Jack Miller: «In Assen kam der Ball ins Rollen»
Jack Miller
Jack Miller hat 2016 eine MotoGP-Saison mit Höhen und Tiefen erlebt, wobei natürlich der glorreiche Sieg im Regen-GP von Assen alles überstrahlte.
Doch auch in der zweiten MotoGP-Saison blieb der Moto3-WM-Dritte von 2014 einiges schuldig.
«JackAss» erhielt zwar für 2016 im Marc VDS Honda-Team als Teamkollege von Tito Rabat eine Factory-RC213V, nachdem er 2015 bei LCR noch mit einer lahmen Open-Class-Maschine namens RC213V-S vorliebnehmen hatte müssen.
Miller kam 2016 in Barcelona gut in Fahrt, er sicherte sich dort Platz 10, das gab ihm Selbstvertrauen für die Dutch-TT in Assen.
«Wir sind bei den drei Rennen vor Spielberg deutlich stärker geworden, nicht nur im Nassen, sondern auch im Trockenen», hält Miller im Exklusiv-Gespräch mit SPEEDWEEK.com fest. «Wir haben uns besser an das Motorrad gewöhnt, das Feeling für die Honda ist besser geworden, das war wirklich erfreulich für mich. Denn nach der Saison 2015 und nach der ersten Saisonhälfte 2016 ist es manchmal schwierig gewesen... Ich bin ja wegen meiner Motocrossverletzung mit einem klaren Handicap in die Saison eingestiegen, der Schien- und Wadenbeinbruch machte mir einige Rennen lang Beschwerden. Erst in Assen ist der Ball ins Rollen gekommen, diesen Schwung wollte ich in die zweite Saisonhälfte mitnehmen.»
Aber dann zog sich Miller bei einem spektakulären Crash im Warm-up auf dem Red Bull Ring wieder eine langwierige Verletzung zu, er musste auf den Österreich-GP verzichten und nachher auch auf das Rennen in Brünn, in Silverstone blieb er als 16. punktelos.
Nachher wurde die Spielberg-Verletzung bei einem schweren Trainingscrash am Freitag in Misano wieder akut, es folgte die nächste Pause – für die Rennen in Misano und Aragón. Erst bei den letzten drei Rennen sammelte Jack wieder Punkte ein: Platz 10 in Australien, es folgten die Ränge 8 und 15 in Sepang und Valencia.
«2015 war es mit der Open-ECU nicht einfach, aber wir hatten mit der Honda auch in der ersten Saisonhälfte 2016 viel Mühe, besonders das Beschleunigen machte uns Kopfzerbrechen», hält der beliebte Draufgänger Jack Miller fest. «Dieses Problem hat uns sogar noch beim Österreich-GP das Leben schwer gemacht.»
2015 hatte Miller sogar einmal erwähnt, er würde schneller fahren können, wenn er die gesamte Einheits-ECU abmontieren könnte. Inzwischen hat er seine Meinung geändert. «Du brauchst in der MotoGP natürlich die Elektronik, um die Motorleistung an gewissen Stellen einzudämmen», sagt er. «Aber das kann auch manchmal schiefgehen. Beim nassen Rennen auf dem Sachsenring haben wir 2016 die Traction-Control zu stark eingestellt, es fehlte deshalb überall an Power. Ich habe dort sehr viel beim Rausfahren aus den Kurven verloren. Ich musste mich gewaltig abrackern, um die verlorene Zeit beim Bremsen immer wieder aufzuholen. Das war wirklich mühsam.»
2015 fühlte sich Miller im LCR-Team von den Honda-Elektronikern allein gelassen. «Die HRC-Techniker hatten damals alle Hände voll zu tun, um die Werks-Honda im Repsol-Team schlagkräftiger zu machen. Wir wissen, dass die Honda in den letzten zwei Jahren nicht das beste MotoGP-Bike war, auch wenn es durch die Risikobereitschaft von Marc Márquez anders dargestellt wurde.»
Von Miller, der einen Drei-Jahres-Vertrag mit HRC in der Tasche hat, wurde gleich in der ersten MotoGP-Saison erwartet, obwohl er einen Weitsprung von der 55 PS starken Moto3-KTM auf die 2560 PS starke MotoGP-Honda unternahm. LCR-Honda Teamchef Lucio Cecchinello verlangte von ihm 2015 den Gewinn der Open-Class-Wertung, in der Gesamtwertung sollte er auf Anhieb in die Top-Ten fahren. Doch Miller wurde 2015 nur WM-Neunzehner – mit 17 Punkten in 18 Rennen. Und in der Open-Class-Wertung reichte es nur für Rang 4.
Bei der Punkteausbeute hat sich der Australier stark verbessert: der 21-jährige Honda-Pilot kassierte im Vorjahr als WM-Achtzehner immerhin 57 Punkte.
Und: Miller schaffte 2015 keinen einzigen Top-Ten-Platz, 2016 hingegen deren fünf.
«Wir haben gesehen, wie schwierig es in der MotoGP-WM ist», sagt Miller. «Ich habe schon 2015 gesehen, dass in dieser Klasse alle soooo schnell fahren. Trotzdem habe ich gleich im ersten Jahr mehr Punkte gesammelt als zum Beispiel Nicky Hayden, der sehr viel Erfahrung hatte. Und an der Leistungsdichte in der MotoGP hat sich 2016 nichts geändert. Die Meisterschaft war sogar noch wettbewerbsfähiger, noch ausgeglichener, neun unterschiedliche Saisonsieger, das sagt ja alles.»
Trotz der nicht gerade restlos hinreissenden ersten zwei MotoGP-Jahre bekommt Miller von seinem 31-jährigen Kumpel Cal Crutchlow viel Rückhalt. «Vergesst nicht, Jack ist erst 21. In fünf oder zehn Jahren wird vermutlich nicht mehr Lorenzo um den Titel fighten, dann wird die Generation Miller um die Weltmeisterschaft fahren», meint der Brite.