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Cal Crutchlow: Was steckt hinter dem Rennfahrer?

Von Manuel Pecino
Cal Crutchlow, im Hintergrund Marc Márquez

Cal Crutchlow, im Hintergrund Marc Márquez

SPEEDWEEK.com hat sich mit Cal Crutchlow, dem einzig verbliebenen britischen MotoGP-Fahrer, unterhalten und grossteils Themen jenseits des Motorradrennsports angesprochen.

«Ich habe mich früher viel wahnsinniger gemacht wegen des Rennsports. Verstehen sie mich nicht falsch: Ich liebe den Sport noch immer, aber ich habe jetzt wichtigere Dinge in meinem Leben als vor fünf Jahren: Meine Frau Lucy und meine Tochter Willow.»

Wenn er von seiner Familie spricht, wird der weiche Kern des LCR-Honda-Piloten und dreifachen MotoGP-Siegers deutlich sichtbar. Im Sommer 2018 musste Cal einmal bei einer Dorna-Pressekonferenz sogar eine Fanfrage zu Willow beanworten. Welchen MotoGP-Rennfahrer könnte er sich als Lebensgefährten von Willow vorstellen?

Der Engländer geriet sichtbar ins Grübeln. «Warum diskutieren wir meine Tochter in Verbindung mit irgendwelchen Rennfahrern», wunderte er sich. «Denn sie wird nie einem in die Nähe kommen. Sie sind alle Idioten», lachte er. «Welchen soll ich aussuchen? Ich kann keinen empfehlen. Mir fällt keiner ein. Habt ihr euch ihre Gesichter schon einmal angeschaut? Sie sehen wirklich nicht gut aus. Ahhh… Wer würde sich am nettesten um Willow kümmern? Ich muss nachdenken.»

Zwei Minuten später meldete sich Crutchlow wieder zu Wort. «Also wenn ich unbedingt eine Antwort geben muss… Dann würde ich Jack Miller nehmen. Denn er ist der einzige, der schon mehrmals als Babysitter auf Willow aufgepasst und sich lieb um sie gekümmert hat. Aber selbst ihn würde ich nie in ihre Nähe lassen, wenn sie erwachsen ist. Absolut nicht! Ich würde Jack mit einer Bootsstange fernhalten. Und auch sonst jeden anderen Mann.»

Titel

Wir Rennsportfans verehren die Helden des Sports wie Superhelden. Wir bewundern ihr Können, wie sie ihre 280-PS-schnellen Motorräder kontrollieren... Wie sie nur wenige Zentimeter hinter ihren Gegnern nachfahren, wie sie die Geraden hinunterdonnern, mit der Geschwindigkeit von abhebenden Flugzeugen, und wie sie nur Sekunden nach erschreckenden Stürzen aufstehen, als wäre nichts passiert.... Ja, diese Jungs kommen von einem anderen Planeten.

Diese Bewunderung lässt uns oft vergessen, dass auch diese Jungs keine Aliens sind. Unsere Helden haben nur ein unglaubliches Talent: Motorradrennen fahren. Jenseits der Strecke sind sie «normale» Menschen, mit Stärken und Schwächen.

Wir haben uns mit einigen unserer Helden hingesetzt und sie dazu befragt, wie sie sich selbst sehen, was sie an sich mögen und was sie gerne an sich ändern würden.

Diesmal haben wir mit Cal Crutchlow gesprochen. Der britische Rennfahrer ist in der MotoGP-Welt eine Art einsame britische Insel, umgeben von einer Legion von Italienern und Spaniern. Nur zwei Fahrer, die weder Italiener oder Spanier sind, haben es letztes Jahr in der Weltmeisterschafts-Gesamtwertung unter die ersten 13 geschafft. Cal war einer von ihnen. Crutchlow ist auch der einzige Nicht-Latino, der während der Saison ein Rennen gewonnen hat.

Cal Crutchlow wird nachgesagt, dass er ein «direkter Typ» sei, unvorhersehbar, was seine Antworten betrifft. Aus diesem Grund wusste ich bei diesem Interview nicht, was geschehen würde... Aber ich musste es versuchen. Ich kann nur sagen: Das Resultat war positiv. Ich bin aus dem Gespräch hinausgegangen und hatte das Gefühl, gute Arbeit geleistet zu haben. Ich dachte: «Gut. Die Leute werden das mögen und Cal besser kennenlernen.»

Cal, was siehst du, wenn du in den Spiegel schaust?

Im visuellen Kontext denke ich jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue, dass ich täglich altere. Ich habe mehr graue Haare, obwohl ich jetzt weniger Stress habe! Wahrscheinlich, weil ich eine Frau und eine Tochter habe; am Rennsport liegt das nicht. Es liegt daran, dass ich mir jetzt mehr Gedanken über das Leben mache, weil es mir wichtig ist, dass wir als Familie alles haben, dass wir glücklich sind und dass wir gemeinsam alt werden. Früher habe ich mir viel mehr Stress gemacht wegen des Rennsports. Ich liebe ihn immer noch, gar keine Frage. Wenn das nicht so wäre, wäre ich nicht hier. Aber ich habe jetzt wichtigere Dinge im Leben als vor fünf Jahren. Wenn ich damals Stress hatte, war es wegen des Rennsports.

Heißt das, dass du in der Vergangenheit mehr über den Rennsport nachgedacht hast als heutzutage?

Ja... Aber versteh' mich nicht falsch: Ich denke immer noch täglich darüber nach, jede Stunde. Es ist immer mein Ziel, zu gewinnen. Deshalb denke ich darüber nach. Ich bewege mich in einem Umfeld, in dem es immer um dasselbe Ziel geht: zu gewinnen.

Wenn man nicht drüber nachdenkt und sich nicht drum kümmert, kommst du nirgendwo hin. Was sich verändert hat, ist, dass ich jetzt eine Balance gefunden habe, die es mir erlaubt, entspannter zu sein als vor ein paar Jahren. Wenn ich heute ein schlechtes Resultat erziele, kann ich es besser akzeptieren als früher. Damals habe ich mich selbst mehr bestraft, wenn ich ein schlechtes Ergebnis hatte. Wenn mir das heute geschieht, bin ich natürlich sehr enttäuscht, für mein Team und für mich selbst. Das geht mir immer noch so, aber wenn ich nach Hause gehe und mich um meine Tochter kümmern kann, dass sie gesund und glücklich ist... Ich mache mir jetzt mehr Sorgen darüber, wenn sie erkältet ist. Wenn ich mich jetzt also im Spiegel sehe, denke ich, dass ich älter aussehe, aber ich bin glücklicher.

Ich habe Marc Márquez dieselbe Frage gestellt; er hat genau das Gegenteil gesagt: «Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich immer noch ein Kind.» Das ist lustig. Cal, ich habe die Tugenden aufgeschrieben, von denen ich denke, dass du sie besitzt. Ich habe «mutig» erwähnt, weil ich finde, dass jemand, der so oft stürzt wie du und nicht aufgibt, mutig ist. Weiters habe ich die Begriffe «ehrlich», «hartnäckig» und «entschlossen» notiert. Würdest du mir zustimmen?

Mit «entschlossen», ja. Ich weiß, es hört sich nach einem Klischee an, aber ich würde immer sagen, dass ich entschlossen bin. Das war ich und bin ich noch immer, wenn auch nicht mehr so extrem wie früher.

Damals war ich aus falschen Gründen entschlossen. Ich war entschlossen, Leuten zu zeigen, dass sie falsch liegen. Das ist manchmal noch immer so. Ich will immer noch gewinnen. Ich habe immer noch den Wunsch, vorne zu sein.

Ich verrate dir ein Geheimnis: Während langer Zeit, von ungefähr meinem 15. Lebensjahr bis in meine Zwanziger hatte ich eine Nachricht auf meinen Handy, wenn ich es eingeschaltet habe. Es stand: «Entschlossenheit».

Mutig? Das Ding ist. Wenn ich stürze, bin ich entschlossen, aber aus dem Grund, weil ich es den Leuten zeigen will. Wenn ich stürze und in die Box zurückkomme, ist die nächste Runde normalerweise einer der schnellsten meines ganzen Wochenendes. Aber das mache ich nicht, um Leute zu verärgern, sondern um es ihnen zu zeigen.

Ich nenne keine Namen, aber als Beispiel: Wenn Andrea Dovizioso im Training stürzt – was übrigens sehr selten passiert – dauert es zehn Runden, bis er wieder zu seiner vorherigen Zeit zurückfindet.

Ich verlasse die Boxengasse und habe sofort wieder meine vorige Pace. Aus dem Grund, weil ich es für meine Mentalität brauche: Ich kann es.

Was würdest du an deinem Charakter verändern? Wärst du gerne netter zu Leuten oder so ähnlich? Gibt es etwas?

Ich glaube nicht, dass ich ein schlechter Mensch bin. Das bin ich bestimmt nicht. Es gibt viele Dinge, die ich verändern möchte, aber das ist nicht einfach. Ich will meinen Fahrstil verändern. Das habe ich viele, viele Male versucht, aber jeder hat seinen natürlichen Fahrstil. Ich glaube, dass ich im Leben, wie du gesagt hast, ein ehrlicher Mensch bin. Ich sage oft die Wahrheit, vielleicht zu oft; ich mag keine Lügner. Ich hasse es, wenn mich jemand anlügt, deshalb mache ich es selbst nicht.

Wenn du mir eine Frage stellst, bekommst du eine direkte Antwort. Wenn ich die Frage nicht beantworten kann, sage ich das auch.

Versteh' mich nicht falsch. Wenn ich 15 Minuten verspätet zu einem Event komme, schicke ich eine SMS und sage, dass ich in fünf Minuten da bin. Aber das nenne ich eine Notlüge...

Generell glaube ich, dass ich eine gute Balance habe im Leben. Natürlich gibt es einiges, das ich verbessern will. Auf der Strecke und abseits davon. Ich denke, dass es da allen gleich geht.

Du bist aus Coventry. Haben die Leute aus Coventry eine besondere Charakter-Eigenschaft, die dich auch kennzeichnet?

Obwohl ich mehr Zeit in Coventry verbracht habe also irgendwo anders auf der Welt, glaube ich das weniger. Ich weiß, es hört sich komisch an, aber ich bin auf die Insel Man gezogen, weil es dort ruhig ist. Niemand schert sich groß darum, was du tust. Du kannst tun, was du willst. Du kannst dein Leben geniessen. Es ist ein grossartiger Ort.

Ich werde nie vergessen, wo ich meine Wurzeln habe, aber ich werde nie mehr nach Coventry zurückkehren, um dort zu leben. Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Ich hatte viel Spaß.

Wie man weiß, habe ich viele Jahre lang Fussball gespielt. Dieser Abschnitt meines Lebens war auch grossartig, aber ich liebe Motorräder.

Ich glaube, ich habe eine gute Balance gefunden, indem ich auf die Isle of Man gezogen bin. Ich habe ein Ferienhaus in Italien und eines in Kalifornien. Irgendwann werde ich in Kalifornien leben, da bin ich mir sicher.

Wegen des Wetters?

Wegen des Wetters und weil ich glaube, dass es für meine Tochter besser ist. Natürlich, sie kann irgendwo aufwachsen und glücklich sein, aber ich glaube, dass die Kinder in Kalifornien anders aufwachsen. Sie lernen lebensrettende Lektionen im Meer und solche Sachen. Ich denke, dass sie es viel mehr geniessen, draußen zu sein.

Hast du immer noch Kontakt zu deinen Schulfreunden?

Leider, und das ist wirklich schade, verliert man die Verbindungen.

Manche von ihnen sehe ich hin und wieder. Ein paar meiner besten Freunde sind immer noch in Coventry. Aber wir sehen uns leider nicht so oft, wie wir gerne würden.

Wenn ich sie heutzutage sehe, dann meistens, weil sie zu meinen Rennen kommen. Das ist nicht wirklich fair, weil wir dort keine Zeit haben.

Wann haben wir in der MotoGP je Zeit, irgendetwas zu unternehmen? Es ist schwierig. Ich sehe meine Freunde nicht oft genug, soviel steht fest.

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