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Wirbel um Reifendruck: Hintergründe zur Problematik

Von Günther Wiesinger
Die exististierenden MotoGP-Reifendruck-Sensoren sind ungenau und manipulierbar, deshalb akzeptieren die Werke keine Strafen, wenn jemand mit zu geringen Druck erwischt wird – wie Bagnaia. Eine Analyse von Ing. Risse.

Ducati-Werksfahrer Pecco Bagnaia sei bei seinem Sieg in Jerez während aller 25 Rennrunden mit einem illegal niedrigen Reifendruck gefahren, wurde in dieser Woche offenkundig. Auch beim in der ersten Runde gestürzten und punktelos gebliebenen Pramac-Ducati-Werksfahrer Jorge Martin sei der erlaubte Reifendruck unterschritten worden. – während 24 der 25 Rennrunden. Auch Alex Rins und Andrea Dovizioso verstießen beim GP von Spanien gegen die Reifendruck-Vorschriften. Aber Sanktionen gibt es keine, denn die Sachlage ist kompliziert.

Seit dem Mugello-GP 2016 sind in der MotoGP-Weltmeisterschaft Sensoren am Hinter- und Vorderrad vorgeschrieben, mit deren Hilfe der Reifendruck überwacht wird. Seit 2016 beträgt der Mindestreifendruck für die Vorderradslicks vorne 1,9 bar, für Hinterradslicks 1,7 bar. In der Moto2 sind hinten 1,5 bar erlaubt. Aber die ermittelten Werte sind nicht zuverlässig, deshalb haben die sechs MotoGP-Hersteller beschlossen, keine Strafen zu akzeptieren.

Diese Vereinbarung existiert seit geraumer Zeit. Zwei der namhaftesten Sensoren-Hersteller sind LDL und McLaren.

Die Ingenieure der sechs MotoGP-Hersteller betreiben im Zusammenhang mit diesem Thema eine gewaltige Geheimniskrämerei. Denn natürlich ist es unangenehm und peinlich, dass jetzt Einzelheiten dieser klandestinen Vereinbarung an die Öffentlichkeit durchgedrungen sind.

Inzwischen wird krampfhaft versucht, die undichten Stelle auszuforschen. Der Verdacht, es könne Honda (nur Platz 6 in der Marken-WM und deshalb enttäuscht) oder Aprilia (Erzrivale von Ducati, Gigi Dall’Igna ging dort im Oktober 2013 weg) gewesen sein, lässt sich aber nicht erhärten. Ducati, Yamaha und Suzuki waren es kaum, denn sie blieben in Jerez unter den vorgeschriebenen Mindestwerten und werden sich kaum selbst belasten.

Jedenfalls hat die Race Direction irgendwann den Wunsch geäußert, in der MotoGP-Klasse irgendwelche Reifendruck-Mindestgrenzen einzuführen, zu überwachen und Vergehen zu bestrafen. Im schlimmsten Fall hätte dann die Disqualifikation vom Rennen gedroht, was Fabio Quartararo in der Moto2 in Japan 2018 widerfahren ist.

Diese Absicht wurde damals der MSMA präsentiert, doch alle Hersteller haben aufgeschrien und sich dagegen gewehrt. «Weil die Grenzen zu eng sind, die Toleranzen zu groß und das Faken zu einfach», schilderte uns ein Techniker. «Sobald bei diesem Thema dann ein Reglementsdruck drauf wäre, würden die Hersteller höchstwahrscheinlich beginnen, irgendetwas einzubauen und die Werte zu ändern. Dann hat keiner mehr was davon. Man könnte dann von einer Manipulation sprechen. Oder man könnte sagen:  Ich verwende einfach eine andere Kalibrierung.»

Ein Beispiel: Manche Drucksensoren arbeiten absolut, manche relativ.

Was man mit einem manuellen Manometer misst, ist der relative Wert. «Wenn dein Sensor absolut misst, musst du beim Wert irgendwas für die Umgebung abziehen», sagt der Experte. «Ob du mehr oder weniger abziehst, es ist nicht falsch, es ist ja Teil des Prozesses. Aber es kommen unterschiedliche Ergebnisse heraus. Daher ist das Messsystem nicht auf einem zuverlässigen technischen Stand.» Diese Tatsache bemängelt auch Ducati-Chefkonstruktreur Gigi Dall'Igna. 

Dass die Positionen so weit auseinanderliegen, ist den Mitgliedern der MSMA, Race Director Mike Webb und dem Technical Director Danny Aldridge seit 2016 erst schrittweise klar geworden. Offenbar haben sich die Funktionäre die Überwachung und Bestrafung einst leichter vorgestellt.

Luca Boscoscuro ließ sich als Speed up-Teamchef bei Fabio Quartararo den Moto2-Sieg in Motegi widerspruchslos nehmen, wegen fehlender 0,05 bar im Hinterreifen. Aber die großen Werke lassen sich von den Funktionären nicht auf dem Kopf herumtanzen.

Das Thema bleibt heikel. Die Hersteller haben Michelin vor einiger Zeit angeboten, sie sollten den Druck einheitlich selber machen und überwachen. Dann gäbe es keine Diskussionen.

Aber Michelin traut sich das offenbar nicht zu.

Denn die Michelin-Techniker können selber nicht vorhersagen, mit welchem Reifendruck man am Start losfahren muss, um nach dem Rennen in der Toleranz der Mindestwerte zu landen. Also schiebt Michelin den Werken und Teams den Schwarzen Peter zu.

Das ist bisher die Realtität.

Wir haben Ing. Sebastian Risse von KTM ersucht, etwas Licht ins Dunkel des komplizierten Reifendruck-Themas zu bringen.

Sebastian, inzwischen weiß die Öffentlichkeit, dass diese Reifendruck-Sensoren keine zuverlässigen Ergebnisse liefern. Es heisst, sie seien sogar manipulierbar. Stimmt das?

Ein Motorradhersteller kann zu einem Lieferanten gehen und sagen: «Ich hätte gerne eine Variante speziell für mich.» Der Kunde könnte dann gewisse Spezialwünsche äußern und vielleicht dass eine oder andere ein bisschen anders gestalten.

Diese Systeme sind nicht vereinheitlicht oder zertifiziert. Klar, es gibt ein «spec sheet» mit einer gewissen Toleranz. Diese ist aber teilweise sehr groß. Wir reden da von plus/minus 0,175 bar. Wenn man sich da die richtigen Sensoren aussucht, kannst du dir vorstellen, was dann in der Box abgeht. Dann hast du gleich einmal fast 0,2 bar gewonnen.

SPEEDWEEK.com hat am Dienstag die Reifendruck Aufzeichnungen vom Rennen in Jerez veröffentlicht. Bekommt jeder Hersteller diese Liste nach den Rennen?

Da darf ich nichts dazu sagen. Das sind interne Abmachungen der Hersteller-Vereinigung MSMA. Es wurde definitiv gefordert, dass diese Aufzeichnungen nicht an irgendjemand weitergegeben werden dürfen. Es darf auch nicht darüber gesprochen werden.

Jetzt stellt sich die Frage, wenn seit 2016 keine Lösung gefunden wurde, wie soll dann plötzlich eine bis zum Saisonstart 2023 herbei gezaubert werden?

Grundsätzlich ist es ja nicht so, dass jetzt beim Reifendruck alles vogelfrei ist. Man kann sehr wohl bestraft werden, wenn man die Michelin-Anweisungen nicht befolgt und den Reifendruck niedriger macht als den Wert, den sie vorschreiben.

Das Problem ist, dass sich das Reglement auf den Reifendruck während der Fahrt im Rennen bezieht. Und den kannst du schlecht vorhersagen!

Besteht eine Aussicht, dass sich die sechs Werke in den nächsten Monaten auf einen einheitlichen Sensor einigen? Das alle Teams ans Limit gehen, ist klar und verständlich.

Wenn für 2023 ein Einheits-Sensor bestimmt wird und der Hersteller einen entsprechenden Support liefert, können wir uns gut vorstellen, dass es zu einer gemeinsamen Lösung kommen wird.

Aber die Race Direction oder der Technical Director muss kontrollieren können, ob an den Sensor von einem Werk oder Team etwas gemacht worden ist. Die Infrastruktur in der Elektrik muss so sein, dass du auf dem Weg zwischen Sensor und Log-in nichts manipulieren kannst.

Wenn das klappt, kann es funktionieren.

Die Aufgabe für die Teams bleibt trotzdem schwierig, den Wert des Reifendrucks für das Rennende richtig vorherzusagen. Aber es ist für alle gleich.

Es muss nachher jeder Techniker selber entscheiden, wie viel Luft er dann entsprechend in jede Richtung macht.

Denn die eine Richtung ist Reglements-technisch kritisch, weil es Vorschriften für einen Mindestreifendruck gibt. Anderseits ist der Reifendruck nach oben für den Fahrer von der Performance und von der Sicherheit her kritisch. Nicht weil der Reifen platzen könnte, sondern weil bei zu hohem Druck gerade vorne Grip und Fahrgefühl fehlen.

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