Kurt Trieb/KTM: «Aragón war eine Riesenüberraschung»
Das MotoGP-Projekt von KTM Factory Racing wurde im GP-Fahrerlager anfangs mit einer gewissen Skepsis beäugt.
Ausgerechnet die als Hersteller von Offroad-Bikes groß gewordene Firma aus dem Hinterland von Oberösterreich tanzte aus der Reihe und forderte die übermächtigen Japaner sowie Ducati und Aprilai mit einem einzigartigen Konzept heraus.
Gitterrohrstahlrahmen und hauseigene WP-Suspension hießen die Zutaten, die bei der Konkurrenz die Augenbrauen hochgehen ließen.
Inzwischen belächelt die Orangen aus Munderfing und Mattighofen keiner mehr.
Als einzige echte Neulinge, Suzuki und Aprilia haben jahrelange MotoGP-Erfahrung, stiegen aber 2015 neu wieder ein, haben die Österreicher seit Assen mit stabilen Leistungen überzeugt. Sieben Mal in Serie fuhr jetzt ein KTM-Pilot in der Königsklasse auf die Plätze 9 bis 11. Seit Assen bei jedem Grand Prix. Drei Monate lang.
Und allmählich erinnern sich die Experten, dass Ducati 2007 die MotoGP-WM mit Casey Stoner mit einem Gitterrohrstahlrahmen gewann.
Seit dem Umstieg auf den Alu-Brückenrahmen hat Ducati keine WM mehr gewonnen.
Stefan Pierer, Vorstandsvorsitzender der KTM Group, hatte vom ersten Tag an nie Zweifel. «Wir sind Weltmarktführer bei den Stahlrahmen. Sie haben sich in der Moto3-WM bewährt, was auch keiner geglaubt hat. und es gibt keinen Grund, warum man damit in der MotoGP nicht konkurrenzfähig sein sollte.»
Ein wertvoller Erfolgsfaktor sind bei KTM auch die kraftvollen 1000-ccm-V4-Motoren, die von Ing. Kurt Trieb konzipiert und entwickelt wurden und durch ihre Leistungsfähigkeit und Standfestigkeit überzeugen.
Auch der eilige Umstieg vom Screamer auf den Big-Bang beim Jerez-GP im Mai hat an der Zuverlässigkeit der KTM-Triebwerke nichts geändert.
Dem öffentlichkeitsscheuen Motoren-Guru Kurt Trieb ist die Zufriedenheit anzumerken.
Beim Saisonauftakt in Katar sah die Situation noch nicht so vielversprechend aus. Pol Espargaró und Bradley Smith standen mit 2,796 und 2,820 Sekunden Rückstand auf den letzten zwei Startplätzen. Und der Abstand zum vor ihnen liegenden Barbera betrug mehr als 0,6 Sekunden.
Das sah nach einem mühseligen Lernjahr aus. Teammanager Mike Leitner machte sich nichts vor: «Wir haben auf sechs GP-Strecken nicht getestet und werden in der ersten Saison ein paar schwarze Tage erleben», sagte er.
Kurt, beim Katar-GP habe ich bei dir Samstagnacht ein paar Sorgenfalten entdeckt. Aber der Big-Bang-Motor war schon in der Pipeline. Das Debüt war eigentlich für den Brünn-GP vorgesehen?
Ganz allgemein haben wir uns alle drauf eingestellt, dass die MotoGP-WM schwierig wird. Die Rückstände waren so, wie sie waren. Wir haben gewusst, wir müssen etwas machen.
Und der Big-Bang hat da eben auch dazu gehört.
Aber eigentlich sollte der Schritt zum Big-Bang erst nach der Sommerpause erfolgen?
Für unseren Testfahrer Mika Kallio war das nie so ein Thema, der Big-Bang. Das kam eigentlich mit unseren Rennfahrern Pol und Bradley vermehrt zur Sprache, schon bei den Wintertests. Sie haben gesagt, sie brauchen etwas, was ein bisschen sanfter zur Sache geht.
Dann wurde dieses Projekt entsprechend beschleunigt.
Bei den ersten Grand Prix hatte das KTM-Duo oft die letzten Plätze abonniert. Jetzt in Aragón hat Kallio in vier freien Trainings zweimal Platz 5 erreicht. Damit durfte wohl niemand rechnen? Die Konkurrenz schläft ja auch nicht.
Das war für uns auch einen Riesenüberraschung.
Das neue Chassis hat sich in Aragón sehr gut bewährt. Bisher scheint alles zu funktionieren, was bei KTM neu entwickelt wird.
Die Zeitrückstände von Katar haben ja gezeigt, dass wir mehr Arbeitsbedarf hatten als die Konkurrenten. Aber die technische Aufholjagd wird sicher nicht in diesem Tempo weitergehen. (Er lacht).
In Texas beim dritten Rennen habt ihr im Rennen noch 58 Sekunden verloren. Motorsport-Direktor Pit Beirer hat dann gesagt: Bis zum Saisonende sollen wir den Rückstand auf eine Sekunde pro Rennrunde begrenzen. In Aragón fehlten nach 23 Runden nur noch 14 Sekunden. Was war eigentlich schwieriger: Eine einzelne schnelle Runden hinzukriegen oder eine brauchbare Renndistanz?
In unserer Situation schauen wir nach wie vor nur auf die Performance, damit wir näher an die Konkurrenz herankommen.
Wenn wir den Level, den wir jetzt in Aragón gehabt haben, auch auf anderen Pisten schaffen, dann müssen wir uns um die Distanz kümmern.
KTM war in Le Mans, auf dem Sachsenring und Aragón im Qualifying 2 der Top-12. Keine Selbstverständlichkeit im ersten Jahr. Das schaffen teilweise Fahrer wie Rossi und Pedrosa, Zarco oder Crutchlow nicht.
Ja, ganz egal, wer es ist, in dieser Klasse kann sich keiner ausruhen.
Was ist das Erfolgsgeheimnis von KTM? Man sieht bei euch viele Spitzentechniker in allen Bereichen, dazu hat Stefan Pierer von einem üppigen Budget gesprochen und den Betrag 30 Millionen erwähnt. Ihr habt gute Voraussetzungen? Deshalb habt Ihr Suzuki schon den Rang abgelaufen.
Das Personal ist immer ein Thema. Da kann man sich immer weiter verstärken.
Aber es wird jetzt leichter sein, Topleute zu finden. Pit Beirer sagte: Vor zwei Jahren hat ja keiner gewusst, ob wir nicht mit einem Mercedes Sprinter und einem umgebauten Offroad-Bike aufkreuzen.
(Er lacht). Ich glaube schon, dass die Leute dank unserer Leistungen sehen, dass wir ein erfolgreiches Projekt gestalten wollen. Und das zieht natürlich auch Interessenten an. Das ist klar.
Die befürchteten schwarzen Tage haben sich auch in Grenzen gehalten. In Misano war es im Trockenen schwierig, im Regen lief es im Rennen besser. Smith wurde vor Espargaró Zehnter.
Ja, wir haben ein paar Strecken, die uns noch Mühe machen. Barcelona zum Beispiel, Mugello war auch nicht so prickelnd. In Misano haben wir auch unsere Probleme.
Das sind überwiegend Low-Grip-Strecken?
Ja, das sind Low-Grip-Strecken. Auf jeden Fall. Die Strecke in Aragón liegt uns anscheinend besser.
Oder kam der Fortschritt wegen des neuen Chassis? Aragón ist ja auch Low-Grip?
Das neue Chassis war sicher eine gute Entwicklung. Das ist ein komplett neues Chassis.
Im Hinblick auf mehr Traktion?
Wir haben so eine gewisse Vorstellung, in welchem Bereich wir uns verbessern müssen, und das hat sich jetzt als richtig herausgestellt.
Es war wohl ein sinnvoller Schachzug, dass KTM im Juli in Aragón drei Tage getestet hat. Durch den Regen am Freitag kam euch das doppelt zugute, als es am Samstag trocken wurde?
Wir haben in Aragón viel getestet. Das hat uns am Wochenende sicher geholfen. In Misano haben wir hingegen vom Test nicht profitiert.
Wir sind halt noch nicht so weit, dass wir auf jeder Strecke die gleiche Performance rausholen können.
Aber das gilt auch für die Konkurrenz. Viñales und Rossi waren am Freitag 17. und 20. Im Rennen Vierter und Fünfter. Im Quali waren sie Erster und Dritter.
Ja, bei den Schwankungen sind wir nicht die einzigen.