Jürgen Lingg (Intact GP): «Es hat alle erwischt»
Nur vier Punkte fehlten dem IntactGP Team nach 19 Grand Prix auf den Team-Titel der Moto2-Klasse. Der Schweizer Tom Lüthi (33) beendete die Saison 2019 mit acht Podestplätzen auf dem dritten WM-Rang. Marcel Schrötter fuhr drei Podestplätze und drei Pole-Positions heraus. In der Endabrechnung landete der 26-jährige Deutsche auf Rang 8, nachdem er zwei Rennen aufgrund eines vierfach gebrochenen Schlüsselbeins verpasst hatte.
IntactGP-Teammanager Jürgen Lingg blickt im Interview auf eine Saison zurück, die für den Moto2-Rennstall aus Memmingen mit vier Podestplätzen in den ersten drei Grand Prix so gut begonnen hatte – darunter ein Doppelsieg in Austin/Texas.
Jürgen, bist du mit der Saison 2019 insgesamt zufrieden? Und wie kannst du dir der Durchhänger erklären, weil sowohl Marcel als auch Tom dann plötzlich Mühe hatten?
Grundsätzlich war es auf jeden Fall eine super Saison. Tom wurde WM-Dritter und lag am Ende nur zwölf Punkte hinter dem Weltmeister, ich glaube, so nahe war er noch nie dran. In der Team-Wertung waren wir auch ganz knapp dran. Ich denke, wir können damit zufrieden sein.
In der Moto2-Klasse ist es einfach wahnsinnig schwer, es zählt jedes Detail und die kleinste Kleinigkeit. Man hat auch gesehen, dass nicht nur wir den Durchhänger hatten. Es hat jeden irgendwann einmal erwischt.
Richtig erklären kann ich es mir nicht, aber was für uns auf jeden Fall ein massives Problem war, waren die neuen Reifen. Ich denke, dass es manchen vom Fahrstil oder der Einstellung her in die Karten gespielt hat, aber für uns war es sehr, sehr schwierig, das zu verstehen.
Du sprichst den breiteren Hinterreifen an, den Dunlop beim Europa-Auftakt in Jerez gebracht hat.
Wir hatten einfach den Eindruck, dass es nicht harmoniert hat mit der Gewichtsverteilung und dem Vorderreifen. Wir haben relativ lange gebraucht, bis wir richtig analysiert haben, was Sache war. Als wir es dann kapiert haben, haben wir auch neue Teile dafür anfertigen lassen. Dann hat es eigentlich auch funktioniert – ab Thailand.
Es war aber ein bisschen spät. Wir haben ein bisschen lange gebraucht, das Problem zu verstehen. Uns hat es immer regelrecht die Front weggeschoben. Da haben wir einfach zu lange gebraucht.
Von Dunlop kommt auch ein neuer Vorderreifen, der etwas breiter ist. Gibt das neue Probleme?
Ich kann es nicht sagen, ich hoffe nicht. Wir haben den einmal in Spielberg am Montag kurz probiert, aber das war noch nicht aussagekräftig, weil wir dann rasch gemerkt haben, dass der Luftdruck falsch war. Außerdem ist Spielberg eine Stop-and-Go-Strecke, auf der man das nicht wirklich testen kann.
Wir haben in diesem Jahr einfach zu lange gebraucht, um Tom und Marcel das Motorrad wieder so hinzustellen, wie sie es brauchten. Und sie haben auch zu lange gebraucht, sich zu adaptieren. Das war beides schade.
Nach dem Sachsenring, als Marcel auf dem Podium stand und Tom eigentlich auch aufs Podest hätte fahren können, wenn er nicht den Long-Lap bekommen hätte, habe ich wirklich Hoffnung geschöpft, dass uns die Sommerpause gut tun würde und wir dann gestärkt zurückkommen. Leider war das Gegenteil der Fall. Aber da kannst du nichts machen.
Als Baldassarri zu Beginn drei Rennen gewann, waren auch alle davon überzeugt, dass er Weltmeister werden würde. Aber dann war es schnell vorbei...
Ja, aber wie gesagt, es hat alle erwischt. Márquez hat in den ersten Rennen gestrauchelt, da waren wir stark und ein Baldassarri. Danach waren andere stark und wir haben gestrauchelt.
Auch ein Marini wurde erst spät stark.
Bei Fernandez dachte auch jeder, jetzt startet er durch, und dann hatte auch er einen Hänger. Man darf sich da nicht aus der Ruhe bringen lassen, man muss ruhig bleiben und einfach versuchen, ganz analytisch zu arbeiten. Das haben wir gemacht und das haben auch die Jungs gemacht.
Ich muss sagen, wir hatten echt eine ganz starke Truppe. Sie sind immer ruhig geblieben und haben immer versucht, weiter analytisch zu arbeiten an den Problemen – oder Problemchen. Große Probleme waren es ja nicht, aber wenn man drei Zehntel hinten liegt, dann ist man nicht in den Top-10 und es heißt gleich, was ist da los. Wenn man es aber genau analysiert, merkt man genau, dass eigentlich nicht viel fehlt. Aber es ist schon genug, um relativ weit hinten zu sein.
Thomas konnte meist sein Trainingsergebnis auch im Rennen umsetzen, bei Marcel war es schwieriger. Natürlich war er zeitweise auch verletzt, aber...
Das ist auch das, woran wir arbeiten. Bei Tom wissen wir, dass er im Rennen immer noch etwas in petto hat oder noch einen draufsetzen kann. Bei Marcel ist das anders, weil er einfach im Zweikampf stärker werden muss. Er hat einen super Fahrstil, es sieht auch alles super aus.
Wenn man die Runden von beiden übereinanderlegt, hat Marcel auch Sachen, wo er teilweise besser ist als Tom. Tom ist dann wieder woanders besser, das gleicht sich relativ aus. Vom Speed her denke, dass er auf jeden Fall auch auf dem Level von Tom sein könnte, aber Tom beißt sich im Rennen durch und entscheidet einen Zweikampf für sich, wo Marcel vielleicht ein bisschen zurücksteckt oder zu brav ist. Da muss er sicher aggressiver werden.
An einen Mentaltrainer habt ihr nie gedacht?
Das ist eine interne Geschichte, da werden wir schon eine Lösung finden.
Moto2-WM-Endstand nach 19 Grand Prix:
1. Alex Márquez 262. 2. Binder 259. 3. Lüthi 250. 4. Navarro 226. 5. Fernandez 207. 6. Marini 190. 7. Baldassarri 171. 8. Schrötter 137. 9. Di Giannantonio 108. 10. Bastianini 97. 11. Martin 94. 12. Lecuona 90. 13. Vierge 81. 14. Nagashima 78. 15. Gardner 77. – Ferner: 22. Aegerter 19. 27. Raffin 6. 29. Tulovic 3.
Team-WM 2019, Endstand:
1. Flexbox HP 40, 391 Punkte. 2. Dynavolt Intact GP 387. 3. Red Bull KTM Ajo 353. 4. EG 0,0 Marc VDS 343. 5. MB Conveyors Speed Up 334.
Konstrukteurs-WM 2019, Endstand:
1. Kalex, 442 Punkte. 2. KTM 281. 3. Speed-up 259. 4. MV Agusta 45. 5. NTS 11.