Formel 1: Abschied in der Unterhose

MotoGP in THE LINE: Wie ein Märchen aus 1001 Nacht

Von Günther Wiesinger
Am Roten Meer in Saudi-Arabien entsteht eine Modellregion, eine Zukunftsstadt mit 170 km Länge. Baukosten: $ 500 Mrd. In lichter Höhe von 500 Metern soll bis 2027 eine neue GP-Piste für Formel 1 und MotoGP entstehen.

Die spanische Agentur Dorna Sports S.L., die dem Motorrad-Weltverband FIM im Herbst 1991 die kommerziellen Rechte am Motorrad-GP-Sport abkaufte, hat beim Misano-GP 2022 im September eine hochrangige Delegation aus Saudi-Arabien empfangen, weil in diesem arabischen Land im Mittleren Osten so bald wie möglich nach der Dakar-Rallye, der Formel E, Extreme E und dem Formel-1-GP auch ein Motorrad-GP ausgetragen werden soll.

Im Mittleren Osten ist neben der MotoGP auch schon die Superbike-WM, die Endurance-WM und die Motocross-WM aufgetreten, die Road Racing-Serien auf dem Losail Circuit in Doha/Katar, dazu die MXGP-WM, die 2022 auch im Oman auftreten wollte, der Event wurde aber abgesagt.

Motorsport-Anlässe in dieser aufstrebenden Gegend sind besonders im Winter willkommen, auch Radsport-Events, aus klimatischen Gründen. Allein an diesem Wochenende fand das 24-h-Sportwagen-Rennen in Dubai statt und dazu das Finale der Dakar-Rallye in Saudi-Arabien.

2021 ging erstmals ein Formel-1-GP in Saudi-Arabien über die Bühne, seither steht der temporäre Jeddah Corniche Circuit regelmäßig im Kalender. Für die Formel 1 ist das nach Bahrain, Abu Dhabi und Doha bereits das vierte Rennen im Mittleren Osten.

Die MotoGP kam 2004 erstmals nach Katar, ein zweiter Standort in einem Wüstenstaat hat sich nie ergeben. Nur die Abu Dhabi-Betreiber haben die Dorna-Manager einmal zu einer Besichtigung des Yas-Marina-Circuits eingeladen, der aber für die MotoGP nicht taugte – zu gefährlich, zu kleine Sturzräume.

Jetzt will Saudi-Arabien einen MotoGP-Event, doch die Formel-1-Piste Jeddah Corniche Circuit taugt nicht für eine Grade-A-Homologation der FIM. Sie liegt in der Hafenstadt Dschidda (das ist die zweitgrößte Stadt des Landes), erstreckt sich über 6,175 km und weist 27 Kurven auf, es wird bei Flutlicht gefahren.

Und das Projekt in der Zukunftsstadt Neom, bekannt als «THE LINE», wird frühestens 2027 fertiggestellt, zumindest die erste Phase. 

Jedenfalls haben Promoter Dorna Sports und die Saudi Motorsport Company (SMC) beim Misano-GP 2022 eine Absichtserklärung unterschrieben, mit der sie bekräftigten, dass die MotoGP ins Königreich gebracht werden soll.

Aber Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta will nicht bis 2027 warten, die Dollar-Millionen aus dem Königreich Saudi-Arabien sollen schon vorher in der Kasse klingeln.

Deshalb haben die Dorna-Verantwortlichen den Saudis vorgeschlagen, als Zwischenlösung in der Nähe eines existierenden Ballungszentrums eine neue permanente Rennstrecke mit überschaubaren Baukosten von ca. 80 Millionen Euro zu errichten, die vielleicht schon 2024 oder 2025 eingeweiht werden könnte.

Ein MotoGP-Termin in eineinhalb oder zwei Jahren wäre auf einer weniger aufwändigen saudischen Piste keine Illusion, denn die Araber haben die Formel-1-Rennstrecke in neun Monaten fertiggestellt!

«Das Interesse der Saudis ist unglaublich groß», räumte Carmelo Ezpeleta im Gespräch mit SPEEDWEEK.com ein.

Inzwischen existieren auch erste Fakten und Zahlen zum Zukunftsprojekt «THE LINE», die wie ein Märchen aus 1001 Nacht wirken.

Die Stadt «THE LINE» soll eine zivilisatorische Revolution darstellen, vom Meer 170 km auf einer nur 200 Meter schmalen Schneise ins Landesinnere reichen und sich bis zu einer Höhe von 500 Meter erstrecken, nach außen komplett verspiegelt. Keine Straßen, keine Autos, keine Emissionen – die Stadt soll zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden, 95 Prozent des Gebiets soll der Natur erhalten bleiben.

Die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bewohner sollen in diesem gigantischen Komplex aus Glas und Beton im Vordergrund stehen, auch im Transportwesen und bei der Infrastruktur wird alles andere sein als in traditionellen Städten.

In der City von «THE LINE» sollen nach der Fertigstellung neun Millionen Menschen leben, der CO2-Footprint soll nicht der Rede wert sein und Emissionen verursachen wie hierzulande eine 34-Quadratkilometer-Fläche. Die Funktionalität soll alles bisher Dagewesene übertreffen.

Denn die Bewohner von THE LINE sollen alle wichtigen Einrichtungen zu Fuß innerhalb von fünf Minuten erreichen können. Außerdem wird ein unterirdischer Hochgeschwindigkeitszug verkehren, der die 170 km in 20 Minuten durchqueren wird.

«THE LINE wird alle Herausforderungen des Stadtlebens bewältigen und alternative Lebensweisen beleuchten», erklärte Kronprinz Mohammed bin Salman, genannt MBS, zugleich Vorstandsvorsitzender der NEOM Company. «NEOM vereint ein Team mit den hellsten Köpfen in den Bereichen Architektur, Engineering und Bauwesen, die Visionen und Ideen Wirklichkeit werden lassen.»

Die Baukosten für THE LINE wurden mit 500 Milliarden Dollar veranschlagt, für die erste Bauphase wohlgemerkt. Das Projekt ist Teil der «Vision 2030», die das Land unabhängig von fossiler Energie machen soll.

Doch die Saudis planen kurz vor dem Roten Meer nicht nur eine komplett neue, kolossale Stadt mit viel künstlicher Intelligenz und einem schwimmenden Handelshafen sowie einen stattlichen Airport, das mit seinen gekühlten Gärten vorläufig an Science Fiction erinnert, sondern in dieser Modellregion mit der Bezeichnung NEOM soll in 500 Meter Höhe bis 2027 auch eine neue Formel-1-Piste entstehen, die auch für MotoGP-Events homologiert werden kann.

Ein Teil der neuen GP-Rennstrecke soll sich also in lichter Höhe über der Stadt ausdehnen, mit riesigen Sturzräumen und allem, was das Herz begehrt. Angesichts des geplanten Gesamtbudgets von THE LINE nehmen sich die Baukosten für den GP-Circuit bei diesem Mega-Projekt mit ca. 3 Milliarden US-Dollar vergleichsweise preiswert aus.


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