Honda CBR1000RR-R SP: Keine Angst vor Drehzahlen
Nach Jahren der Schmach im Rennsport als auch an Trackdays für zahlende Hobbyfahrer hatte Honda wohl genug von vornehmer Zurückhaltung zugunsten besserer Fahrbarkeit auf der Landstrasse. Während 28 Jahren Modellgeschichte trimmte Honda die Fireblade nieausschliesslich auf Höchstleistung und Rennstrecken-Performance, sondern behielt immer auch die Anforderungen öffentlicher Strassen im Blick.
Was sich schon anhand der Vorstellung an der Mailänder Motorradmesse wie auch durch die Analyse der technischen Daten ankündigte, bestätigte sich im Test auf der Rennstrecke: Die neue Fireblade bricht radikal mit der bisherigen Modellphilosophie. Honda hat mit der 2020er Fireblade ein Sportmotorrad für die Rundstrecke gebaut. Wer damit über Landstrassen und Bergpässe bügeln will, darf das weiterhin tun, dieser Einsatz wurde bei der Entwicklung jedoch höchstens am Rande berücksichtigt.
Der Reihenvierzylinder giert nach Drehzahl und ist auf Spitzenleistung getrimmt. Bis rund 11.000/min ist der Motor des Vorgängermodells in Leistung und Drehmoment besser. Erst danach spielt der neue Motor seine Überlegenheit aus: Mit 217 PS bei 14.500/min lässt er den Vorgänger mit seinen 192 PS bei 13.000/min verblassen.
Für diesen Zuwachs an Drehfreude wurde der Motor viel kurzhubiger ausgelegt (81 x 48,5 mm statt 76 x 55,1 mm). Für die erforderliche Drehzahlfestigkeit musste der Ventiltrieb von Tassenstösseln auf Schlepphebel umkonstruiert werden. Im Fahrbetrieb bedeutet das: Schnell ist nur, wer kleine Gänge fährt und den Motor mit hoher Drehzahl bewegt.
Das Vertrauen, den Motor im zornigen Drehzahlbereich zu fahren, stellt sich bald ein, weil die neue Elektronik nochmals ein echter Schritt nach vorne ist. Ein Sechsachsen-Gyrosensor ersetzt die Fünfachsen-Einheit des Vormodells, was eine präzisere Erfassung der Fahrzeugbewegung ermöglicht. Die Traktionskontrolle erkennt sich anbahnenden Schlupf des Hinterrads quasi intuitiv, weil nicht nur die Differenz der Raddrehzahlen in die Berechnung der benötigten Regelung einfliesst, sondern auch die Differenz des Drehzahlanstieg der Räder.
Das ergibt am Kurvenausgang eine derart feine Regelung, dass man bei niedriger Eingriffschwelle der Traktionskontrolle an mangelnde Leistung glauben könnte. Wird die Eingriffschwelle der neunstufigen Traktionskontrolle zurückgenommen, ist das Phänomen verschwunden, die Fireblade beschleunigt herzerfrischend.
Die Motorbremse lässt sich perfekt auf die Wünsche des Fahrers einstellen. Die Wheeliekontrolle greift nicht mehr anhand von Differenzen der Raddrehzahlen ein, sondern erkennt dank Gyrosensor die Bewegung des Motorrads. Der zuverlässige, sanfte Eingriff nimmt einem die Angst vor dem Rückwärtsüberschlag, wenn man im ersten Gang voll abpresst.
Neben der Beschleunigung ist auch die Bremsleistung der Stilema-Bremszangen von Brembo (nur an der SP, die RR-R ist mit Vierkolbenzangen von Nissin ausgerüstet) brachial. Das ABS funktioniert im Trackmodus löblich, zur Deaktivierung besteht für das Gros der Hobbyracer kein Anlass. Könner werden monieren, dass man die ABS-Regelung am Hinterrad nicht deaktivieren kann, um in die Kurven zu sliden.
Die eher auf Stabilität ausgelegte Fahrwerksauslegung verlangt einen aktiven Fahrstil mit Hangoff auch des Oberkörpers. Die aggressive Sitzposition mit hoch platzierten Fussrasten und tiefem Lenker ist da hilfreich, aber auch anstrengend. Von der einfachen Fahrbarkeit der früheren Fireblade-Jahrgänge, die auf langen Turns den Piloten schonen, ist nichts geblieben: Man kann mit der neuen Fireblade sehr schnell fahren, aber man muss auch etwas tun dafür.
26.330 Euro kostet die SP-Version in Deutschland, die Standardversion steht mit 22.230 Euro in der Liste. Wer sich überlegt, auf das elektronische Fahrwerk der SP zu verzichten und das gesparte Geld in ein Update des konventionellen Showa-Fahrwerks der RR-R zu investieren, der muss bedenken, dass die RR-R nicht die hochwertigen Stylema-Brembos zieren und man sogar den Quickshifter vergebens sucht.