Valentino Rossi: Hat Yamaha-Reihenmotor ausgedient?
Grübelt über den Yamaha-Motor: Valentino Rossi
Valentino Rossi (39) profitierte jahrelang von den Vorzügen des Reihenvierzylindermotors der YZR-M1-Yamaha, dessen Fahrbarkeit als vorbildlich galt, er profitierte vom erstklassigen Chassis und Handling, vom großartigen Einlenkverhalten, das wohl auch damit zu tun hatte, dass Yamaha als erster Hersteller eine gegenläufige Kurbelwelle entwickelte. Also eine Kurbelwelle, die sich gegen die Fahrtrichtung dreht, was den gyroskopischen Effekt verringert, weil sich die rotierenden Massen (Räder und Kurbelwelle) ungefähr die Waage hielten.
Aber inzwischen verfügen alle anderen fünf Hersteller (Honda, Ducati, Suzuki, Aprilia und KTM) ebenfalls eine gegenläufig drehende Kurbelwelle.
Yamaha ist technisch ins Hintertreffen geraten, zumindest gegenüber Ducati (zuletzt drei GP-Siege in Serie) und Honda, denn Marc Márquez liegt in der WM 70 Punkte vor Yamaha-Hoffnung Valentino Rossi.
Yamaha hat seit Assen 2017 (Rossi) keinen Grand Prix gewonnen, Viñales läuft seit Le Mans im Mai 2017 einem Sieg hinterher. Er ist nur WM-Fünfter, 97 Punkte hinter Leader Marc Márquez!
Der WM-Dritte Valentino Rossi kommt aus dem Grübeln nicht heraus. Er dachte das ganze Jahr 2017, man müsse das Chassis verbessern, weil der Reifenverschleiß zu hoch war.
Im vergangenen Januar vermutete er, es habe mit der Elektronik zu tun, Yamaha habe hier die Entwicklung verschlafen.
Seit 2016 existiert die Einheits-Elektronik von Magneti-Marelli, Yamaha hat nicht so viel Manpower angesammelt wie die siegreichen Werke und die Problematik offenbar unterschätzt.
«Auf jeden Fall haben wir bei Yamaha in den letzten drei Jahren in der ersten Saisonhälfte immer mehr Podestplätze erzielt als in der zweiten», fiel Rossi auf. «Das heißt: Ducati und Honda entwickeln während der Saison besser weiter als Yamaha.»
In Misano verstand Rossi am Sonntag nach Platz 7 die Welt nicht mehr. «Die Verhältnisse waren identisch wie am Samstag. Trotzdem sind wir eine Sekunde langsamer gefahren. Ducati und Honda hingegen genau so schnell wie am Samstag», wunderte sich der neunfache Weltmeister.
Honda hat für 2016 den Big-Bang gebracht und ein Jahr später die Laufrichtung der Kurbelwelle gedreht. Ducati hat durch die Open-Class-Vorteile und diverse Privilegien (mehr Motoren, mehr Testtage, Motorenentwicklung nicht eingefroren) technisch so lange experimentieren und aufholen können, bis Dovizioso im Vorjahr sechs GP-Siege feierte.
Und bei Yamaha? Dort ist jahrelang nichts Revolutionäres passiert. Das Cross-Ply-Konzept (quasi ein Big-Bang) von Yamaha existierte schon, als Rossi dort 2004 debütierte.
Hat der Reihenmotor womöglich ausgedient? Müssen die Yamaha-Konstrukteure das Motorendesign überdenken?
Ducati und Honda vertrauen jedenfalls auf V4-Konzepte, Aprilia und KTM auch.
«Ja, es ist möglich, dass inzwischen auch der Motor ein Problem bei uns ist», gibt Rossi jetzt erstmals zu bedenken. «Man muss klar sehen: Ducati und Honda haben von Yamaha gelernt. Denn die Kraftentfaltung von Yamaha war schon vor drei, vier Jahren sehr sanft. Die Motoren von Honda und Ducati haben damals noch laut gekreischt, es waren Screamer-Versionen. Ihre Triebwerke waren aggressiver. Es sieht so aus, als hätten sich die Gegner einiges von Yamaha abgeschaut. Honda hat beim Motor sicher erhebliche Fortschritte gemacht. Ducati war in diesem Punkt immer stark...»
Denn die exklusive desmodromische Ventilsteuerung offenbart Vorteile bei hohen Drehzahlen, auch beim Spritverbrauch.
Rossi: «Honda hat einen V4-Motor, wir haben den Reihenmotor. Vielleicht liegt hier das Problem. Bahhh… Es kann sein. Aber ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht.»
Bei Suzuki wird das Gegenteil bewiesen: Suzuki hat sich nach dem Rückzug 2011 vom V4-Konzept verabschiedet und verwendet seit der Rückkehr 2015 erstmals MotoGP-Reihenvierzylinder-Triebwerke. Alex Rins besiegte damit in Misano beide Yamaha-Werkspiloten – mit Platz 4.