Exklusiv: Das Leben im Paddock zu Zeiten der Pandemie
Der renommierte deutsche Fotograf Fritz Glänzel gehörte zum Saisonstart 2020 bei den beiden Jerez-GP im Juli zum erlesenen Kreis von nur zehn Bildberichterstattern, die Zugang in die rund 1300 Personen umfassende «MotoGP bubble» erhielten. «Ich war eine Weile lang der einzige Fotograf aus dem deutschsprachigen Raum im Paddock. Später kamen auch Ronny Lekl und Steve Wobser dazu», blickt der in Hohenstein-Ernstthal aufgewachsene Heppenheimer zurück.
Während die Anzahl der TV-Reporter gegenüber 2019 stark eingeschränkt wurde, wurden die schreibenden Berichterstatter (Print und Online) 2020 eine Weile ganz aus dem Media Centre verbannt. Wie in anderen Sportarten vom Fußball bis zur Formel 1 wurden für die Athleten-Interviews Zoom-Calls organisiert. Sie ersetzten die im Paddock üblichen Media Debriefs, die ohne Corona hinter den Boxen oder in den Hospitalitys stattgefunden haben.
Ab Misano 2020 durften sich einzelne ausgewählte schreibende GP-Reporter wieder bei den europäischen Grand Prix akkreditieren.
Manche Wichtigtuer unter den Journalisten waren der Ansicht, die WM-Läufe könnten ohne sie nicht abgewickelt werden und machten Druck bei der FIM und Dorna, um wieder den GP-Lärm hören zu dürfen.
Doch diese schreibenden Journalisten bekamen keinen Zugang zur «bubble», also zu den Teams und Fahrern. Sie wurden zum Beispiel in Misano in ein kleines Kämmerchen im 2. Stock über dem Media Centre verbannt, die Arbeitsbedingungen waren jämmerlich. Kaum genug Schreibtische, nicht genug Monitore, kein Zugang zum Paddock, höchstens ein Blick vom 2. Stock in die Boxengasse.
«Ich bin Sonntagfrüh wieder heimgefahren», erzählte die italienische Reporter-Legende Paolo Scalera. «Denn daheim im Home Office habe ich bessere Arbeitsbedingungen.»
Die TV-Reporter durften im Vorjahr die Fahrer nur interviewen, wenn sie selbst neben dem Mund-und-Nasenschutz auch ein Face-Shield trugen.
Gewisse Lockerungen für Saison 2021
In der laufenden Saison 2021 wurden die Maßnahmen für die schreibenden Journalisten nach den ersten Rennen etwas gelockert. Es wurde eine limitierte Anzahl von Berichterstattern ins richtige Media Centre eingelassen, manche bekamen auch Zutritt zum Fahrerlager. Sie mussten aber zwei Impfungen nachweisen, zwei Wochen nach dem zweiten Vakzin wurde der Zugang möglich.
Trotzdem waren für die «Blase» weiterhin PCR-Tests nötig, sie dürfen auch jetzt maximal 72 Stunden alt sein. «Ich habe inzwischen annähernd 100 PCR-Tests über mich ergehen lassen», erklärte Tech3-KTM-Teambesitzer Hervé Poncharal im Gespräch mit SPEEDWEEK.com.
Die Hoffnung, dass diese Tests bald wegfallen, haben sich nicht bewahrheitet, obwohl im August in Österreich bei beiden Grand Prix (8. und 15.8.) erstmals seit 2019 wieder die volle Zuschauerzahl erlaubt sein wird.
«Die vielen PCR-Tests waren sehr belastend», räumt Fotograf Fritz Glänzel ein, der für das Intact-Team, für Liqui Moly und SPEEDWEEK.com tätig ist.
Besonders bedrückend war die Situation 2021 bei beiden Katar-GP am 28. März und 4. April. Damals wurde zum Beispiel ein Teammitglied wegen eines ersten positives Tests vom Vormittag um 15 Uhr direkt aus der Box geholt. Der Mechaniker musste dann in einem ungekühlten Container bis abends um ca. 19 Uhr ausharren.
Danach wurde er zusammen mit einem weiteren mutmaßlich Infizierten in einem billigen Quarantäne-Hotel ohne Internet-Zugang eingesperrt. Die positiv getesteten Teammitglieder durften die Zimmer nicht verlassen. Dreimal täglich wurde ein Tüte mit Nahrungsmitteln vor die Türe gestellt.
Wenn auch der zweite Test positiv ausfiel und die infizierte Person mehr als 40 Jahre alt war, wurde sie für zwei Wochen in ein lokales Krankenhaus gebracht. Aber nicht in eines für die reichen Kataris, sondern in eines, das ausnahmsweise für die Gastarbeiter reserviert war.
«Ich hatte brutal Angst, dass ich einen positiven Test abliefere und ich dann abtreten muss», schilderte Fritz Glänzel im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Wenn diese Maßnahmen auch 2022 gelten, gehe ich nicht mehr nach Katar.»
Trotz Impfung: PCR-Test bleibt Pflicht
Auch 2021 klappt der Zugang für das Paddock nur mit einem frischen PCR-Test. Wer ihn nicht von daheim mitbringt, muss ihn vor Ort bei der Dorna-Teststation machen lassen. Das Ergebnis dauerte dann 8 bis 24 Stunden – oder länger, je nach Andrang.
Kevin Aegerter, der Bruder von Dominique, stand im Vorjahr in Misano stundenlang vor dem Eingang, bis er ein negatives Testergebnis erhielt.
In der Saison 2020 wurden keine Hospitalitys im Paddock akzeptiert, selbst die großen MotoGP-Teams mussten sich mit kleinen Catering-Services begnügen – wie sonst nur in Übersee. Teamgäste waren sowie nicht erlaubt. Das gilt auch für 2021.
Trotzdem wurden die Bestimmungen im Laufe der aktuellen Saison auch beim Teampersonal etwas gelockert. Im Vorjahr durften die MotoGP-Werksteams maximal 45 Personen pro Grand Prix in die «Blase» einschleusen, die MotoGP-Kundenteams maximal 25. Inzwischen dürfen die Factory Teams immerhin 55 Personen mitnehmen. «Aber das gilt nur für die Europa-Rennen», schildert KTM Race-Manager Mike Leitner.
In den Klassen Moto3 und Moto2 waren im Vorjahr am Beginn der Pandemie je zwölf Teammitglieder erlaubt – inklusive Fahrer. 2021 wurden die Vorschriften und die Personenzahl pro Team etwas gelockert.
Mittlerweile dürfen in den kleinen Klassen drei Personen extra ins Fahrerlager – also total 15 bei den Zwei-Fahrer-Teams. «Die zusätzlichen Plätze gelten für das Personal oder einen wichtigen Partner», erläutert Intact-Teamchef Jürgen Lingg.
Dazu durften die Teams 2021 in Doha nur in vier ausgewählten Hotels nächtigen, es gab von jedem Hotel Shuttle-Busse und nur diese durfte man benutzen. Die Verwendung von Leihautos war untersagt!
Die Hotels durften nur zum Zweck des Rennstreckenbesuchs verlassen werden. Shopping, Barbesuche, Sightseeing und andere Ausflüge waren strikt untersagt.
In den Hotels wurden eigene Korridore für die Teammitglieder eingerichtet, streng getrennt von restlichen Hotelgästen.
Frühstück und Abendessen nahmen die meisten Teams 2020 in den Hotels ein, zu Mittag gab es ein Catering im Paddock. Aber die Speisen durfte nur von Firmen zubereitet werden, die von der Dorna ausgewählt und deren Mitarbeiter PCR-getestet wurden.
Zur Erinnerung: Im März 2021 offerierte der katarische Staat allen Teammitgliedern zwei Impfungen mit BionTech-Pfizer. Rund 90 Prozent nahm das großzügige Angebot an.
Inzwischen sind die meisten Hospitalitys wie von HRC und Red Bull oder Monster Yamaha und Lenovo Ducati wieder im Paddock zu sehen, auch bei den Moto2- und Moto3-Teams. Intact teilt sich die Verpflegungsstätte zum Beispiel mit dem SAG-Team von Tom Lüthi.
Ohne Teamgäste und Medien im Paddock konnten und können die Fotografen und Fahrer mit den Rollern unbehelligt durchs Fahrerlager flitzen, es stehen keine Zaungäste und Adabeis herum.
2020 und auch in diesem Jahr ist im Paddock, im Media Centre, an der Strecke draußen und an der Box das Maskentragen Pflicht. In den Hospitalitys dürfen sie nur zum Essen und Trinken abgenommen werden. Oft sind Plexiglasscheiben zwischen den Tischen zu sehen.
Nur den GP-Fahrern wurden Erleichterungen zugestanden. Sie durften und dürfen während der Trainings in der Box den Mund-Nasenschutz abnehmen. Dafür müssen sich die Crew-Chiefs dann mit Face-Shields gegen den Virus wappnen.
«Ich durfte im Vorjahr zum Beispiel nicht in fremde Boxen reingehen. Ich durfte nur in die Intact-Box, weil ich mit dieser Gruppe auch zusammen im Hotel war. Seit wir doppelt geimpft sind, kann ich auch andere Boxen besuchen», hält Fotograf Fritz Glänzel fest.
«Früher habe ich bei den Grand Prix alle unsere Kundenteams immer besucht», erzählte KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer. «Aber durch die Maske versteht man kaum etwas, alle nuscheln, deshalb wurde die Kommunikation im Vorjahr oft aufs Nötigste reduziert.»
Bei den zwei Rennen in der Steiermark brauchen auch die doppelt geimpften Fahrerlagerbesucher («participants») wieder einen maximal 72 Stunden alten PCR-Test. Beim Sachsenring-GP und in Assen wurden die «participants» der jetzt rund 1400 oder 1500 Personen umfassenden Blase bei Nachweis von zwei Impfungen ohne PCR-Tests bei der «Dorna Medical App» auf Grün geschaltet.
Vorher musste immer der negative PCR-Testnachweise hochgeladen werden, dann bekam das Teammitglied Zugang zum Fahrerlager und Renngelände.
Viele Geisterrennen
Auch für die Zuschauer hat Covid-19 viel verändert. Zuerst fanden im Vorjahr nur Geisterrenen ohne Zuschauer statt. In Misano 2020 wurde das Gelände dann für die Zuschauer in drei getrennte Zonen mit drei getrennten Korridoren eingeteilt. Dadurch durften täglich 10.000 Besucher zugelassen werden. 2021 werden es sogar 23.500 sein.
Stehplatztickets wurden bei den bisherigen Grand Prix nicht verkauft, weil sich auf den Naturtribünen die Abstandsregeln nicht überprüfen ließen. Auch in Le Mans 2020 wurden Zuschauer erlaubt. Bis zu 5000 pro Tag.
Die Teammitglieder durften zwischen den Rennen 2020 und auch in diesem Jahr immer ohne Quarantäne in ihre Heimatländer zurückkehren.
Ab 1. August müssen nicht geimpfte Urlauber bei der Heimreise wieder einen PCR-Test vorweisen. Streng kontrolliert wird diese Maßnahme nicht – es fehlt an Personal. Die deutschen Staatsbürger mussten ihre GP-Geschäftsreisen immer beim örtlichen Gesundheitsamt anmelden und nachweisen, dass sie aus beruflichen Gründen bei den Grand Prix waren. Dann fiel die Isolation weg.
«Die Vorkehrungen wegen Corona sind streng und werden von der Dorna auch streng kontrolliert», schildert Fritz Glänzel. «Manchmal waren die Maßnahmen auch wirklich belastend, weil man natürlich immer auf ein negatives Testergebnis gehofft hat. Man muss diesen Beruf schon sehr gern haben und unbedingt ausüben wollen, damit man sich das antut.»
Aber alle Beteiligten sind sich einig: Dank des rigorosen Dorna-Gesundheitskonzepts gab es 2020 und 2021 nie einen Hotspot im MotoGP-Paddock. Dadurch konnte trotz widrigster Umstände zu Zeiten der Pandemie zweimal eine würdige Weltmeisterschaft abgewickelt werden.