Vor fünf Jahren: Schock nach Tod von Stefan Kiefer
Jedes Mitglied des GP-Paddocks kannte den freundlichen, beliebten und allseits respektierten deutschen Teambesitzer Stefan Kiefer. Die Hiobsbotschaft traf Fahrer, Techniker, Mechaniker und Funktionäre aus aller Herren Länder wie ein Blitz aus heiteren Himmel. «Ich habe Stefan doch gestern noch im Paddock gesehen», murmelte zum Beispiel der entgeisterte RW-Racing-Teammanager Jarno Janssen.
«Mir fehlen die Worte, wenn ich daran denke, was letzte Nacht passiert ist», trauerte Domi Aegerter. «Das ist ein riesiger Schock für uns alle. Wir werden Stefan unheimlich vermissen. Meine Gedanken sind bei seiner Familie.»
«Stefan war definitiv einer der besten Chefs, den ich je gehabt habe», setzte Aegerter tief betroffen fort. «Er war ein fantastischer Mensch und ein ausgezeichneter Freund. Es versteht sich von selbst, dass wir uns hier an diesem Wochenende nicht mehr auf den Rennsport konzentrieren können. Aber wir bleiben eine starke Gemeinschaft und werden ihn immer in Erinnerung behalten. R.I.P., Stefan.»
Stefan Kiefer, der beim Valencia-GP 2017 seinen 52. Geburtstag feiern wollte, ging am 26. Oktober 2017, es war ein Donnerstag, in Sepang noch seiner Arbeit nach, es gab keine Anzeichen für gesundheitliche Probleme. Das Team vergnügte sich zwischendurch sogar ungezwungen beim Kartfahren neben dem Sepang Circuit, man ging zusammen Abendessen und wohnte wie immer in einem bescheidenen Hotel in Nilai Springs.
Später stellte sich heraus: Stefan Kiefer hatte am Tag vor seinem Tod den Verkauf des GP-Teams mit dem illustren britischen Geschäftsmann David Pickworth vereinbart; das Geld sollte aus russischen Quellen kommen. Doch der Engländer hielt die Vereinbarungen nicht ein. Der Deal platzte kurz vor Weihnachten 2017. Deshalb mussten das Moto2-Pläne für 2018 umgekrempelt werden, statt des Duos Aegerter & Cortese konnte nur ein Fahrer eingesetzt werden – der Schweizer, der durch eine Cowdfunding-Aktioneine beträchtliche Mittgift mitbrachte. Cortese wechselte in die Supersport-WM – und gewann die auf einer Kallio-Yamaha.
Herzinfarkt als Todesursache
Stefan Kiefer teilte sein Zimmer in Sepang – wie immer bei den Übersee-Rennen – mit seinem Bruder Jochen, der als Teamteilhaber und Technical Director fungierte.
Stefan Kiefer schlief in der Nacht ein – und wurde in der Früh von seinem Bruder leblos aufgefunden. Die Familie gab nach einer Obduktion im November einen Herzinfarkt als Todesursache bekannt.
Nach dem tragischen Tod von Stefan Kiefer wurde der Rennsport für die Kiefer-Mannschaft vorübergehend zur Nebensache. Das Team mit den Piloten Domi Aegerter und Tarran Mackenzie zog sich aus Respekt vor dem Teamchef vom Malaysia-GP 2017 zurück. Vordem dem Start am Sonntag traf sich die GP-Gemeinde bei Start/Ziel zu einer Trauerminute.
Am Freitag ging zuerst einmal darum, diese Hiobsbotschaft den Verwandten und seiner Lebenspartnerin Nadine daheim in Deutschland schonend beizubringen. Sohn Jayden hatte im Herbst 2017 gerade mit der Schule begonnen.
Stefan Kiefer hat selbst Motorradrennen bestritten und in Idar-Oberstein mit Bruder Jochen ein Motorradgeschäft (Suzuki und Yamaha) betrieben. Seit 1998 betrieben die Brüder auch ein Racing Team. Es begann in der IDM 250 mit Christian Gemmel.
Erstes Highlight: IDM-Titel 2002 mit Gemmel.
Der Schritt in die 250er-WM war die logische Folge. Bestes GP-Ergebnis in der Anfangsphase in der 250-ccm-WM: Platz 7 durch Anthony West auf dem Sachsenring 2006.
Wegen der geringen Erfolgsaussichten und der hohen Kosten in der 250er-Klasse erfolgte für 2008 der Wechsel in die 125er-WM.
Stefan Bradl, der 2007 für das spanische Blusens BQR Aprilia-Team fuhr, wurde als deutsches Talent engagiert und in die Achtelliter-WM 2008 geschickt, mit Sponsorgeld von Grizzly.
In der Saison 2009 wurden die ersten WM-Erfolge gefeiert: zwei 125-ccm-GP-Siege durch Stefan Bradl in Brünn und Motegi. Bradl wurde WM-Vierter; Viessmann stieg für drei Jahre als Hauptsponsor ein. Nach dem neunten WM-Rang Bradls von 2009 (125 ccm) wurde der Aufstieg in die Moto2 ins Auge gefasst.
2010 erfolgte mit Stefan Bradl der Einstieg in die neue Moto2-Weltmeisterschaft. Bradl steuerte eine Suter MMX2 und glänzte im Kiefer-Team gleich beim Auftakt in Katar mit Bestzeiten in den freien Trainings und mit dem dritten Startplatz. Im Oktober feierte er mit Kiefer Racing seinen ersten Moto2-GP-Sieg in Estoril/Portugal.
Mit vier weiteren Siegen triumphierten Kiefer Racing und Bradl 2011 in der Moto2-WM gegen Marc Márquez, das Team war von Suter auf Kalex umgestiegen und siegte gleich beim ersten Rennen in Katar souverän.
Der zweite Teamplatz wurde damals dem Grand Prix Team Switzerland mit Fahrer Randy Krummenacher überlassen.
Nach Bradls Moto2-Titelgewinn wäre Kiefer Racing gerne mit Bradl und Honda in die MotoGP-WM aufgestiegen, aber das erforderliche Budget von 5 bis 6 Millionen Euro ließ sich nicht auftreiben.
Also wurde Max Neukirchner für die Moto2-WM 2012 engagiert, es folgten magere Jahre in der Moto2- und dann 2013 und 2014 in der Moto3-WM auf Kalex-KTM mit Fahrern wie Florian Alt, Gabriel Ramos, Luca Grünwald und Toni Finsterbusch.
Doch für 2015 wurde ein Joint Venture mit Leopard Racing vereinbart, Kiefer gewann mit Danny Kent auf Honda die Moto3-WM.
Inzwischen hatten die Brüder das Motorradgeschäft längst verkauft, die Zweifachbelastung mit dem Rennsport war zu groß geworden. Stefan Kiefer hatte eine Familie gegründet und sich in Bautzen (Sachsen) niedergelassen.
2016 verlangte Leopard den Umstieg in die Moto2-WM mit Kalex, die Ergebnisse von Miguel Oliveira und Danny Kent hielten sich in bescheidenem Rahmen, für 2017 verlängerte Leopard den Vertrag mit Kiefer Racing nicht.
Wieder einmal stand das Team vor dem Nichts, die Budgetsorgen von Stefan und Jochen Kiefer erstreckten sich schon über einige Jahre. Es wurde dann eine Vereinbarung mit Suter Industries getroffen und mit Suter die Rückkehr in die Moto2-WM vereinbart. Fahrer: Domi Aegerter und Danny Kent. Suter stand für einen Großteil des Budgets gerade. Es musste an allen Ecken und Enden gespart werden.
Danny Kent verabschiedete sich bei Kiefer nach dem Warm-up in Texas, er wurde durch Tarran Mackenzie ersetzt, der keine Punkte holte.
Nach dem Sieg von Domi Aegerter in Misano schien vorübergehend wieder alles eitel Wonne, denn der Schweizer verlängerte daraufhin seinen Vertrag.
Wie Aegerter den Misano-Sieg verlor
Aber der Kummer für Kiefer nahm kein Ende. Es musste ein neuer Hauptsponsor gefunden werden, der zweite Teamplatz war nicht gesichert. So scheiterte die Rückholung von Sandro Cortese, der mit 15 Jahren bei Kiefer Racing in der 125er-WM debütiert hatte.
Danach folgte der nächste Tiefschlag: Dominique Aegerter verlor den Misano-Moto2-Sieg, bei einer Kontrolle waren unerlaubte Zusatzstoffe im Motoröl aufgespürt worden.
Aegerter bekam in Japan einen Anfall, als dieses Schlamassel offenkundig wurde.
Beim Australien-GP seufzte Stefan Kiefer eine Woche vor seinem Tod nach dem endgültigen Verlust des Misano-Sieges: «Ich habe keinen Bock mehr.»
Bruder Jochen Kiefer führte das Moto2-GP-Team 2018 und 2019 mit bescheidenen finanziellen Mitteln fort. Bis zum Tod von Stefan hatte er sich vorrangig um die Technik gekümmert, danach musste er auch den kaufmännischen Teils des Teams übernehmen.
Kiefer Racing verlor aber 2019 seinen Moto2-WM-Platz wegen unzureichender Ergebnisse (mit Aegerter und Tulovic). Der geplante Umstieg in die Supersport-600-WM mit Lukas Tulovic und Thomas Gradinger ließ sich nicht finanzieren. Deshalb beschränkte sich Kiefer 2020 auf die CEV-Moto2-EM mit Lukas Tulovic. Dazu bestritt Toni Erhard die IDM 300 Supersport unter der Bewerbung von Kiefer Racing.
Inzwischen ist Kiefer Racing in der IDM tätig, der Breitensport ist immer noch ein Anliegen von Jochen Kiefer, der trotz vieler Rückschläge immer noch mit voller Leidenschaft seiner Berufung nachgeht.
Der deutsche Motorradsport verlor vor fünf Jahren einen seiner leidenschaftlichsten Unterstützer und Teamchefs, dem auch die Nachwuchsförderung immer ein Anliegen war und der stets die Förderung deutscher Fahrer in den Vordergrund stellte.
Und Kiefer Racing bleibt das erfolgreichste deutsche WM-Team der letzten drei Jahrzehnte – durch die zwei WM-Titelgewinne mit Stefan Bradl (Moto2/2011) und Danny Kent (Moto3/2015).