Aki Ajo: «Acosta hat etwas sehr Besonderes gezeigt»
Der Finne Aki Ajo ist mit 90 GP-Siegen in den kleinen Klassen (125 ccm, Moto3 und Moto2) der erfolgreichste Rennstallchef der vergangenen 20 Jahre. Seit 2012 bildet er mit Red Bull-KTM das Nr.-1-Team der Österreicher in der 250-ccm-Viertakt-Einzylinder-Klasse.
Ajo hat mit Mike di Meglio und Marc Márquez die 125er-WM 2008 und 2010 gewonnen, dann die Moto3-WM mit Red Bull-KTM 2012 (Sandro Cortese) und 2016 (Brad Binder), dazu errang er 2015 und 2016 den Moto2-WM-Titel mit Johann Zarco.
Nach dem Portugal-GP lagen seine vier Fahrer in den beiden Klassen in der WM an den Positionen 1 und 2! Und mit Acostas drittem Sieg im vierten Moto3-WM-Lauf seines Lebens erhöhte Ajo Motorsport die Anzahl der KTM-Siege auf 57 – das sind genau 50 Prozent aller GP-Siege der Mattighofener, die inzwischen 315 Weltmeistertitel gewonnen haben.
Momentan steht das Red Bull KTM-Ajo-Team stark im Brennpunkt – denn Pedro Acosta wird mit seinen 16 Jahren bereits als neuer Marc Márquez gehandelt. Bisher hat noch nie ein Rennfahrer seit 1949 drei seiner ersten vier Grand Prix gewonnen. Und der junge Spanier hat schon 51 Punkte Vorsprung. Er kann also frühestens beim Catalunya-GP Mitte Juni als WM-Leader abgelöst werden.
Aki Ajo hat als Teamchef auch den jungen Marc Márquez betreut und zum Titel geführt. Erkennt der Weltmeister-Macher gewisse Parallelen zwischen den beiden spanischen Ausnahmekönnern? Und was unterscheidet sie?
Aki, vor sieben Jahren wurde Fabio Quartararo als neuer Marc Márquez eingestuft, jetzt wird Petro Acosta hochgejubelt, der schon 2020 im Rookies-Cup die ersten sechs Rennen in Serie gewonnen hat. Du hattest Marc 2010 unter deinen Fittichen. Du hütest dich immer vor Euphorie. Aber was Acosta zeigt, ist nicht alltäglich. Er hat außergewöhnliche Fähigkeiten.
Richtig, es ist mein Stil, keine zu hohen Erwartungen zu wecken.
Aber was Pedro im Vorjahr im Rookies-Cup gezeigt hat und noch viel mehr, was er in den vergangenen Wochen in der Moto3-WM geleistet hat, das war ziemlich eindrucksvoll.
Aber ich sage immer, es ist unfair und schwierig, unterschiedliche Zeitperioden, Leistungen und Talente zu vergleichen. Denn jeder Fahrer ist anders. Sie haben einen unterschiedlichen Hintergrund, eine andere Herkunft, einen anderen Fahrstil. Und jeder ist auf einem unterschiedlichen Weg in die WM gekommen.
Wenn man sich Márquez, Quartararo und Acosta anschaut, dann fallen in vielen Bereichen Unterschiede auf. Alle drei haben in sehr jungem Alter bewiesen, dass sie etwas Besonderes sind.
Aber wenn sie erwachsen werden, geht es bei dem einem schneller, beim anderen dauert es etwas länger, bis sich die Erfolge einstellen und sie an die Spitze kommen.
Deshalb sind die Vergleiche nicht fair.
Gleichzeitig kann ich ehrlich behaupten: Pedro hat etwas sehr, sehr Besonderes gezeigt.
Aber ich möchte die Situation gern wie immer etwas tiefgründiger analysieren. Pedro ist eine großartige Persönlichkeit; sehr entspannt. Er erinnert mich deshalb stark an die ‘old school rider‘ vom Stil der 1980er-Jahre oder von noch früher.
Viele der neuen Generation interessieren sich sehr stark für Dinge und Angelegenheiten, die mit ihrer Arbeit nichts zu tun haben, zum Beispiel für Kleidung und Social Media. Pedro ist in dieser Hinsicht etwas «old style». Er braucht gewisse unwichtige Dinge nicht, um sein Selbstvertrauen zu stärken...
Dazu muss ich seinen speziellen Fahrstil erwähnen. Es passiert immer wieder, dass diese außergewöhnlichen Piloten einen neuen Fahrstil für ihre Kategorie erfinden, sogar im Road Racing. Was man bei Pedro erkennt: Beim Bremsen und beim Reinfahren in die Kurven hat er besondere Fähigkeiten. Er fokussiert sich sehr auf das kräftige Bremsen und das schnelle Einlenken und Turning. In diesem Bereich ist er sehr stark.
Dazu kommt: Er hat ein sehr gutes und besonderes Gefühl mit dem Motorrad. Auch was den Grip betrifft.
Freddie Spencer hat die Gegner 1983 in der 500er WM mit seiner neuen Fahrweise überrumpelt, «to square off the corners», nannte er das. Er bremste innen spitz in die Kurven rein, richtete das Bike schnell wieder auf und konnte früher wieder Gas geben. So ähnlich fährt Acosta in der Moto3. So konnte er beim zweiten Katar-GP trotz des Starts aus der Boxengasse gewinnen.
Dass Pedro so fährt, hat in erster Linie mit seinem Background zu tun. Er hat von Natur aus das Gefühl, so müsse er fahren. Er hat sehr viel angeborenes Talent. Jetzt kommt es darauf an, wie er dieses Talent in Zukunft nützt, wie er es trainiert und weiterentwickelt.
Wir wissen, dass die neue Fahrergeneration auf viele unterschiedliche Arten trainiert. Früher hat man in erster Linie mit den Rennmaschinen trainiert. Jetzt wird mit vielen unterschiedlichen Bikes trainiert. Jetzt halten die Jungen die Augen offen für neue Spielarten, sie trainieren Offroad oder mit kleinen Bikes auf Kart-Pisten. Dadurch bekommen sie mehr Werkzeuge in die Hand, um ihrer angeborenen Fähigkeiten zu entwickeln.
Gab es diese Fahrweise von Acosta in der Moto3-WM noch nie?
Der erste, der mir einfällt, ist Jack Miller. Schon bevor er 2014 in unser Team kam, ist er ähnlich gefahren. Als er dann in unserem Team um den Titel gekämpft und sieben Siege in einem Jahr errungen hat, konnte jeder sehen, dass er beim Kurveneingang einen ungewöhnlichen Fahrstil hatte.
Auch wenn das sieben Jahre her ist, erkenne ich einige Ähnlichkeiten zu Pedro, was den Kurveneingang und das Gefühl zum Motorrad betrifft. Auch Jack konnte bremsen und einlenken gleichzeitig – wie Pedro.
Mit Brad Binder hattest du 2016 einen ähnlich kampfstarken Fahrer. Er hat damals in Jerez vom letzten Startplatz aus gewonnen – und ist dann Moto3-Weltmeister geworden.
Ja, richtig, Brad gehört auch zu denen, die so eine Fahrweise hatten.
Und was heute vielleicht keinem mehr in den Sinn kommt: Ich sehe auch Ähnlichkeiten zu Jonas Folger vor zehn, elf Jahren. Auch er hatte ein ausgezeichnetes Gefühl in sehr schwierigen Verhältnissen. Sein Gespür für den Grip war vorbildlich. Er hat ein riesiges angeborenes Talent.
Márquez und Acosta kamen ungefähr im gleichen Alter in dein Team. Lassen sich die Persönlichkeiten oder Charaktere vergleichen?
Als Márquez bei uns war, ist er im Februar 17 Jahre alt geworden. Pedro wird am 25. Mai 17 Jahre alt. Sie sind also vom Alter her vergleichbar.
Waren sie im gleichen Alter auf dem selben Level? Der Unterschied: Acosta steht in seiner ersten GP-Saison. Trotzdem dominiert er klarer.
Einfach gesagt: Was die Fahrweise betrifft, ist der Vergleich schwer. Aber beide waren bereits auf einem hohen Niveau, als sie zu uns kamen.
Aber Marc hat bei uns bereits seine dritte Saison in der 125er-WM begonnen. Pedro steckt in seiner ersten GP-Saison. Aber im Zusammenspiel der Junioren-WM mit dem Red Bull-Rookies-Cup bekommen die Talente jetzt eine bessere Ausbildung als damals. Sie sind dann auf die Moto3-WM besser vorbereitet. Ihr Niveau ist nach den Nachwuchs-Meisterschaften höher als in der Vergangenheit.
Obwohl Pedro 2020 noch nicht im GP-Sport war, hat er sich bereits 2020 in sehr konkurrenzfähigen Meisterschaften durchgesetzt und bewährt.
Ein detaillierter Vergleich zu Marc Márquez ist deshalb schwierig, wie erwähnt.