Horror-Crash-Folgen: Die Krux mit dem Speed-Limiter
Derzeit aktivieren die Piloten den Speed-Limiter eingangs der Boxengasse selbst: Bei Sauber wird der Speed-Limiter mit dem roten Knopf rechts oben (PL = Pit Limiter) aktiviert
16 Jahre begleitete Prof. Gary Hartstein als Formel-1-Arzt den Fahrerlager-Zirkus rund um die Welt. Der 59-jährige New Yorker kennt die Sicherheitsbestimmungen der Königsklasse wie seine Westentasche und warnt davor, nach dem Horror-Unfall von Jules Bianchi voreilige Änderungen am Reglement vorzunehmen. Der Marussia-Pilot hatte sich im Japan-GP bei einer Kollision mit einem Radlader schwere Kopfverletzungen zugezogen, nachdem er an der gleichen Stelle wie Adrian Sutil kurz zuvor abgeflogen war.
Der Unfall von Bianchi passierte während der Gelbphase, und weil ein Zuschauervideo aufzeigte, mit welchem Tempo der Franzose abflog, entbrannte in den Tagen nach dem Japan-GP eine Diskussion darüber, ob das Safety-Car hätte auf die Strecke kommen sollen. Dabei wurde auch die Frage laut, mit welchem Tempo die Formel-1-Piloten unter Gelb unterwegs waren. Der FIA-Rennleiter und Sicherheitsdelegierte Charlie Whiting räumte dabei ein, dass die Entscheidung über das Tempo während der Gelbphase künftig vielleicht nicht mehr beim Piloten liegen sollte.
Eine Idee sieht dabei vor, dass die Rennleitung mittels Knopfdruck den Speed-Limiter aktivieren kann, der alle Autos auf das gewünschte Tempo bremst. Doch Prof. Hartstein gibt zu bedenken: «In der Boxengasse herrschen überschaubare Bedingungen. Alles, was der Fahrer machen muss, ist den Speedlimiter zur richtigen Zeit zu drücken und zu vermeiden, keinen Boxengassenbesucher zu überfahren. Dann muss er nur noch die richtige Box ansteuern und anhalten. Die Situation im Rennen auf der Rennstrecke ist per Definition unkontrolliert. In derselben Kurve können die unterschiedlichsten Situationen eintreten, je nach dem, ob der Fahrer in einem Duell ist oder weit ausholen muss etc. Dann spielen auch noch Reifenabbau, Wetter und die Sichtverhältnisse eine Rolle.»
Hartstein erklärt weiter: «Man sieht doch schon, welche Auswirkungen die Betätigung des Speed-Limiters in der Boxengasse hat, da ist so viel Kraft, die gebändigt wird. Und dort sind die Autos nur geradeaus unterwegs. Nicht vorzustellen, wie das auf der Strecke passieren soll.»
Wer ist verantwortlich?
Aber das ist nicht der einzige Einwand, den Hartstein gegen die Verwendung eines Speed-Limiters hat. Der US-amerikanische Chirurg erklärt weiter: «Wenn wir einmal etwas weiter denken und uns fragen, wer dann noch menschlich, moralisch und rechtlich die Verantwortung für Unfälle trägt, die trotz oder wegen des Einsatzes solcher Systeme passieren, dann wird es schwierig. Derzeit ist ein Fahrer dafür verantwortlich, die Sicherheitsanweisungen und Regeln zu beachten. Das wäre dann nicht mehr der Fall.»
Auch den Einsatz von Durchschnitts-Tempovorgaben lehnt Hartstein ab: «Das ist eine Einheitslösung für alle Situationen und deshalb passt sie zu keiner wirklich gut. Wir alle wissen, dass es im Formel-1-Fahrerlager viele schlaue Köpfe gibt, die sicher auf die gleichen Resultate kommen werden, wenn sie wollen. Aber ich glaube, das könnte noch eine Weile dauern.»
Zum Schluss fordert der ehemalige Formel-1-Streckenarzt: «Es müssen einige Probleme angesprochen werden, um das Leben der Streckenposten und der Fahrer zu schützen. Erstmal müssten verlässliche Statistiken über die Verletzungen von Streckenposten gesammelt werden, und zwar auch in den Bereichen Rallye, Bergrennen, Dragsterrennen etc.). Die Unfallumstände müssen genau festgehalten werden, damit man die Sicherheitsbestimmungen stetig verbessern kann. Ausserdem muss man sich überlegen, ob man nicht wie früher üblich, einige gestrandete Fahrzeuge einfach stehen lassen und mit Flaggen markieren will, bis das Rennen durch ist. Die heutige Praxis, gleich alle Autos von der Strecke zu räumen, hat meiner Meinung nach mehr Chaos als Sicherheit verursacht.»
Und Hartstein verlangt auch: «Wir müssen das Streckenpersonal auf das absolute Minimum beschränken und uns auch überlegen, wie wir deren Arbeit möglichst sicher gestalten können. Ich bin überzeugt, dass ein Teil des McLaren-Strafgelds – kommt schon Jungs, das waren 100 Millionen Dollar, davon muss doch noch etwas übrig sein – dafür aufgewendet werden kann, um gewisse Arbeitsschritte zu automatisieren. Natürlich kann nicht alles von Robotern übernommen werden. Und wir müssen dringend einen Weg finden, die Räumungsfahrzeuge anzupassen.»