Wintergrüsse aus St. Moritz – oder eben nicht...
Neulich in St. Moritz
Wir befinden uns ja auf halbem Weg zwischen dem atemraubenden Finale von Brasilien 2012 und dem WM-Auftakt 2013 in Australien.
Aber Interlagos scheint mir kilometerweiter weg zu liegen als nur 57 Tage, eher wie ein flüchtiger Traum gleich nach dem Erwachen, und ebenso seltsam kommt es mir vor, dass in 49 Tagen in Melbourne alles wieder von vorne losgeht. In 49 Tagen schon?
Zeit ist ein seltsames Phänomen: Für Jenson Button mag sie in Gesellschaft von Jessica Michibata wie im Fluge vergehen (Ferien in Hawaii können da auch nicht schaden), wie zähflüssig dehnen sich Sekunden zu Stunden beim baldigen Exklusiv-Interview mit Kimi Räikkönen (zu erwartende Antworten: Nein, ich weiss nicht, ist mir wurscht – egal auf welche Fragen).
Die meisten Menschen, die davon erfahren, dass ich mit dem Grand-Prix-Zirkus um die Welt ziehe, sind davon überzeugt, dass ich im Winter auf der faulen Haut liege. Schliesslich findet ja auch kein Rennen statt, nicht wahr?
Sie stellen sich meine Winterpause so glamourös vor wie mein übriges Leben: Es bleibt also beim Dom Pérignon, bei weichen Daunen in Luxus-Hotels, bei feurigen PS (wenn auch auf vier Beinen statt vier Rädern) und, apropos, bei Beinen bis an den Hals, was unsere aparte Gesellschaft angeht, nur eben mit der Kulisse St. Moritz statt Monaco und mit Ski- statt Rennpiste.
So, lassen wir diese Illusion noch einen Moment einsickern.
In Wahrheit mache ich, was die meisten meiner Kollegen und unzählige weitere der rund 2000 Verrückten machen, die den GP-Tross bilden: Sie kümmern sich um Dinge, die Monate lang liegengeblieben sind und versuchen, ihr Privatleben wieder auf ein normales Niveau zu heben.
Natürlich sind wir alle mit den besten Lebenspartnern von allen zusammen, denn wer sonst hätte so viel Geduld mit unserem Zigeuner-Dasein? Wenn es dann aber darum geht, endlich mal die längst fälligen Instandhaltungs-Arbeiten am Haus statt zeitfressenden Bürokram zu erledigen (glamourös, gell?), dann haben auch die nachsichtigsten Ehefrauen eine überschaubare Geduld – und das völlig zu Recht.
Ähnliches gilt für unsere Freunde, für die wir meist nur akustisch (Telefon) oder visuell (e-mail), aber kaum in Form von körperlicher Anwesenheit existieren. Ein völlig normales Gespräch über Kinofilme mündet ja während der Saison nicht (wie bei anderen) in den Besuch des neusten Streifens, sondern in unsere Bemerkung, dass wir den schon im Flugzeug gesehen haben.
Natürlich geniessen es daher die Meisten von uns, endlich mal nicht alle paar Tage einen Koffer packen zu müssen und statt dessen die eigenen vier Wände zu sehen. «Seit wann haben wir dieses Bild? Und wer sind eigentlich diese entzückenden Knirpse? Ach so, unsere eigenen.»
Mit der Zeit jedoch beginnt es beim einen oder anderen zu kribbeln. Von Oktober bis Dezember «Jingle Bells» in jedem Laden, das ist einfach kein passender Ersatz für den satten Sound eines V8-Formel-1-Motors.
Und die beste Ehefrau von allen findet meinen Jux inzwischen nur noch mässig lustig, wenn ich festhalte, dass der Zimmer-Service in diesem Etablissement etwas zu wünschen übrig lasse.
Meist um diese Zeit weist mich die beste Frau von allen darauf hin, dass ich mir doch bitteschön ein neues Rennauto oder einen Wintertest anschauen solle.
Wer wäre ich, einer schönen Frau etwas auszuschlagen?
Nächste Wortmeldung also aus Woking, Maranello, Hinwil oder Jerez.
Und nun müssen Sie mich entschuldigen – der Wasserhahn im Bad tropft.