Brembo: Alles lief in Spielberg in richtige Richtung
Nachdem Yamaha-Werksfahrer Maverick Viñales im Steiermark-GP bei 218 km/h von seiner M1 sprang, weil die Bremse versagt hatte, rückte auch Brembo in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. In der MotoGP-WM sind zwar keine Einheitsbremsen vorgeschrieben, trotzdem vertraut 2020 zum fünften Mal in Folge das gesamte Feld dem italienischen Hersteller, der seit 1995 alle Rennen in der Königsklasse der Motorrad-WM gewann.
Später sickerte durch: Viñales hatte ihm Gegensatz zu seinen Markenkollegen auf die Weiterentwicklung des Bremssystems, den neuen Aluminium-Bremssattel «GP4», verzichtet.
«Wir haben den neuen Bremssattel eingeführt, weil mit den neuen MotoGP-Bikes auch die erforderliche Bremsleistung steigt. Wir mussten das Belüftungssystem verbessern, um eine konstantere Performance zu erreichen, vor allem bei hohen Temperaturen, um das gesamte Bremssystem an den Rennwochenenden zu kühlen», schickte Brembo-Ingenieur Andrea Bergami voraus. «Zu den bedeutendsten Verbesserungen zählen sicher die Finnen. Man kann auf einer Strecke wie in Spielberg sehen, dass alle Bikes Lufteinlässe, die sogenannten ‚air ducts‘, verwenden, um so viel Luft wie möglich auf die Finnen zu leiten, um den Bremssattel zu kühlen. Dadurch wird auch das Karbon-Material in den Belägen und der Bremsscheibe gekühlt, damit dort ebenfalls die richtige Arbeitstemperatur herrscht.»
Über die jeweilige Konfiguration des Bremssystems entscheiden die Teams und Fahrer selbst: «Wir haben vier unterschiedliche Bremsbeläge für den 2019er-Bremssattel, ‚High-Mass‘ oder Standard, und zwei neue Standard-Beläge für den neuen Bremssattel, einen kleineren und einen größeren. Bei den Bremsscheiben ist die Situation im Vergleich zu 2019 unverändert: Es gibt vier Varianten: Zwei unterschiedliche Durchmesser, 320 oder 340 mm, jeweils in der ‚Low-Mass‘ und ‚High-Mass‘-Ausführung, also mit einem breiteren Reibring.»
«Wir haben allen empfohlen, auf den Strecken mit den härtesten Bremszonen den 2020er-Bremssattel zu verwenden, vor allem in Spielberg», kam der Brembo-Ingenieur zum entscheidenden Punkt. Auf dem Red Bull Ring seien dieser Empfehlung außer KTM, Aprilia und Avintia alle Teams gefolgt – und Viñales bildete bei Yamaha die Ausnahme: «Das Hauptproblem von Maverick war die falsche Wahl des Bremssattels im Rennen. Ich habe allen Yamaha-Teams erklärt und geraten, welche Variante sie verwenden sollten – das war natürlich der 2020er-Bremssattel, der für diese Art von Strecke optimiert ist. Aber die Entscheidung liegt am Ende beim Team, wir können sie nicht zwingen, einen bestimmten Bremssattel zu verwenden.»
«Wir können nur einen klaren Vorschlag machen, danach liegt es in der Hand von Mavericks Team und dem Fahrer, der sich für eine nicht korrekte Variante entschieden hat. Was passiert ist, hat damit zu tun», bekräftigte Bergami, der gleichzeitig auch betonte: «Natürlich tut uns sehr leid, was Maverick passiert ist. Wir wollen, dass alle Fahrer glücklich sind mit der Performance unseres Bremssystems. Er hat für seine Entscheidung bezahlt, während die anderen Yamaha-Jungs happy waren. Am Ende des Wochenendes war Valentino zum Beispiel sehr glücklich damit, wie wir sein Bremssystem verbessert haben.»
Die Kurven 1, 3 und 4 sind die härtesten Bremszonen um den Red Bull Ring: Turn 1 wird nach Start-Ziel im ersten oder zweiten Gang bei 85 km/h gefahren. In Kurve 3, hier kommt der erste Gang zum Einsatz, bremsen die MotoGP-Asse von 320 km/h auf 60 km/h ab. Turn 4 wird nach einer weiteren Vollgaspassage bei 80 bis 85 km/h im zweiten Gang genommen.
Auf den weniger fordernden Strecken verwenden aktuell nur Ducati, LCR und Suzuki immer das neue Bremssystem. Laut Bergami dürfte sich das aber ändern: «Nach dem Österreich-Wochenende, wo fast alle die neue Variante verwendet haben, glaube ich, dass sie es ab Misano an jedem Wochenende so machen werden. Die Fahrer haben den Vorteil erkannt, es wäre jetzt schwierig, wieder zum alten Bremssattel zurückzukehren.» Vor allem die konstante Bremswirkung spreche für das neue System.
Bereits 2021 könnten weitere Neuerung folgen: «Wir arbeiten immer an einer neuen Spezifikation, wir können uns nicht zurücklehnen, weil die Performance der Motorräder immer besser wird», weiß man auch bei Brembo. «Wir sind zufrieden mit der Performance des neuen Systems, aber wir arbeiten bereits an einer neuen Variante für die nächsten Jahren, um mit der steten Entwicklung der Bikes, die in den vergangenen Jahren unglaublich war, Schritt zu halten. Es ist schwer zu sagen, wann es bereit sein wird. Wir hatten jetzt zwei Rennen auf der Strecke, die den Bremsen am meisten abverlangt, und alles lief in die richtige Richtung. Es besteht jetzt also keine Dringlichkeit, aber wir könnten für die zweite Hälfte der nächsten Saison etwas Neues sehen.»
Übrigens: In Spielberg setzten alle Teams vorne eine Doppelbremsscheibe mit je 340 mm Durchmesser ein. Bei KTM erreichte die Betriebstemperatur im Rennen maximal 900 Grad, die Karbonbremsen funktionieren aber bereits bei 600 bis 700 Grad. An der RC16 sind auch die Kühleinlässe aus Karbon deutlich zu sehen.