Bernie Ecclestone frei: Deutsche Justiz wird verhöhnt
Bernie Ecclestone
Der vorsitzende Richter Peter Noll versuchte als Schlusswort einen Scherz: «Ich gehe davon aus, dass wir uns nur noch im Fernsehen sehen werden», meinte er zu jenem 83-Jährigen, der gestern als freier Mann den Münchner Gerichtssaal verliess – Charles Bernard Ecclestone, Baumeister der modernen Formel 1, ehemals der Bestechung und Anstiftung der Untreue angeklagt. Das Lachen über Nolls Bonmot ist so manchem Beobachter im Halse stecken geblieben: Gemäss einer Umfrage der Bild-Zeitung finden vier von fünf Deutschen das Vorgehen der Justiz falsch.
Der Unmut der Bevölkerung (Tenor: «Reiche kaufen sich aus ihren Problemen frei») spiegelt sich in den Pressereaktionen wider. Dabei wird weniger Ecclestone ein Vorwurf gemacht, wie er sich seiner rechtlichen Probleme entledigt hat, vielmehr bekommt die deutsche Justiz ihr Fett weg, dass man auf die Offerte einer Zahlung von 100 Mio Dollar eingegangen ist. Wir haben für Sie einige Stimmen gesammelt.
Süddeutsche Zeitung: Justiz käuflich?
«Es zeigt sich hier die Ausbreitung des Marktes und der ökonomischen Handlungslogik im Innersten des Rechtsstaates. Kommerzialisierung heißt hier: Wie ein Strafverfahren endet, hängt offenbar davon ab, wie viel ein Beschuldigter oder Angeklagter an den Staat zu zahlen bereit ist. Die Justiz wird zur Kassenjustiz. Gewiss: Die exorbitante Höhe der Geldzahlung ergibt sich nicht zuletzt aus den exorbitanten Einkommensverhältnissen des Bernie Ecclestone. Aber die Justiz nimmt in Kauf, dass sie als käuflich erscheint.»
Berliner Zeitung: Gesetzgeber muss reagieren
«Weder eignete sich der Fall für eine Einstellung, noch war es ein geeigneter Fall für einen Deal. Die Konsequenz dieser Entscheidung: Bernie Ecclestone steckt mit der einen Hand der Justiz 100 Millionen Dollar zu, die er mit der anderen an der Gelddruckmaschine Formel 1 im selben Augenblick verdient. Die Justiz hat sich Arbeit erspart, die Verteidigung einen Triumph erzielt, nur der Strafprozess schaut in Deutschland so verdutzt aus der Wäsche, als hätte ihn ein Auto aus dem Renn-Zirkus Bernie Ecclestones gerammt. Ecclestone schafft ein Zwei-Klassen-Wahlrecht. Der Gesetzgeber muss reagieren.»
Spiegel Online: Wahrheit auf der Strecke
« Die Richter geben sich zufrieden, doch jetzt wird wohl nie geklärt werden, was in dem Wirtschaftskrimi wirklich geschah. Die Wahrheit bleibt auf der Strecke.»
Neue Ruhr/Neue Rhein-Zeitung: Geld kauft Unschuld
«Geld kauft Unschuld. Das klingt schwer nach Bananenrepublik. Es mag ja sein, dass die Beweise gegen den Formel-1-Chef sich nicht als so hart erwiesen haben, dass es für eine Verurteilung gereicht hätte. Nur – wozu hat Ecclestone dann überhaupt gezahlt? Als jemand, der sein Geld zum Fenster rauswirft, ist er nicht bekannt. Es bleibt der Eindruck: Wer reich ist, ist vor dem Gesetz gleicher als andere. Bitter.»
Aachener Nachrichten: Gesetz pervertiert
«Wunder gibt es immer wieder. Nicht nur im deutschen Schlager, sondern auch vor deutschen Gerichten. Der Staat hat dafür einen eigenen Wunder-Paragraphen geschaffen. Dieses Gesetz produziert blütenreine Westen und lässt selbst hartnäckig anhaftenden Schmutz auf wundersame Weise verschwinden – gegen Cash, natürlich. Das ist Alltag an deutschen Gerichten. Kleinkriminelle profitieren von der immer mal wieder umstrittenen Regelung ebenso wie Promis. Der Deal aber, den das Landgericht München nun mit Formel-Eins-Boss Bernie Ecclestone geschlossen hat, ist in seinen Dimensionen einzigartig. Damit pervertiert das Gericht den Sinn des Gesetzes.»
Stuttgarter Zeitung: Schlechtes Gewissen
«Die 100 Millionen sind auch Ausdruck eines schlechten Gewissens des Gerichts. Hätte Ecclestone nämlich am Ende freigesprochen werden müssen, wäre dies zugleich der Beleg dafür gewesen, dass das Urteil gegen Gribkowsky in einem entscheidenden Punkt ein Fehlurteil war. Das wäre peinlich. Das Ende des Münchner Prozesses nützt zwei der Beteiligten, dem Rechtsstaat aber nicht.»
Märkische Allgemeine: Rechtsempfinden leidet
«Wer über die teure und zunehmend finanziell überforderte Justiz klagt, wurde gestern in München eines Besseren belehrt: Ein Prozess kostet nicht nur, er kann für den Staat sogar mehr einbringen. Verfahrenseinstellungen gegen Geldauflage sind in Deutschland keine Seltenheit. Ziel ist die Abkürzung von Verfahren, in denen es ohnehin nur um eine geringe Schuld geht. Ecclestone allerdings war kein Verkehrsrowdy. Es ging um den Vorwurf der Korruption in Millionen-Höhe. Ein Gericht ist nicht zum Geldverdienen da. Es soll Sachverhalte aufklären und für Gerechtigkeit sorgen. Wenn es sich diese Arbeit spart, leidet das Rechtsempfinden. Und sei der Deal noch so lukrativ.»
Die Welt: Ecclestone kauft alle
«Bernie Ecclestone kauft sie einfach alle – aus Sicht der Staatsanwälte mag es verständlich sein, dass der Formel-1-Chef sich für 100 Millionen Dollar freikaufen kann. Doch aus rechtsstaatlicher Sicht ist diese Gerichtsentscheidung schlimm.»