Die Ernst-Degner-Affäre: Aufstieg und Fall des Helden
1953 gelang es Horst Fügner, DDR-Vizemeister (125 ccm) hinter Bernhard Petruschke zu werden, der schon zum DKW-Vorkriegsteam gehörte. Petruschke steuerte eine auf DKW-Elementen basierende Zweitakt-ZPH, benannt nach dem Entwicklerteam Zimmermann-Petruschke-Henkel.
Die IFA-Motorräder dominierten 1954 das Geschehen in der DDR-Meisterschaft – es fehlte an Konkurrenz. Meister wurde Petruschke vor Krumpholz und Fügner.
1955 sicherte sich Fügner den 125-ccm-DDR-Meistertitel. «Wir Fahrer hatten fundierte Kenntnisse über den Entwicklungsstand», erinnerte sich Fügner, der am 22. November 2014 im Alter von 91 Jahren verstarb und auch im hohen Alter noch den Sachsenring-GP besuchte.
1955 wurden die ersten WM-Punkte (125 ccm) errungen: Die IFA-Piloten Petruschke und Krumpholz landeten beim Nürburgring-GP auf den Rängen 5 und 6.
DKW galt damals als Gradmesser für die Zschopauer Rennabteilung. Die Ingolstädter waren dem Prinzip des Zweitaktmotors treu geblieben, aber andere Wege gegangen. Mit dem Flachdrehschieber besassen die Zschopauer das leistungsfähigere Konzept. Diesen Nachteil glich DKW aus, indem sie im Westen über eine hoch entwickelte Zulieferindustrie (für Kolben, Gabel, Federbeine usw.) verfügten, deren Dienste und Nutzen Kaadens Leuten wegen der Devisenknappheit verschlossen blieben.
Aus IFA wurde MZ
Trotzdem schloss DKW 1956 die Motorrad-Rennabteilung. IFA wurde Ende 1955 in MZ (Motorradwerk Zschopau) umbenannt. Inzwischen verschärfte sich der sportliche, wirtschaftliche und ideologische Wettstreit mit der kapitalistischen Welt des Westens.
Walter Kaaden und sein MZ-Team forschten mit beachtlicher Intensität. Bald erkannte der Teamchef, dass sich beim Hochleistungs-Zweitakter aus der Nutzung der Resonanzwellen des Auspuffs eine enorme Leistungssteigerung erzielen lässt. Die 125er-Motor leistete 1956 bereits 16,5 PS bei 9200/min. Auch die Aerodynamik wurde ständig verbessert. Kaaden, ein geschickter Diplomat, stellte auch die Verbindung zu den wichtigen Zulieferfirmen im Westen her. Dort wurde das Engagement von MZ hoch geschätzt. Der Rückzug von DKW begünstigte die Sachlage für Kaaden und seine erfolgreiche Truppe.
Degners Karriere bei MZ
Mit Ernst Degner trat bei MZ bald ein neuer Protagonist auf den Plan. Er wurde am 22. September 1931 in Gleiwitz als Ernst Eugen Woclawek geboren; sein Vater nahm später den Namen Degner an. Die Bewohner der deutschen Ostgebiete hatten im Krieg ihre Hei- mat und alle Habseligkeiten verloren; Degner teilte das Los vieler Menschen. Vor dem Kriegsende kam sein Vater ums Leben.
Ernst fand mit Mutter und Schwester in Luckau südöstlich von Berlin eine neue Bleibe. Ein halbes Jahr später starb die Mutter in Folge der seelischen und körperlichen Strapazen; Degner war mit 14 Jahren Waise.
Nach dem Diplom als Entwicklungs-Ingenieur in Potsdam fand Degner ein Tätigkeitsfeld in einem Konstrukteursbüro. Er baute eine 98-ccm-Maschine und errang als Fahrer für den Motorrad-Club Potsdam in der Nachwuchs- und Ausweisklasse gute Resultate. 1954 bestritt Degner seine erste Lizenz-Saison.
In seiner Anfangszeit fuhr Degner gegen Walter Kaaden, der ihn schliesslich zu MZ lotste. Am 1. Oktober 1957 heiratete Degner seine Gerda; MZ richtete die Hochzeitsfeier im «Chemnitzer Hof» aus.
MZ verstärkte seine Rennaktivitäten. Fügner siegte 1958 beim 250er-GP in Schweden, nach Platz 2 auf dem Nürburgring; er wurde Vizeweltmeister.
Am 5. Juli 1959 beendete ein Sturz in Spa-Francorchamps Fügners Laufbahn. Nach der Genesung wurde Fügner in Kaadens Team als Techniker und Berater unersetzlich.
Walter Kaaden wusste: Der Weg zum ersehnten Weltmeistertitel führt über mehr Leistung und erhöhte Zuverlässigkeit. Mit dem dritten Überstromkanal, der auf einer alten Zündapp-Variante der Umkehrspülung basierte, und weiteren Detailänderungen wurde MZ konkurrenzfähiger.
1959 erster GP-Sieg für Degner (MZ) in Monza
Ernst Degner brillierte 1959 mit der MZ 125 in Monza – sein erster GP-Sieg. Mit der 250er unterlag er Carlo Ubbiali bei Zeitgleichheit. Die WM beendete er als Vierter (125 ccm) und Fünfter (250 ccm).
1959 gingen erstmals Ausländer auf MZ-Motorrädern an den Start – Gary Hocking, Derek Minter, Tommy Robb, Alberto Gandossi und Luigi Taveri zum Beispiel.
1960 waren die MZ-Maschinen schneller und standfester. Degner hatte als Fahrer und Techniker grossen Anteil an den Erfolgen, er glänzte als WM-Dritter. MV Agusta zog sich mit den unterlegenen Viertaktern aus den Klassen zurück, in denen MZ dominierte, Honda wurde der neue Hauptkontrahent. Um die Leistungsnachteile gegenüber den Zweitaktern wettzumachen, erhöhten die Japaner laufend die Zylinder-Anzahl.
Honda rüstete auf
Während für die Zweitakt-MZ 125 ein Zylinder reichte, warf Honda für die 125er zuerst zwei, dann vier und später sogar fünf Zylinder in die Schlacht! Und gegen den 250er-Twin von MZ wurde sogar eine Sechszylinder-Honda in Stellung gebracht. Nachteil der Zweitakter: Der nutzbare Drehzahlbereich der MZ 125 beschränkte sich auf rund 400/min.
Für Degner lag der WM-Titel 1961 greifbar nahe. Nach Siegen in Hockenheim, auf dem Sachsenring und in Monza reiste er im September mit einer knappen Führung nach Schweden. Der Sturz in Assen hatte einen frühzeitigen Titelgewinn vereitelt.
Wegen der enormen Abwanderungswelle hatte die kommunistische DDR-Führung die Westgrenze radikal abgeriegelt. Mitte August 1961 begann der Mauerbau. Der DDR-Staat erklärte die Bürger zum Eigentum eines diktatorischen Systems.
Am 17. September 1961 schied MZ-Pilot Degner in Kristianstadt/Schweden mit Kolbenklemmer aus. Horst Fügner und Gerda Degner glaubten nicht, dass Degner den Motor absichtlich überdreht hat, wie ihm vorgeworfen wurde. «Ernst war viel zu ehrgeizig, um sich diese WM-Chance selbst zu nehmen», sagte Gerda Degner. «Als Weltmeister wäre er stärker im Rampenlicht gestanden. Aber seine Fluchtmöglichkeit hätte sich nicht verschlechtert.» Weil die DDR die Teilnahme von Degner beim Finale in Argentinien auf einer EMC verhinderte, wurde Tom Phillis auf Honda 125-ccm-Weltmeister.
Das Ende
Nach den schweren Verbrennungen in Suzuka 1963 und weiteren Stürzen in Monza 1965 (Trümmerbruch des rechten Oberschenkels, neun Monate Krankenhaus) und Fuji 1966 bei Kawasaki-125-Tests (vier Tage im Koma) litt Degner ständig unter Schmerzen. Alle medizinischen Behandlungen blieben erfolglos. Degners Leben wurde unstet, er wirkte oft depressiv.
Nach verschiedenen Anstellungen war er 1978 wieder für Suzuki tätig und kam nach Teneriffa. Dort fand ihn Sohn Olaf am 8. September 1983 nach einem Hilferuf der Nachbarn tot auf. Sein seelischer und körperlicher Zustand hatte sich zusehends verschlechtert; Medikamente, Morphium und Alkohol hatten seinen Organismus zu stark geschädigt.
(Mitarbeit: Frank Bischoff)