Helmut Marko: Strafe hat Verstappen den Sieg gekostet

Max Verstappen und Dr. Helmut Marko
Mit etwas Abstand zum Geschehen beim Grossen Preis von Saudi-Arabien auf dem Jeddah Cornice Circuit bleibe ich dabei: Die Fünfsekunden-Strafe für Max Verstappen hat ihn den Sieg gekostet.
Denn Überholen wird immer schwieriger in der modernen Formel 1. Sobald sich ein Fahrer in den Luftwirbeln seines Vordermannes befindet, verliert das eigene Auto nicht nur aerodynamische Leistungsfähigkeit, das geht auch auf die Reifen.
Wir haben in Jeddah erlebt, wie Max dem Oscar Piastri im ersten Teil des Rennens um 2,5 Sekunden davonfahren konnte. Nach dem Stopp hat Verstappen auf den Australier Zeit gut gemacht, das zeigt mir – der Speed zum Sieg war da. Aber zum Schluss kam Max eben nicht nahe genug, um Piastri anzugreifen.
Am Funk wurde nicht besonders lange darüber diskutiert, den Platz an Piastri zurückzugeben, um dieser Strafe zu entgehen. Unser Strategie-Experte und Kontaktmann zur FIA hatte darauf hingewiesen: Wir hatten in der Formel 2 mehrere Fälle in der ersten Kurve erlebt, die ziemlich gleich verlaufen sind wie später Verstappen gegen Piastri. Da hat es keine Strafen gegeben, sondern lediglich Verwarnungen. Luke Browning machte das sogar zwei Mal und kam ohne Strafe davon.
Wir sahen die Szene eher als Rennzwischenfall, wie sie in einer ersten Kurve nach dem Start immer mal wieder vorkommen kann. Die Bilder wurden auch ein wenig verzerrt: Die erste Kamera-Einstellung zeigte Piastri deutlich vorne, aber in der eigentlichen Bremszone hatte Max dann wieder die Nase vorn.
Wir waren daher optimistisch, dass dies ohne Sanktionen abgeht und haben daher beschlossen, den Platz nicht preiszugeben; wohl wissend natürlich, dass wir, einmal hinter Piastri, schwerlich wieder am McLaren vorbeikommen.
Der Start von Max war nicht ganz so gut wie jener von Piastri, weil Verstappen im zweiten und dritten Gang durchdrehende Räder gehabt hat, daher konnte Piastri auf gleiche Höhe ziehen.
Piastri hat nun erstmals in seiner Karriere die WM-Führung übernommen und macht sich mit Leistungen wie in den vergangenen Rennen zum Hauptgegner. Es muss sich allerdings zeigen, ob Oscar dieses Leistungsniveau über die ganze Saison halten kann. Im Vorjahr gab es die eine oder andere Strecke, wo der Australier gegenüber Lando Norris leicht bis deutlich abgefallen ist.
Konzentrieren wir uns aufs Positive: Gerade nach dem schwierigen Wochenende von Bahrain war im Team grosse Erleichterung zu spüren, wie gut es in Jeddah gelaufen ist. Diese Konkurrenzfähigkeit kam auch für uns ein wenig überraschend. Wir hatten nicht erwartet, gegen McLaren die Oberhand zu haben. Auch am Freitag hatte das durchaus nicht so ausgesehen.
Die markante Steigerung gemessen an Bahrain geht auf verschiedene Faktoren zurück.
Wir haben uns in Sachen Abstimmung in die richtige Richtung bewegt, und das hat einmal mehr gezeigt – das gute Set-up zu finden, ist mit unserem Auto schwierig, aber wenn wir das beste Wirkungsfenster treffen, dann ist der Wagen absolut wettbewerbsfähig. Wenn es nicht klappt, siehe Bahrain, dann gondeln wir im Bereich um den sechsten Platz herum.
Die Steigerung hatte auch mit der Pistencharakteristik zu tun: In Bahrain finden wir vorwiegend mittelschnelle Kurven, dazu einen ganz rauen Belag. Jeddah ist ganz anders – sehr schnelle, fliessende Kurven und ein Asphalt, der kaum Reifenverschleiss erzeugt. Es war auffällig, dass es auch im Rennen von den Piloten kaum Beschwerden über die Reifen gab, die Piloten konnten weitgehend voll fahren.
Nach dem Bahrain-GP hatten wir gesagt, Red Bull Racing müsse auch das Vorgehen während des Trainings überdenken. Das ist in Jeddah bereits umgesetzt worden, indem wie beispielsweise Quali-Simulationen realistischer gestalten und daher bessere Anhaltspunkte bekommen, wo wir da stehen.
Eine Zwischenbilanz zu Yuki Tsunoda im zweiten Wagen, nach seinen ersten drei Wochenenden mit Red Bull Racing: Sein Speed stimmt, auch die Herangehensweise. Wenn’s dann ernst wird in der Qualifikation, verliert er Zeit auf Max, aber der normale Rahmen liegt bei zwei oder drei Zehnteln. Tsunoda geht seinen eigenen Weg.
Ein Crash wie mit Gasly in der ersten Runde des Saudi-Arabien-GP, das kann passieren, aus unserer Berechnung hätte er Sechster werden können. Und das ist ein Riesenfortschritt, denn vor ihm kam unser zweites Auto ja selten in die Nähe der Top-Ten.
Reden wir von den Racing Bulls. Rückkehrer Liam Lawson schlägt sich gut. In Jeddah war er einen Hauch schneller als Isack Hadjar, im Rennen mehr oder weniger gleichauf. Der Neuseeländer hat sich gefangen.
Hadjar ist aus meiner Sicht die Entdeckung dieser ersten WM-Phase. Der junge Pariser kannte die meisten Kurse nicht, war aber immer auf Anhieb schnell und machte wenig Fehler, vom Patzer in Australien mal abgesehen.
Isack schafft in den Rennen, womit sich viele Formel-1-Neulinge schwertun – er zeigt konstant gute Rundenzeiten, während er mit den Reifen sehr gut umgeht. All das liefert er relativ unaufgeregt ab.
Zurück zu Red Bull Racing: Was bedeuten die Erkenntnisse aus den ersten fünf Rennen nun für den kommenden Lauf von Miami? Wir reden hier erneut von einer ganz anderen Bahn, vor allem aber ist mit höheren Temperaturen zu rechnen. Auf dem Papier ist das für uns kein Vorteil. Wir waren in Jeddah im dritten Training acht Zehntel hinter McLaren, bei markant wärmeren Bedingungen als später in der Quali.
Da haben wir und auch die anderen Gegner erwartet, dass McLaren allen auf und davon fahren würde. Das ist aber nicht passiert. In Miami erwarten wir dennoch, dass die Bedingungen eher McLaren entgegenkommen.
Unsere Aufgabe besteht derzeit darin, für unseren Rennwagen ein breiteres Arbeitsfenster zu erarbeiten; und auch daran, gewisse Schwächen des Autos bis zu den Läufen in Europa zu verringern und so den Grund-Speed des Wagens zu verbessern.