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Zum 90. Geburtstag der Reizfigur Ernst Degner

Von Thorsten Horn
Ernst Degner 1962 auf einer 50-ccm-Suzuki

Ernst Degner 1962 auf einer 50-ccm-Suzuki

Ernst Degner gilt noch heute in Motorsport-Kreisen als Reizfigur. Einst war er als GP-Sieger auf MZ ein in der DDR gefeierter Held, doch nach seiner Republik-Flucht 1961 als Verräter verpönt. Heute würde er 90.

Dazu sollte man anmerken, dass man gut daran tut, mit moralischen Vorwürfen sparsam umzugehen. Schließlich war Ernst Degner bei weitem nicht der Einzige, der der sozialistisch regierten DDR den Rücken kehrte, sodass die selbsternannten roten Gutmenschen, jedoch überwiegend selbstsüchtigen Führungskräfte, eine Mauer um ein Land bauen mussten, um noch genügend «Doofe» um sich herumzuhaben, die ihren Wohlstand sicherten.

Dass Ernst Degner im Zuge seiner Republikflucht Zeichnungen und MZ-Know-how in den Westen transferiert hat, war zwar unmoralisch und traf viele ostdeutsche Motorsportler mitten ins Herz, ist aber irgendwie auch nachvollziehbar. Schließlich war ja auch er dahingehend geschult, dass es im Kapitalismus in erster Linie um Geldvermehrung geht. Da konnte ein gewisses Startkapital nicht schaden, zumal er damit nur die urmenschlichste Eigenschaft des Selbsterhaltungstriebs erfüllte.

Ernst Eugen Woclawek wurde am 22. September 1931 im schlesischen Gleiwitz geboren. Sein Vater, und demzufolge auch die weiteren Familien-Mitglieder, nahm später den Namen Degner an. Nachdem der Vater kurz vor Kriegsende ums Leben gekommen war, siedelte der Rest der Familie ins brandenburgische Luckau über. Nach einer Lehre zum Kfz-Mechaniker studierte Ernst Degner in Potsdam Kfz-Technik.

Nach einer kurzen Privatfahrerkarriere holte ihn der Zweitakt-Guru Walter Kaaden 1956 zu MZ, wo er Techniker und Werksfahrer wurde. 1957 gewann er das Rennen der Klasse bis 125 ccm auf dem Sachsenring und wurde am Jahresende DDR-Meister.

Den ersten Grand-Prix-Sieg für die Zschopauer holte 1958 der Chemnitzer Horst Fügner im schwedischen Hedemora in der 250-ccm-Klasse und am Jahresende die Vize-Weltmeisterschaft. In der 125-ccm-Klasse gelang Ernst Degner 1960 im belgischen Spa-Francorchamps der erste GP-Sieg für MZ und er wurde am Saisonende WM-Dritter.

1961 hätte das große Jahr für MZ werden können. In der Achtelliterklasse waren Ernst Degner und die Zschopauer Zweitakter inzwischen eine Macht. Den Saisonauftakt gewann im Montjuic Park von Barcelona der australische Honda-Fahrer Tom Phillis. Aber schon beim zweiten GP des Jahres in Hockenheim feierte MZ durch Degner, Alan Shepherd, Walter Brehme und Hans Fischer einen Vierfachsieg. In Assen zog sich Degner einen Armbruch zu. Nun war es fraglich, ob der MZ-Spitzenpilot nur fünf Wochen später beim Debüt des Sachsenrings als WM-Austragungsort überhaupt starten könnte. Degner startete schließlich. Mehr noch: Nach 13 anstrengenden Runden auf dem 8,731 km langen Kurs gewann er sogar. Sein Vorsprung auf seinen Titelrivalen Phillis betrug eine beachtliche halbe Minute. Im italienischen Monza folgte der dritte Saisonsieg für Degner und die Mannschaft um Walter Kaaden.

Dann zog der Tross weiter zum vorletzten Rennen des Jahres nach Schweden. Degner kam als Tabellenführer nach Kristianstadt und hatte die Möglichkeit, den heißbegehrten WM-Titel vorzeitig sicherzustellen. Vom Start weg ging er in Führung. Nach zwei Runden lag er bereits 200 Meter vor seinen Verfolgern, als sein Motor fest ging. Nachdem Ernst Degner von der erfolgreichen Republik-Flucht seiner Familie unterrichtet worden war, setzte auch er sich von Schweden aus Richtung Bundesrepublik Deutschland ab. Seitens MZ und aller angeschlossenen regimetreuen Organe wurde Ernst Degner ein absichtliches Überdrehen des Motors unterstellt, was fluchttechnisch aber nicht notwendig gewesen wäre. Auch der Ehrgeiz von Degner spricht dagegen.

Der Weg zur Weltmeisterschaft war jedenfalls für Tom Phillis und Honda frei. Die ganze Angelegenheit war aber mehr als der Verlust eines WM-Titels. Es war eine politische Auseinandersetzung, ein Kampf zweier Welten. Wie sich später herausstellte, sollte MZ trotz aller Bemühungen nie wieder so dicht an den WM-Titel herankommen.

Während Ernst Degners Flucht ziemlich glatt lief, war die seiner Familie wesentlich spektakulärer. Wie er seinem Rennfahrerkollegen Jim Redman einmal anvertraute, schmuggelte ein Freund der Familie seine Frau und die beiden Söhne in einem umgebauten Pkw aus der DDR. Das Auto wurde derart modifiziert, dass zwischen Rücksitz und Kofferraum ein Stauraum entstand, worin sich Frau Gerda und die durch Schlafmittel ruhig gestellten Kinder Olaf (vier Jahre) und Säugling Boris versteckten. Schläuche gewährleisteten den Sauerstoffnachschub.

Natürlich galt die Flucht des SED-Mitglieds Degner für die DDR und besonders für MZ als Hochverrat. Dass er sein Können und vor allem sein Wissen über die damals weltweit führende Zschopauer Zweitakttechnik zu Suzuki trug, fügte seinen ehemaligen Steigbügelhaltern beträchtlichen Schaden zu. Dazu kam die moralische Seite, denn bei MZ wurde alles, aber wirklich alles dafür getan, dass den Werksfahrern bestmögliches Material zur Verfügung stand.

Zu Degners Beweggründen sei aber noch einmal daran erinnert, dass am 13. August 1961 der Bau der unsäglichen Berliner Mauer begonnen wurde. Das Rennen in Schweden fand am 17. September, also nur einen Monat nach dem Anfang der selbstauferlegten Isolierung der DDR statt. Die Flucht Degners und seiner Familie konnte aber nur zeitgleich von statten gehen.

Im Westen angekommen, versilberte Degner sein erlangtes Wissen über die Zschopauer Zweitakttechnik und dockte bei Suzuki an. Was er für sich und MZ 1961 nicht vollendet hatte, holte er 1962 nach. Für Suzuki war er im WM-Premierenjahr der 50-ccm-Klasse Werksfahrer, gewann vier Grand Prix in Folge (Insel Man, Assen, Spa und Solitude), dabei den Ersten für Suzuki überhaupt, sowie am Jahresende die WM. Es war der erste WM-Titel, der in der 1949 eingeführten Motorrad-Weltmeisterschaft mit einem Zweitakt-Motorrad errungen wurde.

Auch in der 125-ccm-Klasse bescherte Ernst Degner Suzuki den ersten GP-Sieg. Das war am 26. Mai 1963 in Hockenheim.

1965 holte sich Degner seinen zweiten Deutschen Meistertitel, diesmal auf einer 125er-Suzuki in der BRD.
Seine Motorradkarriere endete tragisch. Ende 1963 hatte er sich bei einem Sturz im japanischen Suzuka schwere Verbrennungen zugezogen. Nach einem zweiten schweren Unfall 1965 gab er die Rennfahrerei schließlich auf. Zwar versuchte er sich noch einmal in einem Formel-3-Rennwagen, doch 1967 beendete er seine aktive Karriere endgültig.

Danach arbeitete er für verschiedene Unternehmen als Renndienstleiter und gründete schließlich auf Teneriffa eine Autovermietung.

Nach jahrelangen Problemen (Scheidung, Medikamentensucht) stand Ernst Degner, obwohl er seinen Wohnsitz vom Saarland nach Teneriffa verlegt hatte, nicht mehr auf der Sonnenseite des Lebens. Im Alter von nur 51 Jahren verstarb er am 8. September 1983 in seiner wieder einmal neuen Heimat, in Arona im Süden Teneriffas, offenkundig an Herzversagen.

Auf insgesamt 15 Grand-Prix-Siege brachte es Ernst Degner in seiner Karriere. Damit ist er in dieser Statistik nach Toni Mang (42), Klaus Enders (27) und Ralf Waldmann (20) der vierterfolgreichste deutsche Rennfahrer.

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