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Lin Jarvis (Yamaha): «Wir haben die geringste Power»

Von Günther Wiesinger
Yamaha-Rennchef Lin Jarvis sagt, er habe nach dem Deutschland-GP nicht mehr mit Bagnaia gerechnet. Der Engländer analysiert die schwache 2. Saisonhälfte von Fabio Quartararo offenherzig und nimmt kein Blatt vor den Mund.

Beim Monster Yamaha Factory Team sank die Laune während des Australien-GP auf den Tiefpunkt, als WM-Leader Fabio Quartararo nach einem Ausritt ins Grüne in der entscheidenden Phase stürzte und einen weiteren Nuller hinnehmen musste. Dadurch übernahm Pecco Bagnaia, nach dem Deutschland-GP noch 91 Punkte hinter dem Franzosen, erstmals die WM-Führung.

«Es ist noch nichts verloren, aber der Schwung und die Dynamik sprechen gegen uns», befand Lin Jarvis, Managing Director von Yamaha Motor Racing, am Tag nach dem Phillip Island-GP im Gespräch mit SPEDWEEK.com. Tatsächlich hat Fabio Quartararo seit dem Sieg auf dem Sachsenring in acht WM-Rennen keinen Sieg mehr geschafft und nur einen Podestplatz – mit Platz 2 beim GP von Österreich.

Tatsächlich hat «El Diablo» in den acht WM-Rennen vom Sachsenring bis zum Sepang-GP nur 47 Punkte erbeutet, Bagnaia hingegen 152!

Damit ist dem Italiener die schwungvollste Aufholjagd in der MotoGP-Geschichte gelungen. Noch nie hat jemand vorher mehr als 50 Punkte Rückstand wettgemacht und dann noch den Weltmeistertitel erobert. 

Im Interview mit SPEEDWEEK.com nahm Lin Jarvis am Freitagmittag nach dem FP1 Stellung zur schwachen zweiten Saisonhälfte von Yamaha und Quartararo, der wie seine MotoGP-Kollegen wegen des heftigen Regengusses jetzt abwartet, wann das FP2 gestartet werden kann.

Lin, wie hat diese Schwächephase seit dem Deutschland-GP passieren können?

Zuerst muss man erwähnen – der Titelkampf ist bisher nicht entschieden. Es kann noch alles passieren, bis Bagnaia die WM für sich entschieden hat. Aber wir brauchen Glück und haben in letzter Zeit kein Glück gehabt.

Das gehört zum Spiel. Alle haben Glück und Pech. Und es dreht sich nicht alles ums Glück.

Ducati hat sich natürlich nach der ersten Saisonhälfte klar verbessert. Sie hatten beim Saisonstart einige neue Fahrer im Feld, sie hatten erstmals seit 2018 ein viertes MotoGP-Team, auch das VR46-Team war neu mit zwei Fahrern bei Ducati.

Dann hatte Ducati Sorgen mit dem Werksmotorrad, das anfangs nicht nach dem Geschmack aller Fahrer war.

Dazu gab es beim Saisonstart Probleme mit dem neuen Front Ride Height Device, von dessen Nutzen nicht alle Piloten überzeugt waren.

Exakt. Doch schließlich haben sich die Resultate bei Ducati in der zweiten Saisonhälfte verfestigt. Seit der Sommerpause hat sich das Blatt gewendet.

Dadurch ist die Aufgabe für uns und andere Teams schwieriger geworden. Im Idealfall musst du aus der ersten Reihe losfahren, zumindest aus der zweiten. Dazu brauchst du mit der Yamaha einen guten Start, sonst landest du nach der ersten Runde im Mittelfeld.
Wenn du in diesem Verfolgerfeld steckst, sind die Kämpfe im Rennen sehr beschwerlich, wenn du nicht genug Motorleistung hast.

Und das haben wir immer wieder erlebt.

Fabio hat außergewöhnliche Leistungen gezeigt auf einem Motorrad, von dem wir schon vor dem Saisonstart wussten, dass wir Mühe haben werden, nicht nur gegen die Ducati, sondern auch gegen KTM, Suzuki und Aprilia.

Wir haben das Motorrad mit dem schwächsten Motor auf dem Startplatz.

Zum Glück hat die M1 andere Stärken, aber trotzdem erschwert das die Arbeit der Rennfahrer.

Es war ein Yamaha-Fahrer gegen eine Übermacht…

Dazu kommt, dass Aprilia in der zweiten Saisonhälfte sehr stark geworden ist, nicht nur Ducati. Aleix vollführt eine großartige Saison. Und Maverick war auf die für ihn typische Art bei manchen Rennen vorne dabei und dann beim nächsten nicht mehr.

Die Gegnerschaft ist sehr stark.

Man muss den Hut vor Bagnaia ziehen, denn er hat nie aufgegeben und ist in der WM-Tabelle immer weiter nach oben geklettert, nachdem er im Juni 91 Punkte zurücklag.

Wenn du mich damals gefragt hättest, wäre meine Antwort klar ausgefallen: «Es ist nicht seine Saison.»

Aber Pecco hat den Rückstand ständig weiter verkleinert, auch wenn ihm im Zuge dieser Aufholjagd ein paar Fehler passiert sind.
Doch wir haben bei Yamaha zu viele Fehler begangen. Einige davon hatten mit dem Fahrer zu tun, andere mit dem Team, manche waren einfach Pech.

Aragón ist ein gutes Beispiel; das ist keine starke Strecke von uns. Trotzdem hätte uns dort ein großartiges Ergebnis gelingen können.
Aber Fabio war nach dem Start einfach zum falschen Zeitpunkt zu dicht hinter Marc Márquez…

Wenn du zu wenig Power hast, musst du dicht an den schnellen Motorräder dran bleiben.

Richtig. Sicher.

Es haben viele Umstände dazu beigetragen, dass Fabios Vorsprung immer weiter geschmolzen ist.

Aber wie gesagt: Es ist noch nicht vorbei.

MotoGP-WM-Stand (nach 18 von 20 Rennen):

1. Bagnaia 233 Punkte. 2. Quartararo 219. 3. Aleix Espargaró 206. 4. Bastianini 191. 5. Miller 179. 6. Brad Binder 160. 7. Zarco 159. 8. Rins 137. 9. Martin 136. 10. Oliveira 135. 11. Viñales 122. 12. Marini 111. 13. Marc Márquez 104. 14. Bezzecchi 93. 15. Mir 77. 16. Pol Espargaró 54. 17. Alex Márquez 50. 18. Nakagami 46. 19. Morbidelli 31. 20. Di Giannantonio 23. 21. Dovizioso 15. 22. Darryn Binder 12. 23. Gardner 10. 24. Raúl Fernández 9. 25. Crutchlow 6. 26. Bradl 2.

Konstrukteurs-WM:
1. Ducati 407 Punkte (Titelgewinner). 2. Aprilia 242. 3. Yamaha 227. 4. KTM 212. 5. Suzuki 163. 6. Honda 144.

Team-WM:
1. Ducati Lenovo Team 412 Punkte. 2. Aprilia Racing 328. 3. Red Bull KTM Factory 295. 4. Prima Pramac Racing 295. 5. Monster Energy Yamaha 250. 6. Gresini Racing 214. 7. Suzuki Ecstar 214. 8. Mooney VR46 Racing 204. 9. Repsol Honda 160. 10. LCR Honda 96. 11. WithU Yamaha RNF 33. 12. Tech3 KTM Factory 19.

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