Stefan Pierer (KTM): «Moto2-Situation zipft mich an»
Die Zwischenbilanz sieht dramatisch aus. In der Moto2-Weltmeisterschaft 2019 liegt Titelanwärter Brad Binder als bester KTM-Pilot nach vier Grand Prix mit 25 Punkten nur an zehnter Stelle; WM-Leader Lorenzo Baldassarri (75 Punkte) ist hoffnunglos enteilt. In Doha und Austin kam kein KTM-Fahrer in die Top-Ten. In Texas blieb KTM in der Moto2-Klasse sogar komplett punktelos. Dabei wurde das Aufgebot für 2019 auf neun Fahrer erhöht.
«In der Moto2 geht bei uns jetzt der Rauch auf, das schwöre ich», betonte Firmenchef Stefan Pierer beim Jerez-GP. «Das ist jetzt ein Chef-Projekt. Wenn ich sage, ich habe einen Einheitsmotor, ich habe Einheits-Reifen und ich habe eine Einheits-ECU, und wenn ich das Motorrad trotzdem nicht hinkriege, dann muss ich sagen – nicht genügend.»
Wie wird die Lösung kurzfristig aussehen? «In Le Mans steht ein neues Chassis da», hält Stefan Pierer klipp und klar fest.
Das heißt: Bei KTM Factory Racing in Munderfing wird momentan Tag und Nacht mit Hochdruck gearbeitet. Denn der Südafrikaner Brad Binder, 2016 Moto3-Weltmeister auf KTM und letztes Jahr dreifacher Moto2-Sieger auf KTM, versicherte bei der Motohall-Eröffnung in Mattighofen am Donnerstag: «Beim IRTA-Test am Dienstag hatte ich noch kein neues Chassis. Ich habe noch nichts davon gehört.»
KTM hatte nach dem Flop beim Jerez-Test im November, bei dem Binder als bester KTM-Pilot auf Rang 13 landete, den Projektleiter Raimund Mandl entlassen und durch Kevin Ranner ersetzt. Dessen Chassis war zwar beim Februar-Test in Jerez konkurrenzfähig, aber Podestplätze reicht es in Doha, Las Termas, Austin und Jerez nicht.
Letztes Jahr durfte jeder Hersteller wegen der Neueinführung der Triumph-Motoren für 2019 zehn private Testtage abwickeln. Kalex testete mit Folger, Raffin und Terol. KTM ließ Oliveira im September in Aragón einen Tag mit den Triumph-Triebwerk fahren, Binder zwei Tage. «Sie brauchten mich nicht», wundert sich Miguel Oliveira.
Dafür wurden die KTM-Testfahrer Julián Simón und Ricky Cardús eingesetzt, die sicher nicht den Speed von Folger und Raffin hatten.
Die Zeitenvergleiche zu den Honda-Bikes wurden fälschlicherweise schon im September in Misano vielversprechend eingeschätzt. Aber die direkten Vergleichswerte mit Kalex fehlten – bis zum offiziellen IRTA-November-Test in Jerez.
Dort folgten die Tage der Ernüchterung.
«Ja, die Moto2-Tests haben damals bei uns keine Priorität gehabt», ist sich Stefan Pierer heute bewusst. Denn nach den langwierigen Verletzungen von Mika Kallio und Pol Espargaró musste im Sommer zuerst das MotoGP-Projekt wieder auf Schiene gebracht werden.
«Wir wollten die Alternativ-Lösung eigentlich schon in Jerez bringen. Aber sie kommt jetzt für Le Mans», verriet Hubert Trunkenpolz (57), seit 2007 im KTM-Vorstand, jetzt für die Bereiche Brand Management und Product Management zuständig.
«Brad Binder hat in Jerez zwar mit dem aktuellen Motorrad zwischen den Rennen in Argentinien und Texas getestet. Aber das war Zeitverschwendung», schüttelt Pierer den Kopf. «Reine Zeitverschwendung.»
Dabei hat KTM neben Binder noch weitere vielversprechende Moto2-Fahrer im Aufgebot: Moto3-Weltmeister Jorge Martin (acht GP-Siege 2019!), den Moto3-WM-Dritten Bezzecchi (drei GP-Siege 2019!), den Jerez-GP-Sieger Philipp Öttl und den Valencia-Moto2-GP-Zweiten Iker Lecuona. «Die sind zu Recht sauer», räumt Hubert Trunkenpolz ein. «Das sind lauter Spitzenfahrer, die sich von KTM konkurrenzfähiges Material erwartet haben.»
«Immerhin hat Brad Binder in Jerez mit Platz 5 im Rennen wieder Schadensbegrenzung betrieben», stellte Firmenchef Pierer fest. «Aber unsere Performance in der Moto2 zipft mich an, wie man in Österreich sagt. Ich bin maßlos verärgert. Die leichteste Klasse vergeigen wir. In der viel schwierigeren MotoGP-Klasse gelingen uns die gewünschten Fortschritte.»