Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

Stirling Moss und ein Unfall, der alles veränderte

Von Daniel Frischknecht
Sir Stirling Moss

Sir Stirling Moss

Vor genau 52 Jahren veränderte das Oster-Rennwochenende in Goodwood und ein böser Crash für Stirling Moss alles: Die Welt bangte um das Leben des besten Rennfahrers seiner Epoche.

Sir Stirling Moss ist eine der grossen Figuren des Rennsports. Ein Rennverrückter, der praktisch überall antrat, wo er konnte; der zwischen 1948 und 1962 insgesamt 212 Rennen gewann, darunter die Mille Miglia 1955. Dennoch war das Siegen für den Briten kein Selbstzweck. Moss liebte die Herausforderung und zog es vor, mit britischen Autos gegen die damals überlegenen Alfa Romeo und Ferrari anzutreten. Eine Philosophie, die dem Gentleman viele glorreiche Triumphe bescherte, jedoch nie den Weltmeistertitel in der Formel 1. Bis heute ist Moss der beste Rennfahrer, der nie einen Formel-1-Titel gewann.

Das heutige Datum, der 23. April, ist für Moss von grosser Bedeutung. Es war der Tag, an dem seine einmalige Rennkarriere so gut wie beendet war. Auch darüber wollen wir uns mit der Rennlegende unterhalten.

Die Shepherd Street passt gut zum Londoner Stadtteil Mayfair. Klein, fein, ruhig, gesäumt mit lauter Backsteinfassaden. Eine britische Institution, wie sie Sir Stirling Moss längst eine ist, hätte sich keinen passenderen Wohnort aussuchen können. Wobei Wohnort etwas missverständlich ist, denn das dreistöckige Gebäude am Ende der Strasse ist Wohnhaus, Arbeitsstätte und Rennsportmuseum in einem.

Überall im Haus finden sich Zeugen einer glorreichen Motorsportvergangenheit: Bilder, Pokale, Modellautos und die berühmten «Scrapbooks», Stirling Moss’ Jahrbücher mit Zeitungsausschnitten über ihn. Trotz seiner 83 Jahre führt Stirling Moss das rastlose Leben eines Businessman, der von einem historischen Autorennen zum nächsten rast, fleissig Interviews gibt und sich ansonsten über seine Stirling Moss Ltd. mit der Vermarktung seines eigenen Ruhms beschäftigt.

Was hat Sie mit 17 zum Rennsport gebracht?

Ich las ein Buch über Prinz Bira, diesen Siamesen, der Rennen fuhr, und war total fasziniert davon. Also ging ich zu meinem Vater hin und sagte ihm, «ich möchte Rennen fahren», und er sagte, «keiner meiner Söhne wird Rennfahrer». Ich musste ihn also ein bisschen bearbeiten und schliesslich sagte er, «okay, aber du trägst einen Sturzhelm». Ich erinnere mich noch, wie ich sagte, «aber Dad, das ist doch was für Memmen!» Keiner der Fahrer trug einen Sturzhelm, die hatten alle diese Stoffhelme. Aber er fand dann dieses riesige, grässliche schwarze Ding und sagte, «den wirst du tragen». Was ich dann auch tat.

Was braucht es, um ein erfolgreicher Rennfahrer zu werden?

Man muss ins Auto sitzen und mit Geschick und Draufgängertum die anderen schlagen. Ein richtig eingefleischter Rennfahrer ist einer, der auch dann noch alles gibt, wenn er nicht die geringste Aussicht auf einen Sieg hat.

An einigen Punkten in Ihrer Karriere haben Sie Angebote, ein besseres Auto als Ihres zu fahren, abgelehnt. Gefiel Ihnen die Rolle des Underdog?

Ich habe versucht, mich an britische Autos zu halten, weil der Krieg gerade zu Ende war und ich sehr stolz darauf war, ein Brite zu sein. Aber schliesslich gab es keine schnellen englischen Autos mehr. Also habe ich eine Pressekonferenz einberufen und gesagt: «Schaut, ich möchte gerne Rennen mit englischen Autos fahren, aber ich kann nur Erfolg haben, wenn ich ein ausländisches Auto kaufe.» Da sagten alle: «Kauf das ausländische Auto. Es ist doch besser, ein Engländer gewinnt in einem ausländischen Auto als gar nicht.» Also habe ich einen Maserati gekauft. Wir haben mit Maserati vereinbart, dass mein Auto genau gleich sein soll wie ihres. Aber in einem Training war ich auf der Geraden und John Baron rauschte in einem anderen Wagen an mir vorbei. Da bin ich zu ihm hin und fragte: «Was soll das?» Und er sagte mir: «Wir haben einen neuen Zylinderkopf sowie neue Ventile, doch wollten wir sie dir erst geben, nachdem wir es getestet haben.»

Was haben Sie dann gemacht?

Wir haben ebenfalls an meinem Auto gearbeitet und am Schluss habe ich sie geschlagen. Dann haben sie gesagt: «Führe du das Team an», von daher hatte sich die Arbeit ja gelohnt.

Wie wichtig war der Fahrer damals im Vergleich zu heute?

Zu jener Zeit war der Fahrer vielleicht zu 15 Prozent für einen Sieg verantwortlich. Heute sind das – und das hat nichts mit der Fähigkeit zu tun, das ist heute einfach so – nur etwa drei bis vier Prozent. Heute sind alle Autos dermassen gut. Damals war der Input des Fahrers wichtiger, er zählte mehr als heute.

Schaut man sich Ihre unglaubliche Gewinnstatistik an, scheint es, dass Sie das Gewinnen wirklich gewohnt waren. Wie war es denn, wenn Sie mal nicht zuoberst auf dem Treppchen standen?

Wir haben da ein Sprichwort: «Zeig mir einen Mann, der Zweiter ist, und ich zeige dir einen Verlierer.» Im Ernst, wer will schon Zweiter werden?

Aber damals mussten sogar Sie manchmal einer Teamorder gehorchen und das Rennen als Zweiter beenden.

Es hat mir nichts ausgemacht, hinter Fangio Zweiter zu werden. Er war in meinen Augen der allergrösste Fahrer. Im Sportwagen konnte ich ihn schlagen, aber in der Formel Eins war er wirklich grandios. Und ein Supertyp.

Von allen Autos, mit denen Sie Rennen gefahren sind: Welches war Ihr Favorit?

Die besten Wagen hatte ich von Mercedes, die waren wirklich solid. Am meisten Spass gemacht hat aber der 250F Maserati, der, wenn er von Ferrari gebaut worden wäre, wohl noch viel besser gewesen wäre. Das Design von Maserati war hervorragend, aber die Mechanik von Ferrari war einfach besser.

Würden Sie heute immer noch Rennen fahren? Also, wenn Sie 20 wären?

Ich würde nicht lieber heute Rennen fahren als damals. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auch heute Rennfahrer werden würde. Ich weiss nicht, wie viel Erfolg ich hätte. Heute sind die Rennen ja alle so kurz. Unsere dauerten drei Stunden und mehr. Und wir hatten viel Spass damals.

Ich bezweifle, dass Ihr Team Ihnen heute erlauben würde, 50 Rennen im Jahr zu fahren. Das wäre dann wohl sehr langweilig.

Das glaube ich nicht. Einer kann 50 Rennen fahren, wenn er will. Wenn du der Schnellste bist, bekommst du, was du willst.

Sie sagten, dass Sie Fangio im Sportwagen geschlagen hätten. Wieso?

Das habe ich ihn auch gefragt, und er sagte: «Ich sehe gerne die Räder.» Er mochte die abgedeckten Räder der Tourenwagen nicht. Also mich kümmern die Räder nicht, ich schaue auf die 300 Yards vor mir, aber das hat er gesagt. Aber er war grossartig in den Rennwagen der Formel Eins. Ich erinnere mich, wie wir nach Monaco gingen, das erste europäische Rennen, das ich für Mercedes fuhr. Er hatte im Training die schnellste Runde gefahren, also bin ich hin und schlug ihn. Und er ging hin und schlug mich wiederum. Wir haben das 16 Mal gemacht, mussten dann aber damit aufhören, weil wir die Autos zu sehr strapazierten. Ich glaube, er fuhr ein bisschen näher am Limit als ich. Im Rennen reihte ich mich hinter ihm ein und wir fuhren dasselbe Tempo. Und ich hätte auch überholen dürfen, wenn ich gekonnt hätte. Wir hatten nur eine Teamorder: Hatte einer von uns 30 Sekunden Vorsprung auf den Rest des Felds, dann gaben sie ein Zeichen, dass wir die Position halten sollten.

Zu Ihrer Zeit hatten die Fahrer nur wenige Verpflichtungen neben der Rennstrecke.

Das ist wirklich ein grosser Unterschied. Wenn Lewis Hamilton heute ein Rennen gewinnt, muss er an alle diese Meet and Greets mit VIPs und Sponsoren. Wenn ich ein Rennen gewann, hatte ich nachher Zeit für die Mädels. Ich hatte es viel besser.

Wenn Hamilton heute nach einem Rennen an einer Party gesehen würde, gäbe das am nächsten Tag wohl überall fette Schlagzeilen.

Während meiner ganzen Karriere wurde wohl kein einziges Mal über mich im Sportteil geschrieben. Es war immer entweder auf Seite 1, wenn einer ums Leben gekommen war oder auf Seite drei bei den Gesellschaftsgeschichten.

Dann waren Autorennen damals eher Lifestyle als Sport?

Nun, das hat was. Für uns Fahrer war es natürlich Sport, es ist ja eine körperliche Anstrengung, wenn man es ernsthaft als Sportler betreibt.

Gingen Sie auch joggen oder hatten einen Trainer für die Fitness?

Nein, ich fuhr ja jede Woche Rennen. Wenn du jede Woche Rennen fährst, sind das drei Tage – Freitag, Samstag, Sonntag. Da musst du dich nicht speziell fit machen. Ich habe nie trainiert.

Fahren Sie noch Oldtimerrennen?

Das habe ich vor drei Jahren aufgegeben. Als ich 81 wurde, habe ich gedacht, jetzt reichts. Ich erinnerte mich daran, wie ich am Anfang meiner Rennkarriere dachte, «einer dieser Alten ist mir im Weg». So einer wollte ich nicht werden. Nachdem ich von einem Training in Le Mans zurückkam, sagte ich mir: «Das wars.» Da war nämlich ein anderes Auto, und ich habe gemerkt, dass ich Angst bekäme, wenn ich so schnell fahren würde, dass ich ihn schlagen kann. Also habe ich damit aufgehört.

Aber Sie fahren noch auf der Strasse?

Oh ja. Aber ich habe kein normales Fahrzeug, ich lebe in London und bin mit dem Roller unterwegs, der scheint mir ebenso gut wie ein Auto.

Sie sind tatsächlich mit dem Roller in London unterwegs?

Ja klar.

Wie sind Sie während Ihrer Zeit als Fahrer mit dem Risiko umgegangen?

Das war mein Leben. Es war einfach das, was ich machte. Ich hatte nie Angst vor dem Tod. Ich hatte viel mehr Angst davor, in einem brennenden Auto gefangen zu sein. Darum war ich nie angeschnallt.

Was passierte 1962 bei Ihrem Unfall?

Irgendetwas am Lotus ging kaputt und er prallte in einen Erdwall.

Haben Sie Erinnerungen an den Unfall?

Ich war einen Monat bewusstlos. Ich konnte mich an nichts erinnern, als ich aufwachte. Aber an die Nacht davor konnte ich mich erinnern, da hatte ich nämlich dieses südafrikanische Mädchen getroffen.

Wann sind Sie nach Ihrem Unfall wieder in ein Auto gestiegen?

Nachdem ich sechs Monate gelähmt gewesen war, erholte ich mich langsam. Nach etwa neun Monaten ging ich zum ersten Mal auf eine Rennstrecke, um mich zu testen, was viel zu früh war. Hätte ich noch ein Jahr zugewartet, wäre ich wohl zum Rennen zurückgekehrt. Aber als ich damals ein paar Testrunden drehte, merkte ich , dass Dinge, die ich immer automatisch getan hatte, nicht mehr automatisch funktionierten. Nichts davon war automatisch.

Was haben Sie denn getan, als Sie wieder auf dem Damm waren?

Da war ich auf einen Schlag 32 Jahre alt. Ich hatte keine Erfahrung in rein gar nichts und musste für meinen Lebensunterhalt arbeiten – das hat mich fast umgebracht. Also beschloss ich, meine Zeit zu verkaufen. Fragte mich jemand, ob ich an einem Event teilnehmen würde, stellte ich dafür Rechnung. Und natürlich wollten die Leute Geschichten über mich schreiben und solche Dinge. Alles, was ich verkaufen konnte, waren mein Ruhm und meine Zeit.

Mit freundlicher Genehmigung von Daniel Huber, Sponsorship Communications, Credit Suisse.

Mehr über das Leben von Sir Stirling Moss sehen Sie in dieser fabelhaften Dokumentation:

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