Jorge Lorenzo: Reizt ihn der Yamaha-Testfahrer-Job?
Jorge Lorenzo hat nach seinem schweren Sturz in Assen (sechster Brustwirbel gebrochen, achter Brustwirbel angeknackst) nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass dieses Ereignis eine tiefgreifende Veränderung bewirkt hat. Beim Comeback im Silverstone nach zwei Monaten Pause sagte er: «Nach so einer schweren Verletzung macht man sich Gedanken über sein Leben und seine Karriere.» Und nach Zeitverlust von mehr als 4 Sekunden am Freitag ergänzte er: «Ich habe viele Fähigkeiten eingebüßt.»
Nach diesen unmissverständlichen Aussagen konnte sich jeder halbwegs aufgeweckte Berichterstatter ausmalen, dass sich Lorenzo keine zweite Saison mit der komplizierten Honda RC213V antun würde. Bei jedem Grand Prix nach dem Comeback verlor er in der ersten Rennrunde 6 bis 7 Sekunden. Er kämpfte gegen die Nachzügler Syahrin und Rabat. «Da fährt die Angst mit», bemerkte ein ehemaliger Rennfahrerkollege.
Vor dem Assen-Crash stand der fünffache Weltmeister in Catalunya auf dem zehnten Startplatz und räumte dann in der Anfangsphase beim Kampf um einen Podestplatz Viñales, Rossi, Dovizioso und sich selbst ab.
Lorenzo: Seit Aragón 2018 immer verletzt
Nach der Rückkehr in England war Lorenzo nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Saison neben Marc Márquez und die Wirbelbrüche hatte ihn zermürbt. Später gab er zu, Angst vor einer Querschnittlähmung gehabt zu haben.
Jedes Mal, wenn #99 auf der Repsol-Honda in den Angriff-Modus schaltete, passierte ein Sturz. Seit Aragón im September 2018 war der Mallorquiner nie mehr wirklich verletzungsfrei gewesen.
«Schon in seiner Yamaha-Zeit hatte Jorge immer eine Heidenangst vor einer schweren Verletzung», erinnerte sich Lin Jarvis, Managing Director von Yamaha Motor Racing.
Übrigens: Die Yamaha-Führung schloss beim Valencia-GP eine Rückkehr von Lorenzo in die Yamaha-Familie noch aus. Dabei hat er 44 seiner 47 MotoGP-Siege mit der YZR-M1 errungen und alle drei seiner MotoGP-WM-Titel 2010, 2012 und 2015.
Aber im Dezember kamen man sich näher. Denn Lorenzo ist immer noch der einzige Rennfahrer, der in den sieben Marc-Márquez-MotoGP-Jahren einen Titelgewinn des Seriensiegers verhindert hat – 2015. Sein aussergewöhnliches Fahrkönnen ist unbestritten, sein Kurvenspeed unerreicht. Auf der Yamaha, mit optimaler Motivation, könnte Lorenzo ein Herausforderer von Márquez sein. Er ist sieben Jahre jünger als Rossi.
Manche Berichterstatter sind überzeugt, Jorge Lorenzo werde 2020 als MotoGP-Testfahrer zu Yamaha zurückkehren – nach zwei Jahren bei Ducati Corse und einer Saison bei Repsol-Honda. Die Unterschrift sei nur noch Formsache, war bereits zu lesen.
Aber Lorenzo, sein Manager Albert Valera und Yamaha haben noch keine Einigung erzielt. Denn Yamaha hat das European Test Team 2019 mit Jonas Folger auf Sparflamme betrieben. Der winzige Truck des Testteams in Valencia 2018 wirkte verloren im Vergleich zum Aufwand, den HRC mit Stefan Bradl treibt. Am folgenden Jerez-Test im November 2018 durfte Folger nicht teilnehmen. Sein Motorrad musste nach Japan verfrachtet werden. Dort warteten die Testfahrer Nozane und Nakasuga auf die M1.
Folger fühlte sich das ganze Jahre über unterfordert und kam wenig zum Fahren. Er musste sich im Winter in Sepang das Testmotorrad mit zwei Japanern teilen, bekam kein eigenes Set-up und keine neuen weichen Reifen für eine schnelle Runde. Deshalb verlor er in Sepang drei Sekunden auf die Bestzeit. Die nur mündlich in Aussicht gestellten Wildcard-Einsätze fanden nie statt. Es fehlte an Material, Personal und Ausrüstung. Alle anderen Hersteller bis auf KTM setzen ihre Testfahrer bei zwei oder drei Events als Wildcard-Piloten ein.
Red Bull KTM macht kein Geheimnis daraus, dass ein professionelles MotoGP-Testteam mit Fahrern wir Dani Pedrosa und Mika Kallio ca. 1,5 Millionen Euro im Jahr kostet. Ducati leistet sich dieses Aufwand ebenfalls mit Michele Pirro.
Jonas Folger: kein neuer Vertrag
Yamaha trennte sich im Herbst von Jonas Folger, der immer noch mit den Nachwirkungen seines Burn-outs vom Oktober 2017 zu kämpfen hat. So nahm Folger beim Test auf dem KymiRing in Finnland im August als einziger Testfahrer der sechs Hersteller nicht an der Pressekonferenz der Dorna und des Veranstalters teil. Der Bayer hält sich mit PR-Auftritten zurück und stand auch bei den fünf Moto2-Rennen mit Petronas nicht für Media Debriefs zur Verfügung.
Yamaha hoffte dann im September auf eine Einigung mit Johann Zarco als MotoGP-Testfahrer, aber der Franzose rechnete mit einem Stammfahrerplatz bei Honda und landete dann bei Avintia Ducati.
Die nächsten großen MotoGP-Tests finden bereits im Februar in Malaysia und Katar statt. Lorenzo müsste dort bereits vollfit auf der M1 sitzen. Aber seit dem Valencia-GP genießt er das Leben. Man sieht auf Social Media Fotos im Swimming Pool auf Bali und mit dem Surfbrett in Dubai im Mittleren Osten. Oder bei Society Events wie dem Globe Soccer Award in Dubai. Der dunkle Anzug spannt inzwischen etwas um die Magengegend.
Nach kräfteraubenden Konditionstraining sieht das jedenfalls alles nicht aus.
«Ich habe gehofft, die Motivation nach dem Comeback in England wieder zu finden, aber meine Performance wurde nicht wirklich besser», stellte Lorenzo in Valencia Mitte November fest.
Ob Jorge in vier Wochen fit genug wäre, um bei 36 Grad Hitze und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit in Sepang von 10 bis 18 Uhr zu testen, ist fraglich.
Yamaha Japan vertraut auf jeden Fall weiter auf die japanischen Testfahrer Nozane und Nakasuga. Außerdem kann die Testarbeit auch auf die schnellen Stammfahrer Morbidelli und Quartararo aufgeteilt werden, wenn Viñales und Rossi Unterstützung brauchen.
Lorenzo lässt sich bisher nicht in die Karten blicken. Er sagt nur: «Ich werde wieder im Paddock sein.» Aber da spricht er eher von einem TV-Job bei SKY Italia oder BT Sports.
Von Yamaha ist zu hören, bisher sei mit Lorenzo keine Einigung erzielt worden.
Und erst wenn dieser Deal steht, kann Personal engagiert, ein Truck aufgebaut und die ganze Infrastruktur für die Europa-Tests ab März oder April organisiert werden.
Stefan Bradl und HRC testen hingegen bereits in der dritten Januar-Woche in Jerez. Ducati ebenfalls.
Es sieht so aus, als sei sich Jorge Lorenzo bisher nicht eindeutig klar geworden, ob er sich noch einmal wettkampfmäßig in den Sattel einer MotoGP-Maschine schwingen soll.
Als Testfahrer bei Yamaha könnte er es herausfinden. Aber Yamaha braucht einen Piloten, der sich für die vier Stammfahrer im Werksteam und im besten Kundenteam aufopfert – wie es Pirro, Pedrosa und Bradl machen für ihre Stars machen.
Will Lorenzo für Viñales, Rossi und Quartararo den Steigbügelhalter spielen?
Ich weiß es nicht.
Einen Stammplatz im Yamaha-Werksteam 2021 wird ihm auch niemand anbieten können.