Hervé Poncharal (KTM): «Teil eines großen Projekts»
Das französische Tech3-Team wechselt nach 20 Jahren von Yamaha zu KTM. Johann Zarco hat dort mit den Kunden-Motorrädern von Yamaha in den letzten zwei Jahren sechs Podestplätze und zweimal den sechsten WM-Rang erreicht. Tech3-Teambesitzer Hervé Poncharal (62) ist sich nach den November-Testfahrten bewusst, dass die KTM RC16 in ihrem dritten Rennjahr noch ein paar Schwachstellen haben wird.
Aber er hat in seiner jahrzehntelangen Karriere schon einiges erlebt und richtet seine Tätigkeit nicht auf kurzfristige Erfolge aus. «Als ich 1999 für Yamaha erstmals die 250er-WM bestritten habe, hatten sie sich werksseitig eigentlich schon lang aus dieser Weltmeisterschaftsklasse zurückgezogen. Harada war 1996 noch der letzte Yamaha-250-Werksfahrer. Aber ich wollte mit Yamaha zusammenarbeiten, denn ich hatte Vertrauen zu ihnen, mir gefiel ihre Vorgehensweise», blickt Poncharal zurück. «Und jetzt ist die Situation mit KTM sehr ähnlich. Ich habe mich nicht wirklich darum gekümmert, wo sie in der MotoGP-Klasse standen, als wir uns vor einem Jahr geeinigt haben. Denn ich habe gewusst, was sie in der Moto3- und Moto2-WM bewerkstelligt hatten, bei der Dakar-Rallye, in allen Offroad-Bereichen, in der Motocross- und Supercross-WM. Ich kannte ihre Stärken. Und dann triffst du Pit Beirer und Herrn Stefan Pierer und Hubert Trunkenpolz. Du spürst sofort, dass diese Menschen niemals ruhig schlafen werden, bevor sie nicht auch in der MotoGP-WM gewonnen haben. Dieser Eindruck hat mich überzeugt. Ich habe danach den Level des Motorrads nicht mehr prüfen müssen. Bei KTM spürst du überall den unbändigen Siegeswillen. Alle erwähnten Personen und viele andere haben im Motorsport bei KTM nur ein Ziel. Sie wollen siegen. Das zeigen ihre 297 Weltmeistertitel. Und wenn du dich in dieser GP-Welt bewegst, ist es sehr wichtig, dass man gewisse Werte und Ideen teilt. Man möchte deshalb Teil dieses Projekts von KTM sein.»
Poncharal: «Bei KTM habe ich sofort gespürt, dass wir mehr sein werden als ein Kunde. Wir werden Informationen und Erfahrungen austauschen, mit allen Menschen, die bei KTM in der MotoGP-Mannschaft beteiligt sind. Und in der Moto2 wird es ähnlich sein. Ich hege viel Bewunderung für all diese besonderen Menschen wie Red Bull-Chef Mateschitz, Herrn Pierer und Herrn Trunkenpolz von KTM. Mit ihnen arbeiten zu dürfen und mit ihnen ein Projekt wie MotoGP zu teilen, ist etwas sehr Wichtiges. KTM propagiert den Slogan ‚Ready to Race‘. Aber am Ende des Tages geht es auch darum, das Marketing und die Marken Red Bull und KTM zu unterstützen, Erfolg zu haben und dadurch den Verkauf voranzutreiben. Wenn die Verkäufe zufriedenstellend ausfallen, geht es uns allen gut. Wir haben also ein klares, gemeinsames Ziel und eine Verbindung vom Motorsport zu den Produkten. Und das liebe ich.»
«Bei Yamaha war das anders. Das ist ein riesiger Konzern. Es gab einen Vorstand, aber man wusste nie genau, wer gerade der wirkliche Chef war. Manchmal kam der mutmaßliche Boss zu einem Grand Prix, aber dann hat sich herausgestellt, dass er nicht der wahre Chef war», blickt Poncharal auf seine Zeit mit den Japanern zurück. «Und außerdem wurden die verantwortlichen Personen bei Yamaha sehr oft ausgetauscht.»
Poncharal hat inzwischen den kompletten Vorstand von KTM kennengelernt. Dieser kommt manchmal fast geschlossen zu einem Grand Prix, nicht nur in Spielberg.
Das Tech3-Team wollte eine engere Verbindung zu einem Werk – wie LCR bei Honda und Pramac bei Ducati. Yamaha sträubte sich dagegen, das Werksteam wollte offenbar nicht im Schatten eines Kundenteams stehen. Es passierte trotzdem 2017 und 2018 immer wieder – dank Zarco und Folger.
«Pit Beirer ist zum Beispiel am Montag nach dem Valencia-GP zu uns in die Box gekommen und hat um 10 Uhr in der Früh eine Rede vor meiner kompletten Mannschaft gehalten», erzählt Poncharal begeistert. «Er hat erklärt, dass KTM sehr stolz auf diese neue Zusammenarbeit ist und sehr happy, weil jetzt vier Motorräder im Feld sein werden. Er hat uns versichert, dass KTM gewinnen will und es für ihn keine Rolle spielt, ob das mit dem Werksteam passiert oder bei Tech3.»
Pit Beirer hat dieses System auch in der Moto3-WM verwirklicht. Deshalb konnte Maverick Viñales 2013 den WM-Titel im kleinen Calvo-LaGlisse-Team gegen des Red Bull-Ajo-Team mit Luis Salom gewinnen. Pit Beirer lieferte damals persönlich beim WM-Finale noch einen frischen Motor für Viñales in der Calvo-Box ab. Maverick war so gerührt und dankbar, dass er Pit Beirer bei der FIM-WM-Gala instinktiv seine Goldmedaille schenkte.
«Was Pit am Montag in Valencia in unserer Box gesagt hat, war für uns etwas Besonders. Und ich weiß, dass es keine leeren Worte waren», betont Poncharal. «Ich weiß, dass bei KTM jeder meint, was er sagt.»
Der französische Teamchef macht kein Geheimnis daraus, dass seine Mannschaft nicht in helle Begeisterung ausbrach, als er vor einem Jahr den Wechsel zu KTM verkündete. «Aber als die KTM-Motorräder in Valencia zu uns in die Box gebracht worden, nachdem meine Techniker die Qualität jedes einzelnen Teils begutachtet hatten und nachdem sie die Ansprache von Pit gehört hatten, sind meine Teammitglieder im Nu zu eingefleischten orange-farbenen KTM-Fans geworden», verrät Hervé. «Das ist eine riesige Erleichterung. Denn unser Leben ist unsere Arbeit. Wenn du ein GP-Team betreibst, ist das kein normaler Acht-Stunden-Job. Du hast nicht viel Freizeit, du gehst nicht um 17 Uhr heim, du hast kaum freie Wochenenden. Also brauchst du Energie, wenn du nach einem langen Arbeitstag müde wirst. Und diese Energie bekommen wir jetzt, weil wir alle spüren: Wir sind bei KTM und Red Bull Teil eines großen Projekts.»