Keine Talente: Wo bleibt der Schweizer GP-Nachwuchs?
Der Schweizer Marco A. Rodrigo hat 2011 und 2012 in der Moto2-WM den Rennstall Racing Team Switzerland mit Randy Krummenacher betrieben. Jetzt unterstützt er den 18-jährigen Zürcher Jesko Raffin, der 2014 im Team von Sito Pons die Spanische Moto2-Meisterschaft CEV überlegen gewann und 2015 beim SAG-Team von Edy Perales auf einer 2015er-Kalex in die Moto2-Weltmeisterschaft einsteigt.
Marco Rodrigo kümmert sich bei Raffin um das erforderliche WM-Budget von rund 500.000 Euro, er hat für Raffin in Cartagena eine Trainingsgemeinschaft mit dem Moto2-WM-Achten Luis Salom organisiert und einige Sponsoren für den jungen Schweizer gesucht.
Aber wo bleiben die künftigen Schweizer GP-Fahrer? Hinter der Generation Lüthi (28), Aegerter (24) und Krummenacher (25) klafft eine Lücke, die Schweizer Meisterschaft bringt schon lange keine Talente mehr hervor, schon Lüthi und Krummi sind in ADAC Junior-Cup und in der IDM gross geworden, Aegerter ebenfalls in der IDM.
Was zu denken gibt: Seit fünf Jahren erleben wir in der Moto3-Klasse keine talentierten Schweizer mehr. Giulian Pedone gelang zwar 2011 in Valencia Platz 15, aber er lebte mehr vom Geld seines Vaters als vom fahrerischen Talent.
Und wie wurde Marco Rodrigo auf das Talent Jesko Raffin aufmerksam, der 2011 im «DMV Team Romero» den deutschen Yamaha R6-Cup gewann?
«Sein Vater hat Kontakt zu mir aufgenommen», schildert Rodrigo. «Zuerst habe ich abgelehnt, weil ich eigentlich kein Fan bin von dem, was wir jetzt machen – nämlich den Direkteinstieg in die Moto2-WM. Der richtige Weg ginge über die Moto3. Aber mit 180 cm war Jesko zu gross und zu schwer für die Moto3.»
Marco Rodrigo wollte mit seinem Grand Prix Team Switzerland eigentlich das Team Italia nachbilden. Er wollte vor drei, vier Jahren Schweizer Talente wie Damien Raemy, Dominic Schmitter, der jetzt die Supersport-WM fährt, Kevin Rossi und Marco Colandrea unterstützen, mit Geld und Beziehungen. Aber die Bemühungen blieben im Sand stecken. Das Talent der Fahrer reichte nicht aus, das Geld auch nicht.
«Immerhin habe ich Marcel Brenner jetzt noch ein Team für die Spanische Meisterschaft vermitteln können, mit dem er in Cartagena trainieren kann. Er ist bisher in Spanien die Pre-Moto3-Klasse gefahren», schildert Rodrigo.
Inzwischen investiert Rodrigo seine Connections oft lieber in Fahrer wie den Spanier Luis Salom, dessen persönlicher Manager er seit vier Jahren ist.
«Ich glaube nicht, dass unsere Schweizer Motorradrennfahrer grundsätzlich langsamer oder schlechter sind als die aus anderen Ländern», sagt der ehemalige Immobilien-Unternehmer Marco Rodrigo. «Aber in Spanien haben die Talente sicher bessere Voraussetzungen als bei uns. Das liegt an der prominenten heimischen Meisterschaft, am Wetter und an den vielen permanenten Rennstrecken. In Spanien kann man auch den ganzen Winter hindurch Motorrad fahren.»
Rodrigo bedauert, dass Talente wie Marco Colandrea oder Damien Raemy wegen Sponsormangel oder falschen Entscheidungen kein Team finden oder verheizt werden. «Bei Colandrea haben wir nie rausgefunden, ob er schnell geworden wäre. Ich halte es für Unfug, einen 16-jährigen von der Moto3 gleich in die Moto2-WM zu schicken, ohne Spanische Meisterschaft, ohne gar nichts, wie es bei Marco geschehen ist.»
Gemeinsames Wintertraining für die Schweizer?
Rodrigo stieg 2007 bei Randy Krummenacher zuerst als persönlicher Sponsor ein, aber ihm fehlt eine gezielte Förderung von Schweizer Talenten, wie sie in Italien, Spanien, Frankreich und Grossbritannien vorgemacht wird.
«Ich nehme an, Tom Lüthi, Domi Aegerter, Randy Krummenacher, sie sind alle am Trainieren, dazu auch Jesko Raffin, alle geben Geld aus, unabhängig voneinander», weiss Rodrigo. «Aber wir sollten es fertig bringen, dass wir unsere Fahrer gemeinsam unterstützen und ihnen im Winter eine geminsame Trainingsmöglichkeit anbieten. Momentan gibt jeder Schweizer GP-Fahrer Geld für das Wintertraining aus. Man könnte das auf gemeinsame Basis stellen und die Kosten zusammenlegen. Die GP-Teams können ja trotzdem in der Saison ihre eigenen, getrennten Wege gehen. Das ist klar, da muss jeder auf sich schauen. Wir haben jetzt ein neues, grosses Schweizer Moto2-Team mit drei Fahrern, das ist ein erster Schritt. Aber man kann nicht immer davon ausgehen, dass man einen Mäzen findet, der so ein Wintertraining finanziert. Ich habe deshalb in letzter Zeit unseren Sponsoren zwei Angebote gemacht; sie können in den Renntopf einzahlen oder in den Trainingstopf.»
Bisher gingen die Schweizer Teamchefs Dani Epp (Interwetten), Marco Rodrigo und Olivier Métraux (Technomag CarXpert) getrennte Wege. Immerhin kam es zwischen den beiden Teams Interwetten und Technomag jetzt für 2015 zu einem Joint Venture mit den drei Piloten Lüthi, Aegerter und Mulhauser.
Aber so richtig lieb gewonnen haben sich die beiden Teamkollegen Aegerter und Lüthi noch nicht. Immerhin: Ein erster Schritt ist gemacht.
Schweiz: Es existiert keine Nachwuchsförderung
Wie sollen Schweizer Talente den Weg an die Spitze finden, wenn es keine Sponsoren gibt, der Verband FMS im Tiefschlaf liegt, in der Schweiz keine Infrastruktur und keine Nachwuchsserien existiert, wenn es ein Rennstreckenverbot gibt und keine vorgezeichnete Marschrichtung für den Weg zum GP-Sport.
Die Schweizer Motorradimporteure und manche rennsportbegeisterte Händler helfen nach Leibeskräften und finanzieren IDM-Teams mit, aber das sind oft Goodwill-Aktionen. Eine gezielte Aufbauarbeit für den Nachwuchs wie beim Team Italia fehlt.
Dabei könnten alle Beteiligten und Interessierten in einen Industrie-Pool einzahlen, die grossen Importeure der japanischen Marken, dazu Motorsport-affine Firmen wie KTM, TCS, IXS-Leder, Suter Racing, Motorex, Panolin, Interwetten, Technomag, das Grand Prix Team Switzerland, MIBAG, die grossen Racing for Fun-Anbieter und so weiter.
Dann könnten jedes Jahr drei Talente in ein gezieltes Förderprogramm für den Red Bull Rookies Cup, für die IDM, CEV, Junioren-WM oder ADAC Junior Cup ausgewählt und aufgebaut werden. Motto: «Switzerland's next Top Grand Prix Racer».
«Die Frage ist, wer soll so einen Pool organisieren, wer soll so eine Organisation aufziehen», gibt Rodrigo zu bedenken. Bei ihm habe jetzt das Budget für Raffin Vorrang, sagt der Schweizer. «Denn dieses Budget ist für 2015 noch nicht geschlossen, wir suchen noch Geld. Wenn ich einen Sponsor habe, dann brauchen wir dieses Geld für die kommende Saison. Dann kann ich ihm nicht noch vorschlagen, er solle in einen Pool einzahlen. Man müsste 10, 15 oder 20 Firmen haben, die bereit sind, Geld für so eine Talentförderung zu investieren. Ich habe so etwas in bescheidener Form mit meinem Grand Prix Team Switzerland versucht. Vielleicht kann man eines Tages einen aktuellen GP-Fahrer für so eine Aufgabe gewinnen, wenn er mit dem Rennsport aufhört.»
«Wenn du nicht über Geld verfügst ohne Ende, und das ist bei mir nicht der Fall, dann lässt sich so eine Talentförderung von einer Person allein nicht finanzieren», fährt Rodrigo weiter. «Wer macht bei so etwas mit? Du musst ein Motorradrennsportfreak sein und dir auf die Fahnen schreiben, etwas für den Schweizer Rennsport zu machen. Aber ich bin personen-orientiert, ich helfe Luis Salom und Jesko Raffin. Die Frage ist: Fühlt sich jemand für den gesamten Schweizer Motorradrennsport verantwortlich? Wenn du merkst, dass du der einzige bist und der Verband das ganze Jahr nichts macht ausser einmal ein Kartoffelessen, dann ist da kein Schwung drin. Wir haben mit Tom Lüthi einen Weltmeister. Aber so ein Titelgewinn hat in der Schweiz nicht den gleichen Stellenwert wie in anderen Ländern. Wenn du als Australier Weltmeister wirst, bist du das für den Rest deines Lebens, und zwar so, dass man es merkt.»