Pit Beirer: «Danilo Petrucci sorgt für Stabilität»
Für das Red Bull-KTM-MotoGP-Team war es ein Schock, als Ende Mai innerhalb von drei Tagen die beiden Ex-Weltmeister Pol Espargaró und Jorge Martin abhanden kamen und bei Repsl-Honda und Pramac-Ducati unterschrieben. Denn Pol Espargaró war in den letzten drei Jahren unbestritten der Teamleader in der Königsklasse mit 12 der 21 Top-Ten-Plätze, und Moto2-WM-Anwärter Martin galt als edle Personalreserve für den Fall, dass einer der vier aktuellen MotoGP-Fahrer den Vertrag nicht verlängern würde.
Pit Beirer, Motorsport-Direktor von KTM, ist stolz auf sein neues MotoGP-Aufgebot. Im Red Bull Factory-Team werden nach vielen Gerüchten und Spekulation nicht Binder & Petrucci oder Oliveira & Petrucci fahren, sondern das über Jahre hinweg In-house aufgebaute Fahrerduo Binder und Oliveira. Dafür tritt der WM-Sechste Danilo Petrucci 2021 im Red Bull Organics KTM-Tech3-Team neben Iker Lecuona an.
«Ich bin froh, dass wir unser Fahreraufgebot jetzt komplett haben», erklärte Pit Beirer. «Das Red Bull KTM Factory Team wird aus Brad Binder und Miguel Oliveira bestehen. Das sind zwei Jungs, die bei uns im Rookies-Cup begonnen und dann bei KTM in den kleinen WM-Klassen Moto3 und Moto2 großartige Erfolge erzielt haben. Inzwischen sind sie mit uns in die MotoGP-Klasse aufgestiegen.»
Eigentlich wollte Red Bull KTM alle vier Fahrer für 2021 bezahlten. «Dass wir Pol verloren haben., waren für uns nicht die besten Neuigkeiten», bedauert Beirer. «Aber wir müssen akzeptieren, dass er auch Angebote von anderen Teams bekommen hat. Es ist bekannt, dass wir nicht nur wegen der Coronakrise den Plan hatten, mit unseren aktuellen Fahrerquartett weiterzumachen. Aber durch den Abgang von Pol mussten wir die Karten neu mischen. Wir haben uns dann an unser MotoGP-Academy-Programm gehalten und die zwei sehr jungen Fahrer Binder und Oliveira für das Werksteam auserwählt. Gleichzeitig haben wir im Red Bull KTM-tech3-Tram mit Iker Lecuona einen Fahrer, der bisher noch keine Gelegenheit hatte, sein Potenzial zu zeigen. Deshalb geben wir ihm diese Chance auf jeden Fall noch einmal für die Saison 2021.»
Beirer weiter: «Und an der Seite von Iker kommt ein Neuzugang an Bord, und ich bin sehr glücklich, die Verpflichtung von Danilo Petrucci bestätigen zu können. Er komplettiert unser Aufgebot von vier Werksfahrern. Denn wir haben anderseits unser Programm mit unseren jungen Piloten, denen wir für die Zukunft viel zutrauen. Anderseits spielt die Erfahrung in der MotoGP-Klasse eine bedeutende Rolle. Und wenn sich die Möglichkeit ergibt, einen Fahrer vom Format Petruccis engagieren zu können, immerhin hat er im Vorjahr den Mugello-GP gewonnen und den sechsten WM-Rang errungen, dann ist das eine klare Aufwertung für unser Projekt. Danilo wird viel Erfahrung beisteuern und für Stabilität sorgen. Er wird vielleicht der ‚riding captain’ unter unseren vier Werkspiloten sein. Aber ich betone: Wir reden nicht von einem Werksteam und einem Kundenteam, nicht von A- oder B-Team oder von einem Junior-Team. Wir haben jetzt ein Line-up mit vier Werksfahrern. Die neuesten Entwicklungsteile, dass wissen unser Jungs, werden in Zukunft jeweils an den oder die bestplatzierten Fahrer in der WM-Tabelle verteilt. Es wird keine Rolle spielen, auf welcher Seite der Box sich der Fahrer befindet.»
Nach dem Reinfall mit Johann Zarco, der bei KTM nur einen zehnten Platz als Spitzenergebnis erreichte, hat Pit Beirer keine Zweifel an der Konkurrenzfähigkeit von «Petrux» auf der KTM RC16. «Da bin ich absolut sicher. Wenn das nicht so wäre, hätten wir ihn nicht als Teil unserer Zukunftsplanung an Bord geholt. Jeder kennt inzwischen die zwei unterschiedlichen Motorenkonzepte in der MotoGP, also V4 und Reihenmotor. Und bisher gab es oft Probleme für die Fahrer, die von einem Konzept auf das andere gewechselt sind. Wir haben mit Danilo einen Fahrer, der sechs Jahre lang mit V4-Motoren unterwegs war. Deshalb sollte er absolut keine Probleme haben, sich an unser Bike zu gewöhnen. Die V4-Motorräder sind stärker, aber du brauchst dazu auch einen entschlossenen Piloten mit eindrucksvollem Fahrkönnen. Ich habe diese Fähigkeiten bei Danilo oft gesehen. Sonst hätte er beispielsweise in Mugello nicht gewonnen. Er hat dort Marc Márquez und Andrea Dovizioso in der letzten Runde überrumpelt. Ich bin glücklich, dass dieser junge Mann bald auf unserer Seite steht.»
Warum wurde Oliveira von Tech3 ins Factory-Team verfrachtet und Petrucci überraschend zu Tech3?
Beirer: «Dafür gibt es viele Gründe. Aber wir wollten wieder unser ‚Dream Team‘ mit den Eigenbau-Fahrern Binder und Oliveira gestalten, so wie es vorher im Ajo-Team in einer Box der Moto3 und Moto2 hatten, also sie oft gemeinsam auf dem Podest standen. Das ist eine sehr schlagkräftige Truppe. Auch Teamwork kann helfen, Rennen zu gewinnen. Für den ‚team spirit‘ war das eine großartige Entscheidung. Miguel kann sicher profitieren. Er hat 2019 in der neuen Klasse viel lernen können. Er hat dann in der zweiten Saisonhälfte an einer Schulterverletzung gelitten. Aber wir denken, es ist an der Zeit, dass wir ihm wie Brad Binder diese Chance vermitteln. Aber die Öffentlichkeit wird bald erkennen, dass wir bei KTM zwischen den beiden Teams keine Unterschiede machen. Alle vier Jungs werden identisches Motorräder haben. Das ist schon 2020 so. Alle vier Fahrer werden sich wohlfühlen, viel hängt auch von der Sprache ab, von Freunden im Team, vom Verhältnis zum Crew-Chief zum Beispiel. Durch das neue System gewinnen wir an Flexibilität. Das haben wir bei KTM in anderen Motorsport-Disziplinen gelernt, zum Beispiel in der Motocross-WM, wo Jeff Herlings in unserem In-house-Werksteam Weltmeister geworden ist, während Tony Cairoli im externen De-Carli-KTM-Team die WM gewonnen hat. Es wurde auch hier niemand bevorzugt.»
KTM hat dieses System auch in der Moto3-WM schon oft praktiziert: Dort gewann Viñales 2013 im privaten Calvo-KTM-Team die WM gegen Luis Salom auf der Red Bull-Ajo-KTM. Pit Beirer brachte damals beim WM-Finale eigenhändig einen neuen Motor in die Box von Viñales, der ihm dafür später seine WM-Goldmedaille schenkte. «Wir kreieren jetzt mit unseren zwei MotoGP-Teams für 2021 ein neues Konzept. Wir sind nach drei Jahren in der MotoGP noch immer wieder von unseren Zielen entfernt. Aber ich denke, unser Projekt ist stärker als je zuvor. Deshalb freue ich mich auf die Zukunft.»