Sebastian Vettel: Die Buhrufer gehen auf Welttournee
Sebastian Vettel nach seinem Sieg in Singapur
Die Regel ist fast so alt wie der Motorsport: Gewinnst du einmal, klopfen dir alle auf die Schulter. Gewinnst du drei Mal, wirst du verachtet. Der dreifache Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel hat nun drei Grands Prix in Serie gewonnen, und so unterschiedlich die Rennstrecken von Spa-Francorchamps, Monza und Singapur sein mögen – so identisch war die Reaktion einiger zu Fusse des Siegerpodests: sie buhten.
Ex-GP-Pilot Martin Brundle, der in Singapur die Siegerpodest-Interviews führte, übte sich im Fremdschämen: «Tut das nicht, das ist nicht in Ordnung», tadelte der Brite.
Der Champion selber versucht, den Buhrufen mit Ironie zu begegnen. In Silverstone sagte er nach einem mittelmässigen Schlagzeugeinsatz beim Nach-GP-Rockkonzert: «So, jetzt habt ihr wirklich einen Grund zum Buhen.» In Monza meinte er: «Was soll man manchen? Wir sind hier im Ferrari-Land, natürlich sind da die Tifosi nicht happy über meinen Sieg.» In Singapur schmunzelte er: «Ich glaube ja, das sind immer die Gleichen, und die haben sich nun auf eine Welttournee gemacht.»
Aber so einfach und so unbedeutend ist das alles nicht.
Aus Sicht von Vettel ist das so zu sehen: «Schon in jungen Jahren ist mir klar geworden, dass man es nicht allen Recht machen kann. Und wenn wir einigen Fans einen Grund zum Buhen geben, dann heisst das im Umkehrschluss ja auch, dass wir offenbar vieles richtig gemacht haben.»
Motorsport polarisiert. Es gab immer wieder Schmährufe für einige Piloten, und das nicht nur in der Formel 1. Ross-Fans haben in der MotoGP Sieger Lorenzo ausgebuht. In den USA wurde «Mr. Nice Guy» Jeff Gordon jahrelang ausgebuht, weil er den Earnhardt-Fans zu aalglatt war – und zu schnell.
Die Buhrufe für Vettel hingegen haben verschiedene Gründe.
Wenn sie von Ferrari-Fans kommen, dann würde das von einem erstaunlich schlechten Gedächtnis stammen: Fuhr nicht ein anderer Deutscher einst für Ferrari und hat noch erheblich öfter gewonnen? Wo waren da die Buhrufe? (Wenn nicht eben Ferrari wieder mal eine Stallorder verhängt hatte ...)
Britischen Fans stösst es vielleicht sauer auf, dass nach Michael Schumacher erneut ein Deutscher so oft triumphiert. Viele von ihnen kreiden Vettel mangelndes Fairplay an, sie verweisen dann gerne darauf, wie Sebastian in Malaysia die Stallorder ignorierte, um Mark Webber zu überrumpeln. Der ist zwar Australier, gehört aber als Mitglied des Commonwealth gewissermassen zum Königreich. Aber auch hier fahren sich die Buhrufer in die Logik-Sackgasse: Wenn sie Vettel wegen mangelnder Sportlichkeit ausbuhen, was sind dann ihre eigenen Buhrufe?
Einige buhen vielleicht, weil ihnen einfach ein Fahrer zu oft gewinnt – mal abgesehen von Rennstallzugehörigkeit und Nationalität. Aber auch hier: Wer, bitte, buht in der Leichtathletik Usain Bolt aus, wenn er erneut den Gegnern davongeflitzt ist? Wer buht nach gewonnenem Tennisfinale Novak Djokovic aus?
Einige buhen vielleicht auch deswegen, weil ihnen dieser Vettel einfach zu nett ist. Sie missverstehen Weltoffenheit und Interesse an der globalen Vielfalt als Anbiederung. Wer Sebastian Vettel etwas näher kennt, der weiss jedoch: die Wissbegierde ist echt, das hat nichts damit zu tun, sich bei den Fans einschmeicheln zu wollen.
Nach einem Sponsortermin hier in Singapur wurde Sebastian Vettel zurück ins Hotel gefahren. Über den Trubel vor hingerissenen Fans philosophierte der Champion: «Man muss sich schon im Klaren darüber sein – das ist nicht die wirkliche Welt. Als Star verehrt zu werden, in einer Limousine herumgefahren zu werden, in tollen Hotels abzusteigen, das ist nicht die wirkliche Welt. Die wirkliche Welt besteht darin, dass ich irgendwo eine Strasse entlang gehe, und kein Mensch erkennt mich. So wie tausende andere diese Strasse entlang gehen, und auch sie erkennt keiner. Die Wirklichkeit ist das Zuhause, das sind Familie und Freunde.»
So lange Sebastian Vettel so geerdet bleibt, wird er sich von ein paar Buhrufen nicht aus der Balance bringen lassen.