Nico Hülkenberg frei für Top-Team – aber wer ruft an?
Nico Hülkenberg
Der frühere Formel-1-Fahrer Martin Brundle ist nicht der einzige GP-Experte, der Nico Hülkenberg gerne in einem Spitzenfahrzeug sehen würde. Brundle, heute in Diensten der britischen Sky, meint: «Ich verstehe nicht, wieso die Top-Rennställe Hülkenberg eins ums andere Mal verschmähen.»
Tatsächlich läuft Hülkenberg die Zeit davon: Wer zu lange keine Chance in einem Top-Team erhält, der bekommt in der Formel 1 das Etikett ewiges Talent. Immerhin steht dem WM-Neunten von 2014 Arbeitgeber Force India nicht im Weg, wenn sich eines der besten Teams um den Emmericher bemühen würde.
Bob Fernley, der stellvertretende Teamchef von Force India, bestätigt gegenüber den Kollegen von Autosport: «Wir haben Nico für zwei weitere Jahre unter Vertrag genommen, weil wir ein Element der Stabilität wollten. Wir haben jedes Interesse daran, dass Hülkenberg bei uns bleibt. Aber das bedeutet nicht, dass wir ein Angebot eines Top-Rennstalls abschmettern würden. So wie Vijay Mallya Nico auch nicht im Weg stand, als Porsche bei uns anklopfte, um Hülkeberg in Le Mans einzusetzen.» Nico bedankte sich im Juni 2015 mit einem Sieg im ersten Einsatz.
Aber wer von den Top-Teams soll anrufen?
Lewis Hamilton hat bei Mercedes in diesem Sommer erstmals selber seinen Vertrag ausgehandelt. Unterzeichnet wurde ein Dreijahresabkommen, der Engländer bleibt also bis Ende 2018 ein Silberpfeilfahrer. Nico Rosbergs Abkommen läuft aus, aber wenn ein Deutscher nachgezogen wird, dann wohl eher Eigengewächs Pascal Wehrlein. Mit Esteban Ocon hat Mercedes-Benz einen weiteren, vielversprechenden Nachwuchspiloten unter Vertrag.
Sebastian Vettel besitzt einen kugelsicheren Dreijahresvertrag, der Deutsche ist also bis Ende 2017 bei Ferrari an der Arbeit. Aus heutiger Sicht schätzen wir: Daraus wird mehr. Kimi Räikkönens Vertrag wurde nur um ein Jahr verlängert, aber in Maranello ist Verstappen das heisse Thema, nicht Hülkenberg.
Williams hat für 2017 (wie schon für 2016) eine Option auf Bottas. Der Flirt mit Ferrari im Sommer 2016 ging erfolglos zu Ende: Ferrari behielt Kimi Räikkönen. Weil sich Valtteri gegen Felipe Massa zu wenig durchsetzen konnte und weil man Bottas aus seinem Vertrag hätte auskaufen müssen. Massas Vertrag läuft aus. Mittelfristig will Williams den Kanadier Lance Stroll aufbauen. Ein Debüt 2017 käme für den heute 17-Jährigen aber zu früh. Hülkenberg hat seine erste Formel-1-Saison bei Williams gefahren, der Kontakt ist nie abgebrochen.
Bei Red Bull ist Hülkenber als Quereinsteiger kein Thema. Das Erfolgsmodell des Energy-Drink-Herstellers basiert auf der Beförderung der Piloten aus dem eigenen Haus.
Ganz anders Renault: Jolyon Palmer ist eine Wahl von Lotus gewesen, nicht von Renault. Die Franzosen wollen mittelfristig einen Star im Auto. Palmer ist keiner. Bei Maldonado steht und fällt alles mit dem Engagement der staatlich-venezolanischen Ölgesellschaft PDVSA. Immer wieder ist davon die Rede, dass die neue Regierung die üppigen Zuschüsse für den Rennfahrer stoppen wird. Für Maldonado gilt überdies das Gleiche wie für Palmer: Renault will einen Top-Piloten im Auto, Maldonado ist keiner. Da würde sich Hülkenberg aufdrängen.
Bei McLaren-Honda hat Fernando Alonso einen Vertrag bis Ende 2017. Der Champion von 2005 und 2006 hat erklärt, McLaren werde sein letztes Team in der Formel 1. Er will jedoch die Früchte seiner Arbeit ernten. Durchaus möglich, dass er vorzeitig seinen Vertrag verlängert. Als Nachfolger von Jenson Button steht Stoffel Vandoorne bereit. Martin Brundle hat sich immer dafür stark gemacht, dass McLaren Hülkenberg mindestens in die engere Wahl ziehen sollte. Aber daraus ist bislang nichts geworden.
Nico Hülkenberg: Wie nahe am Ferrari-Vertrag?
Es gibt verschiedene Theorien, wieso aus dem Interesse von Ferrari an Nico Hülkenberg letztlich nichts geworden ist. Abgespielt hat sich ungefähr das: Im Sommer 2013 platzte Fernando Alonso der Kragen. Die jüngsten Verbesserungen am Ferrari erwiesen sich als Fehlschlag, sein letzter Sieg lag schon Monate zurück (beim Heimrennen in Spanien, es sollte der letzte GP-Erfolg Alonsos für Ferrari sein), der Asturier merkte, dass es auch 2013 nichts würde mit dem so ersehnten WM-Titel.
Alonso machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, aber die öffentliche Kritik kam beim damaligen Ferrari-Präsidenten Luca Montezemolo gar nicht gut an. Sein wenig verhüllter Flirt mit Red Bull Racing auch nicht. Der Chef tadelte: «Niemand ist grösser als Ferrari.»
Montezemolo spürte so viel Verärgerung bei Alonso, dass der Präsident damit rechnete, Fernando würde schon 2014 nicht mehr für Ferrari fahren. Also sah er sich nach einer Alternative um. Intern galt es als beschlossene Sache, dass Felipe Massa für 2014 keinen Vertrag mehr erhalten würde. Montezemolo befürchtete auf einmal, ganz ohne Fahrer dazustehen.
Daraufhin wurde mit Nico Hülkenberg ein Abkommen getroffen – ob mündlich oder schriftlich, ob Absichtserklärung oder Vorvertrag, darüber gehen die Meinungen ein wenig auseinander.
Doch im Lauf der Zeit ergab sich für Ferrari die Möglichkeit, Kimi Räikkönen zurück zu holen. Der Finne war nach einer Auszeit im Rallyesport mit Lotus in die Formel 1 zurückgekehrt und zeigte mit Siegen in Abu Dhabi 2012 und Australien 2013, dass er nichts von seinem Talent eingebüsst hatte. Der damalige Teamchef Stefano Domenicali hielt grosse Stücke auf Kimi.
Dann ging alles ziemlich schnell: Räikkönen wurde am 11. September 2013 von Ferrari bestätigt, Montezemolo hatte währenddessen die Wogen mit Fernando Alonso geglättet, der Spanier glaubte wieder an sein Team, nachdem er die Pläne für die kommenden Jahre gesehen hatte. Ferrari würde also ab 2014 mit Räikkönen und Alonso fahren. Nico Hülkenberg blieb schlicht aussen vor.
Es gibt noch eine andere Theorie, wieso der Deutsche verschmäht worden ist. Ferrari hat aufgrund der engen Zusammenarbeit mit Sauber Einblick in die Daten der Piloten. Nico Hülkenbergs Werte waren sehr gut, ohne Zweifel, aber man hatte in Maranello wohl nicht den Eindruck, dass er auf dem Niveau eines Champions wie Alonso oder Vettel fahren könne.
Letztlich war das auch der Grund, wieso Ferrari von Sergio Pérez nicht überzeugt war, der 2011 und 2012 für Sauber fuhr. Wenn der Mexikaner, damals Mitglied der Ferrari-Nachwuchsakademie, tatsächlich der grosse Überflieger wäre, dann hätte ihn Ferrari nie für 2013 an McLaren freigegeben.
Und was ist dem Argument, Ferrari haben eben nicht zwei Deutsche im Team haben wollen? Gegenfrage: Wieso bitteschön nicht? Wie viele Autos verkauft Ferrari in Deutschland und wie viele in Finnland? Wenn es nur nach Absatzmärkten ginge, müsste im Ferrari ein US-Amerikaner sitzen und daneben ein Brite.