitt ein Schädel/Hirn-Trauma. In Monza (wo sonst?) gab er 1979 sein Comeback, aber das alte Feuer war erloschen.
Brambilla, mit Alfa Romeo 1977 Sportwagen-Weltmeister geworden, konzentrierte sich nun ganz auf seine Arbeit in der geliebten Werkstatt.
So oft er brenzlige Situationen im Rennwagen überlebt hatte, so merkwürdig war sein Tod: Am 26. Mai 2001 erlitt er einen Herzinfarkt – beim Rasenmähen.