Jorge Lorenzo: «Ich vermisse die magischen Momente»
So ausgelassen bejubelte Jorge Lorenzo in Österreich 2018 seinen 47. und letzten MotoGP-Sieg
Wenn Jorge Lorenzo über das Thema Rücktritt spricht, wird der inzwischen 33-jährige Mallorquiner nachdenklich: «Man muss bedenken, dass ich Motorrad gefahren bin, seit ich drei Jahre alt war. Ich habe einen Vater, der sehr hart und streng war, und als ich noch ein Kind war, gab er mir diese Mentalität mit: Disziplin und Arbeit. Bis ich 32 Jahre alt war, habe ich immer gearbeitet, Stunden über Stunden, immer mit der Stoppuhr, um mich zu verbessern. Das ist hart, das ist kein einfaches Leben», seufzte er.
Dazu kommt das Risiko, das bei den Überlegungen von Lorenzo nach der Wirbelverletzung von Assen eine wesentliche Rolle gespielt haben dürfte. «Man erleidet viele Verletzungen. In diesem Sport spielt man mit dem Leben, es ist gefährlich», fand er im MotoGP-Live-Chat «A Sit Down With» deutliche Worte. «Mit der ganzen Anspannung und dem ganzen Druck können wir umgehen, weil wir Siegertypen sind. Dani, ich, Valentino und Marc… Wir sind ‚Winner‘: Wir gewinnen gerne, wir mögen den Wettkampf und wollen uns selbst beweisen, dass wir die Besten sind. Aber wenn du kämpft, opferst du dich selbst jeden Tag auf. Wenn du dich dann verletzt und um einen fünften, zehnten oder gar 15. Platz kämpfst, dann ist es das nicht wert, weiter in dieser Welt zu bleiben.»
Deshalb verkündete Lorenzo beim Valencia-GP 2019 nach einer enttäuschenden Saison auf der Repsol-Honda (kein Top-10-Ergebnis) auch seinen Rücktritt – um dann keine drei Monate später als Yamaha-Testfahrer auf die Strecke zurückzukehren. «Wenn du – wie in meinem Fall – schon fünf Mal Weltmeister bist, davon drei Mal in der MotoGP – und du 32 Jahre alt bist, seit 18 Jahren Profi und 30 Jahre deines Lebens investiert hast, um für deinen Traum zu arbeiten – und dafür gelitten und viel aufgegeben hast… Wenn du die Möglichkeit bekommst, damit anzufangen, das Leben zu genießen – ohne um 7 Uhr aufzustehen und acht bis zehn Stunden im Büro zu arbeiten – dann ist die Versuchung groß», erklärte der 68-fache GP-Sieger im Gespräch mit Dani Pedrosa und MotoGP-Kommentator Jack Appleyard.
«Wenn du noch konkurrenzfähig bist, dich mit dem Bike gut fühlst, Rennen gewinnst und um die WM kämpfst, dann sind es die Mühen wert. In unserem Fall, glaube ich nicht, dass es das noch wert war, und Dani und ich haben die Entscheidung getroffen, das Leben zu genießen, und das Risiko zu verwerfen, das man beim Rennfahren immer auf sich nimmt», fuhr der Spanier fort.
«Ich glaube, dass Dani und ich dieselben Gedanken hatten, die uns bei der Entscheidung geholfen haben», fasst der dreifache MotoGP-Champion mit Blick auf seinen Landsmann zusammen. Gleichzeitig betonte er aber auch: «Das bedeutet nicht, dass wir nicht das Gefühl ein bisschen vermissen, wenn du versuchst zu gewinnen, und dieses Feeling, wenn du dann siegst und mit dem Team feierst. Diese magischen Momente vermissen wir sicher sehr. Denn es ist sehr schwierig, dies in anderen Aspekten des Lebens zu finden. Man kann im Leben aber nicht alles gleichzeitig haben. Das ist unmöglich.»
Die Voraussetzungen für ein eventuelles Comeback, das vor allem in Verbindung mit Ducati immer wieder für Schlagzeilen sorgt, sind damit klar: «Wenn sich die Möglichkeit ergeben sollte, wieder um den WM-Titel mitzufahren, würde ich mir das Angebot anhören und es analysieren. Denn das Gewinnen ist es, was mich antreibt.»