Hervé Poncharal (Tech3): Lobeshymne auf Jonas Folger
Im Parc Fermé nach dem deutschen WM-Lauf: Poncharal umarmt Jonas Folger
Das Tech3-Yamaha-Team eilt mit den MotoGP-Rookies Johann Zarco und Jonas Folger von Überraschung zu Überraschung.
Teambesitzer Hervé Poncharal geriet nach dem zweiten Platz von Jonas Folger beim deutschen Grand Prix ins Schwärmen über seinen deutschen Schützling.
Hervé, dieses Rennen auf dem Sachsenring hat dich Nerven gekostet?
Oh, ja, 30 Runden auf diese Weise lassen dich sehr, sehr rasch sehr stark altern.
Aber es ging ja heute schon mit der Bestzeit im Warm-up perfekt los. Wir haben das Warmup hinten und vorne mit Medium-Reifen bestritten.
Jonas hatte ein großartiges Gefühl mit den Reifen und mit dem Motorrad.
Vor dem Rennen gab es zwei Fragezeichen für mich: Was macht das Wetter? Und wird Jonas auf dem Startplatz zu nervös sein?
Ich fürchtete, er würde einen mittelmäßigen Start fabrizieren – wie in Assen.
Wir wussten: Wenn Jonas einen guten Start hinzaubert wie in Barcelona, dann hat er die nötige Pace, um mit der Spitze mitzufahren. Definitiv.
Und das hat Jonas gemacht.
Jonas war gleich nach dem Start tadellos dabei. Er hat mächtig reingehalten, ohne falsche Scheu.
Ja, Jonas war in der Anfangsphase sehr aggressiv, in den ersten Kurven. Er verlor eine Position, aber er holte sie zurück. Damit war ich wirklich happy.
Als ich ihn an der Spitze sah, als er die zwei Repsol-Honda einholte, da dachte ich: Wow! Das wird ein langes, interessantes Rennen.
Jonas hat perfekte Arbeit geleistet.
Das Einzige, was ich sagen kann: Sobald er sich Pedrosa geschnappt hatte und am Hinterrad von Marc lag, ging er in Führung. Und da war ich ehrlich froh, als Jonas den ersten kleinen Fehler machte und Márquez wieder Platz 1 übernahm.
Für meine Nerven war es beruhigender, wenn ich Jonas auf der Verfolgung von Marc beobachten konnte. Wenn Jonas an der Spitze geblieben wäre, wäre das sicher schwierig zu bewältigen gewesen.
Irgendwann ging mir durch den Kopf: «Baah, dieses Rennen dauert zu lang.»
Ich habe die verbleibenden Runden runtergezählt... Noch 15 Runden. Immer noch 14 Runden! Das dauerte ewig.
Zwischendurch hoffte ich, dass Marc seinen Vorsprung vergrößert. Denn der Abstand war immer sooo gering – 0,1 oder 0,2 Sekunden.
Ich wusste, Jonas würde einen Angriff veranstalten, wenn er in der letzten Runde nur 0,1 oder 0,2 sec hinter Marc zurückliegen würde. Das wollte ich mir gar nicht vorstellen.
Jonas war sich bewusst: «Platz 2 ist super. Aber ein Heimsieg wäre zauberhaft.»
Zum Glück ist ihm noch ein Fehler passiert... Dann hat er unsere Boxentafel gesehen. Wir haben ihn eingebremst...
In den letzten zwei Runden hat er deshalb wohl gedacht: «Nimm die 20 Punkte, fahr’ als Zweiter durchs Ziel.»
Wir sind wirklich froh über diese Entscheidung! Sehr froh.
Wie ich immer sage. Du brauchst zwei gute Beine, wenn du anständig gehen willst.
Bisher war in unserem Team das französische Bein ein bisschen stärker als das deutsche.
Aber jetzt hat jeder unserer Fahrer vor der Sommerpause einen zweiten Platz erobert. Jedes Mal beim Heim-GP, Johann in Frankreich, Jonas in Deutschland.
Mehr haben wir nicht erwarten dürfen. Davon haben wir im Winter nicht einmal geträumt.
Und jetzt kämpfen deine beiden Fahrer um die Rookie-of-the-Year-Trophäe. Zarco liegt nur noch 5 Punkte vor Folger.
Ja, und wir haben gute Aussichten, 2017 das beste Kundenteam zu werden. Cal Crutchlow und LCR wollen uns diese Position streitig machen. Cal macht Jagd auf uns...
Aber was mich tief berührt hat: Johann Zarco ist sofort zum Parc Fermé gelaufen, er sprang über den Zaun, um Jonas umarmen zu können.
Das ist mir sehr nahe gegangen.
Diese Szene zeigt unseren Teamgeist. Und diese Szene ist der Beweis, wie gut die Atmosphäre bei uns ist.
Sicher, wenn sie sich auf der Piste begegnen, dann bekämpfen sich die beiden heftig. Johann hat es nicht erlaubt, dass ihn Jonas in Catalunya besiegt.
Das war eine schwierige Situation für Jonas, weil er vorher die ganze Zeit im Rennen vor seinem Teamkollegen war.
Wir sind stolz auf unsere beiden Jungs und auf die Art und Weise, wie das Team arbeitet und zusammenhält. Das Verhalten des Teams ist vorbildlich. Wir haben Werte, die wir hochhalten.
Neben dem Sport sind bei uns Freundschaften entstanden, wir teilen unsere Gefühle, wir verbringen viel Zeit miteinander. Das ist wichtig.
Jonas sagte nach dem Rennen, er sei dankbar, dass Monsieur Poncharal auf ihn vertraut hat nach den Moto2-Jahren.
Manchmal weiß man nicht genau, was das Leben bringt.
Aber manchmal findet du Menschen, bei denen du ein gutes Gefühl hast, denen du Vertrauen schenkst. Du denkst dann, du könntest mit diesen Leuten zusammen etwas erreichen.
Bei anderen Menschen entsteht dieses Gefühl nicht.
Mit Jonas hatte ich schon vor vielen Jahren ein gutes Gefühl, das war noch in seiner 125-ccm-Zeit.
Ich habe ihn immer beobachtet. Sicher, er hatte einige Höhen und Tiefen in der 125er-WM, dann wurde er vom Aspar-Team aufgefangen.
Jonas gab nach der MZ-Zeit fast auf. Dann kam er mit dem Emir-Motorrad von Iodaracing zurück. Aspar hat ihn dann quasi «gerettet».
Aber ich habe ihn mir immer angeschaut. Ich überlegte immer: Vielleicht kann ich ihm eines Tages etwas anbieten, was er akzeptieren wird.
So haben wir ihn letztes Jahr in Le Mans im Mai verpflichtet, das war sehr früh.
Wir sind dafür recht stark kritisiert worden.
Die Leute sagten: Warum habt ihr ihn so früh engagiert? Seid ihr verrückt?
Und tatsächlich waren seine Resultate nach der Vertragsunterzeichnung nicht sonderlich gut. Er hatte einige Crashes, aber dann gelang ihm der Sieg in Brünn im Regen.
Das hört sich jetzt vielleicht vorlaut an. Aber ich habe die Hoffnung nie aufgegeben, ich hatte keinen argen Zweifel.
Jonas ist wie so mancher andere junge Mann, vielleicht noch viel mehr als jeder andere: Er ist ein bisschen fragil in seinem Kopf. Er muss die Unterstützung des Teams sehr deutlich spüren. Er braucht Leute, die ihm einschärfen: «Du kannst das schaffen. Bitte hab’ mehr Vertrauen in deine Fähigkeiten.»
Dieses Vertrauen fehlt ihm manchmal.
Und er braucht ein konkurrenzfähiges Motorrad. Bei uns bekommt er ein erstklassiges GP-Motorrad.
Dazu verfügt Jonas über eine ausgezeichnete Technikcrew. Aber abgesehen von diesen Technikern braucht Jonas Leute, mit denen er sich gut aufgehoben fühlt. Wir leben ja tagaus, tagein miteinander.
Ich behaupte immer: Meine erste Familie ist mein Rennteam. Erst dann kommt meine richtige Familie.
Der schönste Augenblick des Tages ist für mich immer der Abend in der Hospitality.
Freitagabend, Samstagabend, wenn dort fast nur noch das Team versammelt ist. Keine Medien, keine Gäste, kein Sponsoren. Dann sind wir unter uns. Ich liebe es, wenn sich die Fahrer dann wohl fühlen.
Manchmal muss ich sie dann ins Bett jagen, weil es recht spät wird.
Aber diese Zusammenkünfte sind wichtig.
Ich weiß, Begriffe wie «Teambuilding», das sind Modeworte... Alle reden darüber. Aber du brauchst diesen Teamspirit.
Und ich bin überzeugt, dieser Teamgeist hilft Jonas. Er beflügelt ihn.