Formel-1-Sport und die Reifen: Aus Erfahrung dümmer?
Der Automobil-Weltverband FIA hat auf die Reifenplatzer von Silverstone und den Boxengasse-Unfall am Nürburgring flink reagiert. Das ist lobenswert. Bei etwas mehr Weitsicht stellt sich jedoch die Frage: Werden die Entscheidungsträger des Formel-1-Sports – in diesem Falle FIA-Chef Jean Todt und die GP-Teamchefs – aus Erfahrung dümmer? Das Reifenfiasko von 2013 (Laufflächen-Ablösungen, Reifenplatzer, Notfallszenarien) passierte unter anderem deshalb, weil man sich seit Jahren ein viel zu starres Reglement auferlegt hat und im Winter falsch testet.
Was nützen Wintertests in Spanien bei zwölf Grad, wenn es später in Malaysia drei Mal so warm ist? Die Formel 1 stolpert derzeit munter dem nächsten Schlamassel entgegen, und die meisten gucken zu.
Einer der wenigen, die immer und immer wieder vor den neuen Gefahren warnen, ist Pirelli-Rennchef Paul Hembery. Inzwischen wirkt er ein wenig wie der Junge, der wiederholt «Feuer!» rief und sich dann über den Schrecken der Dorfbewohner amüsierte. Bis es eines Tages wirklich brannte und keiner seinen Warnmeldungen glaubte. Das Dorf brannte nieder.
Die Platte, die Paul Hembery stets aufs Neue auflegt: «Wir brauchen Tests mit aktuellen Autos. Wir brauchen von den Teams mehr Informationen über die 2014er Fahrzeuge, deren Antrieb ganz andere Drehmomentwerte erzeugt. Simulationen zeigen – durchdrehende Räder im vierten und fünften Gang, auf so etwas müssen wir uns doch vorbereiten können.»
Hembery weiter: «Wir brauchen dringend Tests auf nasser Bahn. Wir könnten in die Situation gelangen, dass wir im ganzen Testwinter nie auf nasser Rennstrecke fahren, und dann sind wir schwupps in Malaysia, und die Fahrer sollen erstmals mit Regenreifen ausrücken? Wir brauchen im Reglement verankerte Richtlinien, was den Gebrauch der Reifen angeht, ich spreche jetzt von Reifendrücken oder der Einstellung des Radsturzes. Wir brauchen Tests auf schnellen Strecken wie jetzt Silverstone. Wir brauchen mehr Unterstützung von den Rennställen als Kollektiv. Wir wollten das Problem der Laufflächen-Ablösungen schon vor dem Kanada-GP in den Griff bekommen, aber sieben Teams wollten das eine und vier etwas anderes. Ich finde, der Zusammenhalt ist in den letzten zweieinhalb Jahren dramatisch schlechter geworden.»
Die Neidgesellschaft Formel 1 verhindert vernünftige Lösungen.
Bei Hembery haben sich inzwischen einige Rennställe gemeldet, die mit 2011er Autos testen wollen. Das ist gemäss Formel-1-Reglement erlaubt. Tests mit aktuellen Rennwagen hingegen nicht (was zum Test-Skandal um Mercedes-Benz und zu einer Strafe des Automobilverbands führte), aber genau diese modernsten Renner bräuchte Hembery, um aussagekräftige Daten sammeln zu können.
Darum hat er Brite angeregt, um Anschluss ans WM-Finale in Brasilien zu testen. Der Vorschlag eines Dezember-Tests in Abu Dhabi liegt ebenfalls auf dem Tisch.
Doch auch da bauen sich Hürden auf: Gegenwärtig ist es reglementarisch verboten, nach Abschluss der Formle-1-WM und bis zum Beginn der Wintertests Probefahrten durchzuführen – das würde Interlagos wie Abu Dhabi verunmöglichen. In São Paulo hat die Stadtpolizei zudem abgewinkt, was der Schutz der Teams angeht: die Sicherheit wird nur bis Sonntagnacht des Brasilien-GP garantiert, die Behörden haben nicht die Mittel, um den Schutz um vier bis fünf Tage auszubauen.
Hembery ist überzeugt: «Es muss sich etwas ändern.» Dazu müssen freilich der Autoverband FIA und die Rennställe aus ihrer Schockstarre erwachen.