Adrian Newey: «Regeln erzwingen Hässlichkeit!»
Adrian Newey
Adrian Newey ist Ästhet. Insofern sind ihm die meisten der neuen Formel-1-Renner ein Dorn im Auge, wie er freimütig zugibt. Der genialste Techniker im Grand-Prix-Sport schimpft: «Es ist eine Schande, wenn die Regeln zu teilweise so hässlichen Lösungen zwingen. Aber unterm Strich geht es auch für uns um Leistung, nicht um Stil. Also müssen wir uns dem beugen.» Hier seine Gedanken zur Formel 1 anno 2014.
Eine gewaltige Herausforderung
Grosse Wechsel im Reglement sind immer grosse Herausforderungen. Aber dieses Mal sind es gleich zwei Veränderungen, die du umsetzen musstest – zum einen die Änderungen bei der Aerodynamik. Die sind zwar nicht so gross wie vor der Saison 2009, aber noch gross genug, um dir Kopfweh zu machen. Und dann hast die die neuen Antriebseinheiten mit dem neuen V6-Turbomotor samt Mehrfach-Energierückgewinnung. Jetzt kann man sagen: gut, das ist die Arbeit von Renault, nicht von uns, aber heute musst du enger denn je mit deinem Motorenpartner kooperieren, um diese Antriebseinheiten optimal ins Auto einzupassen.
Besonders auf den drei Formel-1-Motorenherstellern lastet viel Druck: sie haben Enormes geleistet, und sie alle sind reichlich nervös, ob alles gutgehen wird in Sachen Standfestigkeit. Ich bin sicher, jeder von ihnen würde liebend gerne sechs Monate mehr Zeit haben, doch diesen Luxus gibt es nicht.
Wir hatten einen ziemlich gedrängten Zeitplan in den vergangenen Monaten. Wir hatten einen WM-Titel erfolgreich zu verteidigen, und parallel dazu mussten wir das neue Auto planen. Rückblickend hätten wir es uns erlauben können, die Entwicklung des 2013er Autos früher einzustellen. Das hat uns vielleicht bei der Entwicklung des 2014er Autos gefehlt.
Konservativ oder aggressiv?
Ein so grundlegend anderes Reglement führt nicht gezwungenermassen zu konservativen Lösungen. Es führt aber bestimmt dazu, dass du verflixt wenig Zeit für sehr viele Aufgaben hast. Ich kann die Truppe zuhause in Milton Keynes gar nicht genug dafür loben, dass wir es überhaupt rechtzeitig nach Jerez geschafft haben. Selbst für unsere Verhältnisse war alles am Anschlag. Was jedoch die ersten Rennen angeht, so könnte das Hauptaugenmerk der Teams durchaus auf Standfestigkeit liegen. Insofern stimmt das mit der konservativen Herangehensweise zu einem gewissen Teil.
Abkehr von hochbeinigen Autos?
Es ist vor dem Hintergrund des neuen Reglements gewiss schwieriger geworden, so zu fahren. Wir haben das auch gesehen, als es 2011 Einschränkungen beim Reglement gab. Wir mussten an der Hinterachse eine Weile niedriger fahren, bis wir wieder mehr Anpressdruck hatten. Ich finde es schade, dass wir diesen Vorteil verloren haben, zumal wir das vielleicht etwas cleverer gelöst hatten als andere. Aber diese Aufgabe ist für alle die Gleiche.
Der grösste Handlungsbedarf
Zunächst müssen wir zwei Dinge auf die Reihe bekommen – die Standfestigkeit und der Kraftstoffverbrauch. Wenn das alles im grünen Bereich ist, dann wird wieder mehr an der Aerodynamik gefeilt. Entwicklungspotenzial sehe ich am Frontflügel, der ja schmaler geworden ist. Die Endplatten stehen nun vor den Vorderrädern, das ist für den Aerodynamiker ungefähr der doofste Platz, den du dafür haben kannst. Das ist eine echte Denksportaufgabe.
Denksportaufgabe Antriebseinheit
Ich glaube, die elektrische Seite ist bei den neuen Antriebseinheiten die komplexeste Seite. Turbos sind eine bekannte Grösse, auch wenn wir sie in der Formel 1 eine Weile nicht hatten. Aber die Elektrik ist immens komplex. Ein F1-Renner ist ja nicht mit einem Hybridauto der Strasse zu vergleichen, die sehr lange entwickelt werden, bevor sie auf den Markt kommen. Diese Zeit haben wir in der Formel 1 einfach nicht. Ein Beispiel: Wenn du früher ein Problem mit dem KERS hattest, dann war das zwar ärgerlich, aber du konntest weiterfahren. Wenn du heute ein Problem mit dem ERS hast, dann kannst du den Wagen gleich parken. Wird der Antrieb der dominierende Faktor sein? Das könnte in den ersten Rennen so sein. Die Autos sind quasi unterentwickelt. Das wird sich erst im Laufe der Saison verändern.
Reizthema Sicherheit
Ein gutes Beispiel ist die Platzierung der Batterien. Wir haben das KERS früher aus Batterien gespiesen, die wir zuvor in und um das Getriebegehäuse platziert hatten. Das war für die Gewichtsverteilung sehr gut. Nun ist der Platz des Batteriepakets vorgeschrieben, und ich weiss jetzt nicht, was aus Sicht der Sicherheit der Vorteil sein soll, wenn das Batteriepaket so nahe beim Tank platziert ist. Wir haben sehr wenig Freiheiten heute, aber das ist für alle das Gleiche.
Es gibt auch noch den Aspekt der tiefen Nasen. Hohe Nasen sollen ja verbannt werden, weil ein Auto aufsteigen könnte, wenn man auf einen Konkurrenten auffährt. Aber wir haben in der Vergangenheit zwei Dinge gelernt: Ein Auto kann auch mit niedriger Nase aufsteigen. Siehe die beiden Minardi damals in Monza, als Christian Fittipaldi einen Rückwärtssalto machte. Oder siehe Riccardo Patrese, der sich in Portugal nach einer Kollision mit dem Wagen von Gerhard Berger überschlug. Und ich erinnere mich an einen haarigen Moment in Abu Dhabi, als sich Michael Schumacher drehte und von einem Force India getroffen wurde, dieses Auto wurde dann förmlich auf den Wagen von Schumacher aufgeschaufelt. Ein ähnlicher Effekt könnte geschehen, wenn ein Fahrzeug in Reifenstapel eintaucht. Ich sehe da also durchaus Potenzial für Gefahr. Der Umgang mit den erheblich kraftvolleren Batterien ist auch nicht ganz unproblematisch.
Reifen, das vergessene Thema
Derzeit wird sehr wenig von den Reifen gesprochen. Das wird sich bei den Rennen wieder ändern. Pirelli hat im vergangenen Jahr sehr schnell auf den Schock von Silverstone reagiert. Ich bin sicher, sie haben sich sehr seriös vorbereitet. Ich wäre sehr überrascht, wenn es Probleme geben würde. Was hingegen passieren könnte: die neuen Motoren scheinen härtere Mischungen zu erfordern, und das könnte auf einigen Strecken zu Problemen mit dem Aufwärmen führen.
Der verlorene Favorit
Es gibt überhaupt keinen Favoriten bei so einem markanten Reglementswechsel. Da kannst du keine Vorhersagen machen.