Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

«Track Limits»-Wirbel: Keine unfairen Vorteile mehr

Von Günther Wiesinger
Moto2-Rennen in Spielberg: Martin (88) wehrt sich gegen Bezzecchi, dahinter Gardner

Moto2-Rennen in Spielberg: Martin (88) wehrt sich gegen Bezzecchi, dahinter Gardner

Nach dem Steiermark-GP verstanden viele Fans und Experten nicht, warum Jorge Martin der 1. Platz aberkannt wurde. Aber nach Misano 2019 wurde wegen Augusto Fernandez das Gesetz geändert.

Nach den zwei MotoGP-Rennabbrüchen bei den Rennen in Spielberg (GP von Österreich und GP der Steiermark) kamen – nicht unerwartet – Diskussionen auf, wie man die «quick re-start»-Prozedur künftig besser und fairer gestalten könnte. Denn KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer gibt zu bedenken, dass die Teams zweieinhalb Tage lang ein Renn-Set-up austüfteln, eine Reifenwahl treffen und die genaue Spritmenge berechnen, doch nach dem Abbruch herrscht Gesetzlosigkeit. Denn plötzlich gilt die vorgeschriebene Spritmenge von maximal 22 Litern nicht mehr, es werden neue Reifen montiert, manchmal weiche. Mit einem Satz: Es werden die Kräfteverhältnisse verfälscht.

Die GP-Funktionäre wissen, dass nach ungewöhnlichen Ereignissen, regelmäßig der Ruf nach Änderungen laut wird. So wird jetzt verständlicherweise eine Schikane im Turn 2 fällig, obwohl diese Gefahrenstelle schon seit 2016 bekannt war. Aber erst nach dem verheerenden Unfall mit Zarco und Morbidelli erhoben die Fahrer wieder ihre Stimme.

In den letzten 20, 30 Jahren mussten immer wieder Reglements nachgebessert werden.

Ich erinnere mich zum Beispiel an die 2013 eingeführten und mittlerweile wieder abgeschafften Penalty Points. Sie verfielen anfangs jeweils nach dem Saisonende, beim Saisonstart stand das Strafkonto wieder bei null.

Was passierte also? Bei den letzten Rennen vermehrten sich die Vergehen, weil ja kaum mehr Strafen mehr ausgesprochen wurden, denn dazu war ja eine gewisse Mindestanzahl von Strafpunkten nötig. Also wurden die Punkte im zweiten Jahr saisonübergreifend addiert, sie verfielen erst nach 365 Tagen.

Die Strafen für zu viele «Penalty Points» sahen folgendermaßen aus: Bei insgesamt vier Punkten musste der Sünder einmal vom letzten Startplatz losfahren. Bei sieben Strafpunkten wurde ein Start aus der Boxengasse hinter dem Feld fällig. Wer innerhalb von 365 Tagen zehn Punkte sammelte, bekam sogar die rote Karte – er durfte nicht am nächsten Rennen teilnehmen.

Bei einer anderen Vorschrift dauerte es fast zwei Jahrzehnte, bis die Gesetzeshüter eingegriffen haben.

Denn jahrelang wurde bei einem Rennabbruch die Runde davor gewertet und zum Beispiel nach zwei Dritteln der Distanz nicht mehr neu gestartet. Falls früher abgebrochen wurde, wurden die zwei Läufe addiert.

Das hatte aber für die TV-Zuschauer und die Zuschauer an der Strecke ein Nachteil: Sie wussten nie, wer Gesamtführender, Zweiter oder Dritter war. Denn die Reifenfolge des zweiten Laufs war nicht mit der Gesamtwertung identisch.

Der größere Ungerechtigkeit bestand aber darin: Wenn kein Neustart erfolgte, kamen alle Fahrer in die Wertung, die bei Rennabbruch gestürzt oder aus sonst einem Grund (technischer Defekt) nicht mehr in der Wertung waren.

Denn es musste die letzte von allen Teilnehmern absolvierte Runde gewertet werden, mit Zeitnahme am Zielstrich.

Das führte schon Mitte der 1980er-Jahre dazu, dass ich mir dachte: Ein Fahrer, der bei einsetzendem Regen stürzt und als Dritter oder Sechster in der Wertung bleibt, wird eigentlich bevorteilt gegenüber die Mehrheit jener Piloten, die auf der nassen Fahrbahn das Tempo gewissenhaft reduziert haben.

Aber erst 2005 wurde gehandelt.

Auslöser war der 125-ccm-WM-Lauf in Motegi/Japan am, 18. September 2005. Tom Lüthi (Honda) stritt damals gegen Mika Kallio (KTM) um den Weltmeistertitel. Der Schweizer stürzte in der 16. Runde ausgangs der Zielkurve, das Rennen musste wegen eines Massencrashs abgebrochen werden.

Lüthi wurde aber als Zweiter hinter Sieger Kallio gewertet, denn es galt die Reihung nach der 15. Runde.

Das Motorrad von Sturzverursacher Lüthi war aber so zertrümmert, dass beim besten Willen keine technische Inspektion (zum Beispiel Überprüfung des Gesamtgewichts) stattfinden hätte können.

Danach wurde festgeschrieben: Bei einem Abbruch werden nur jene Fahrer gewertet, die ihre Bikes noch innerhalb einer festgesetzten Zeitspanne in die Boxengasse zurückbringen. Damals gab es noch Ersatz-Bikes, auch für die Klassen 125 und 250 ccm, also konnte das Motorrad auch mit dem Abschleppwagen geliefert werden. Es stand ja das Ersatz-Motorrad bereit.

2005 wurden dann zum Beispiel in der MotoGP die «flag to flag»-Races eingeführt, es wurde also bei einem Regenguss nicht mehr abgebrochen. 2006 kam der «bike change» hinzu, man musste also bei wechselhaftem Wetter nicht mehr die Reifen wechseln, sondern nur die Bikes.

Jetzt wird also diskutiert werden, ob in der MotoGP künftig bei Rennabbrüchen wegen eines schweren Unfalls die Bikes (Tank, Reifen, Set-up) nicht mehr angetastet werden sollen.

«Man darf aber nicht rasch über-reagieren, wenn ein Reglement eventuell lückenhaft ist», sagt ein altgedienter Funktionär. Denn jede Situation ist anders, und die Vorschriften müssen alle Möglichkeiten abdecken.

Außerdem wird sich Ducati gegen das Nachtankverbot bei Abbruch sträuben, weil die Desmosedici das durstigste Motorrad im Feld ist.
Und wie soll kontrolliert werden, ob irgendein Techniker am Startplatz am Federbein einen «click» ändert? Da müsste neben jedem der 22 MotoGP-Motorräder ein Funktionär als Aufpasser stehen.

Eine neue und hastig ins Treffen geführte Idee kann also zu neuen Problemen oder Ungerechtigkeiten führen, wenn nicht in Ruhe überlegt wird.

Die aktuellen Diskussionen über die angeblich unverständliche und unfaire Auslegung der «track limits»-Vorschriften sind sinnlos. Nach dem Steiermark-GP wurde bemängelt, dass Jorge Martin seinen Moto2-Sieg in der Kurve 6 verlor, weil er aufs «Grün» rauschte, während Pol Espargaró seinen dritten MotoGP-Platz trotz des klaren Umwegs in der Zielkurve (Turn 10) behalten durfte.

Aber erinnert sich niemand mehr an die letzten Runde des Moto2-Rennens in Misano 2019? Denn die letzte Rennrunde wird als besonders Fall betrachtet. Wenn ein Fahrer im Finale im engen Zweikampf um eine Position fightet und dabei aufs Grün kommt, wird das von den Stewards als Vorteil angesehen, weil sich der Pilot daraus einen Zeitgewinn erwartet.

Deshalb wurde Jorge Martin vor einer Woche für das Befahren des Grüns bestraft, obwohl er keinen unmittelbaren Vorteil daraus zog. Aber Pol Espargaró wurde nicht bestraft, weil er durch seinen weiten Umweg Zeit verloren hat. Sonst wären ja Oliveira und Miller nicht vorbeigefahren.

Im Moto2-WM-Lauf in Misano 2019 flitzte Augusto Fernandez beim Kampf gegen Fabio Di Giannantonio (Speed up) in der letzten Runde in Kurve 12 oder 13 auf das «Green», weil er damit mehr Schwung für die Kurve 14 holte, dort seinen Gegner überholte und gewann.

Unter den letztjährigen Vorschriften führte das zu keinem Penalty, weil er in Kurve 12 oder 13 keinen Vorteil erwirtschaftete, wo er die Streckenbegrenzung überfuhr, sondern erst in Turn 14. Aber damals waren sich alle Beteiligten einig: Fernandez hat einen unfairen Vorteil errungen. Auch Speed-up-Teamchef Luca Boscoscuro war wütend, weil sein Schützling so den Sieg verspielt hatte.

Deshalb wurden seither die Vorschriften für die letzte Runde und enge Zweikämpfe geändert.

Aber das haben manche Fahrer und Experten wohl inzwischen vergessen – oder gar nie mitbekommen.

Auch wenn Jorge Martin nur ein paar Zentimeter grüner Lackierung unter den Rädern sah: Fabio Quartararo verlor seinen Moto2-Sieg in Motegi 2018, weil im Hinterreifen 0,05 bar fehlten.

Für die kritisierten Funktionäre gilt: Allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.

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