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Aero-Auswüchse: Gut, schlecht oder einfach hässlich?

Kolumne von Michael Scott
Den modernen MotoGP-Bikes wachsen neuerdings nicht nur Dinosaurier-Flügel, sondern auch kuriose Dreiecke am Heck. SPEEDWEEK.com-Kolumnist Michael Scott befasst sich mit der Aero-Entwicklung und Problematik.

Einst war der größte aerodynamische Durchbruch in der Motorrad-WM der maßgeschneiderte Leder-Einteiler von Geoff Duke. Der stylische Champion war damit seinen Rivalen in den flatternden Zweiteilern mit hohem Luftwiderstand ganz klar im Vorteil.

Okay, ein bisschen übertrieben.

Vielleicht ein oder zwei Jahre später traten dann aber vor allem dank des Windkanals von Moto Guzzi erstmals die hübschen Eierschalenverkleidungen auf, die das Vorderrad einschlossen. International übrigens besser als «Dustbin» (Mülleimer) bekannt.

Drei weitere Jahre später war diese Verkleidung aus Sicherheitsgründen auch schon wieder verboten. Während eine vernünftig entwickelte Verkleidung sehr wohl einen großen Fortschritt darstellte, wurden schwache Imitationen von Gewächshäuschen bei Seitenwind als gefährlich eingestuft, außerdem förderten sie das Überhitzen der vorderen (Trommel-)Bremsen.

Fast sieben Jahrzehnte später würden nun einige wieder ein neues Verbot der Aerodynamik befürworten, darunter FIM-Präsident Jorge Viegas. Aus vielfältigen Sicherheitsgründen, darunter – einmal mehr – die Kühlung der Bremsen.

Ein anderer Grund ist die Ästhetik.

Die heutigen MotoGP-Bikes haben sich so weit vom Herkömmlichen entfernt, dass selbst der sklavische Showroom-Designer, der Rennsporttrends in Mode verwandelt, gar nicht erst auf die Idee kommen würde, beispielsweise das absurde Dreieck am Heck der Yamaha (gesehen beim Portimão-Test) oder an den KTM RC16 (seit dem Saisonauftakt im Einsatz) nachzuahmen.

Es gibt ein Argument gegen die bizarren MotoGP-Entwicklungen. Einer der Faktoren, die den Sport für das breite Publikum attraktiv machen, ist die Tatsache, wie ähnlich die Rennmaschinen den hochklassigen Straßenmotorrädern sind (abgesehen von der schieren Power und den super-grippigen Reifen). Andrerseits werden einige vielleicht das Gegenteil behaupten: Dass es ein Vorteil sei, anders auszusehen.

Es gilt wichtigere Fragen zu den Aero-Auswüchsen zu beantworten, mit den jüngsten «Ground effect»-Verkleidungen als Ergänzung zu den Dinosaurier-Flügeln am Heck. Es nimmt langsam exzentrische Züge an.

Dabei waren die Ursprünge der Aerodynamik simpel: Die Suche nach mehr Geschwindigkeit durch weniger Luftwiderstand. Das Aufkommen der Viertakt-Motoren und die verbesserte Effizienz der Einspritzung und Elektronik brachte einen weiteren Faktor mich sich: Die Notwendigkeit einer besseren Kühlung.

Ducati öffnete die Büchse der Pandora

2015 fing es allerdings an, etwas aus dem Ruder zu laufen, im zweiten Jahr eines besonders innovativen Ingenieurs bei Ducati, einem gewissen Gigi Dall’Igna. Die ersten Winglets an der Verkleidung führten ein Downforce-Element ein – zur Bekämpfung der Wheelie-Neigung, damit die Fahrer mehr von ihrer überschüssigen Power zum Beschleunigen nutzen konnten und mehr Last auf den Vorderreifen verlagert wurde, um härteres Bremsen zu ermöglichen.

Während die Rivalen damit beschäftigt waren, Ducati zu kopieren, wurden diese Aufsätze immer größer, immer zahlreicher und immer ausgeklügelter – trotz der Versuche der Regelmacher, diese Flut einzudämmen.

Dem gegenüber standen immer neue Ducati-Innovationen, wie der «Spoon», der viel diskutierte Hinterradflügel an der Schwinge im Jahr 2019. Offiziell sorgte er einzig für eine reifenkühlende Brise, brachte aber sehr wohl auch einen Downforce-Effekt. Nachdem der Protest der Rivalen erfolglos geblieben war, kopierten sie Ducati wieder.

Die Kosten stiegen Hand in Hand mit der Raffinesse der Entwicklungen, mit zunehmenden Stunden im Windkanal und dem Beginn der Verpflichtungen von ehemaligen Formel-1-Aerodynamikern. Insbesondere Ducati und Aprilia fischten bei den Landsleuten von Ferrari. Dass zur Kosteneinsparung nur noch ein «Aero Body»-Update pro Saison erlaubt ist, war nur eine unzureichende Notlösung.

Denn es sollte noch mehr kommen. Ende 2021 experimentierte Ducati mit den «Diffusoren» im unteren Bereich der Seitenverkleidung. Das Ergebnis war bei hoher Schräglage ein «Ground effect», also ein Bodeneffekt, der den Abtrieb (und damit den Grip) verbessert. Ohne die Masse zu erhöhen, presst der beschleunigte Luftstrom das Fahrzeug an den Boden.

Aprilia wählte 2022 eine andere Herangehensweise mit demselben Effekt – bauchige Seitenverkleidungen mit einer langgezogenen Stufe auf halber Höhe, die in Schräglage fast auf dem Asphalt streifen.

Interessanterweise experimentierte Ducati in den Vorsaison-Tests 2023 mit einem ähnlichen Ansatz – zum ersten Mal hatten die Ingenieure aus Borgo Panigale einen anderen Hersteller kopiert. Allerdings entschieden sich nur die Pramac-Ducati-Piloten für diese neue «Ground effect»-Seitenverkleidung, im Werksteam blieb man schließlich bei den «Downwash ducts».

Dinosaurier-Flügel: Zurück in die Zukunft?

Das Design der Verkleidung mag eingeschränkt sein. An der Sitzeinheit sind die Möglichkeiten aber noch groß. So tauchten in der vergangenen Saison sowohl an den Aprilia (kurzzeitig) als auch an den Ducati (dauerhaft) Heckflügel auf – besser bekannt als Pokémon- oder Dinosaurier-Flügel. Vordergründig sorgen sie für zusätzlichen Abtrieb, um das Heck in der Bremsphase zu stabilisieren. Weniger offensichtlich ist, dass sie nebenbei auch die Luft hinter dem Motorrad verwirbeln («dirty air»), was das Windschattenfahren für nachfolgende Piloten noch schwieriger macht.

Bis zum Start dieses Jahres wagten alle Hersteller zumindest ein Experiment mit ähnlichen Aufsätzen, womit wir wieder bei den bereits erwähnten Dreiecken von Yamaha und KTM sind.

Der negative Effekt auf den Rennsport: Das Überholen ist schwierig, nicht nur wegen der Probleme im Windschatten. Die verwirbelte Luft ist auch weniger wirksam, um den Vorderreifen des nachfolgenden Fahrers zu kühlen, der wegen der harten Bremsmanöver ohnehin schon stark belastet wird. Statt den Gegner dauerhaft unter Druck zu sehen, müssen sich die attackierenden Fahrer mitunter zurückfallen lassen, damit der Vorderreifen sich wieder erholen kann.

Zur gleichen Zeit machte eine weitere Innovation die gesamte Gleichung noch komplizierter: Das Ride Height Device, das das Heck bei Aktivierung absenkt, verringert den Anströmwinkel – also weniger Luftwiderstand, mehr Top-Speed. Umgekehrt erlaubt es – bei normaler Fahrhöhe – einen größeren Anströmwinkel für mehr Abtrieb in der Bremsphase.

Wie relevant ist das für Motorradfahrer auf der Straße? Eigentlich gar nicht.

Die Rennsport-Ingenieurskunst ist mittlerweile zu ausgeklügelt, um die Produktion zu verbessern. Wir können aber davon ausgehen, dass zumindest Informationen gesammelt werden. Aber was nützt das, wenn diese Informationen irrelevant sind?

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