Pol Espargaró: «Ich habe vor Schmerzen geweint»
Pol Espargaró hat nach seinem schweren Sturz am 24. März im FP2 beim Portimão-GP einen unbeschreiblichen Leidensweg durchgemacht und Entbehrungen auf sich genommen, die man seinem ärgsten Feind nicht wünscht. Der 32-jährige Spanier galt schon immer als unerbittlicher Trainierer und Konditionswunder.
Aber mit welch eisernem Willen und mit welch beispielhafter Leidenschaft der GASGAS-Tech3-Werksfahrer jetzt an seinem Comeback geschuftet hat, sprengt jede Vorstellungskraft.
Wenn die Ärzte am Dienstag (13. Juni) in Spanien mit einer Woche Verspätung grünes Licht geben, wird sich Pol Espargaró am Freitag auf dem Sachsenring genau zwölf Wochen nach dem verhängnisvollen FP2-Crash von Portimão wieder in den Sattel schwingen. «Wenn ich endlich wieder aufs Motorrad springen und dieses Biest fahren kann, wird es ein fantastisches Gefühl sein», freut sich der Moto2-Weltmeister von 2013.
Mit einem Superbike ist Espargaró auf dem MotorLand Aragón vor zehn Tagen bereits wieder auf die Rennstrecke zurückgekehrt. Er fühlte sich danach bereit für ein Comeback in Mugello. Doch MotoGP Medical Director Dr. Ángel Charte riet ihm, noch eine Woche zu warten.
Pol hat mühselige Wochen mit starken Schmerzen und heftigen Tiefschlägen hinter sich. Denn er hat einen Kieferbruch erlitten, drei Rückenwirbelbrüche, ein Verletzung am Ohr, die operiert werden musste, eine Lungenquetschung, zwei Rippenbrüche und einen Bruch an der rechten Hand. Dazu kommen Probleme mit eingeschlafenen Nerven und lädierten Muskeln.
«Vier Tage nach dem Sturz hat mir eine Ärztin prophezeit, sie müssten die drei Rückenwirbel mit Platten und Schrauben stabilisieren, eine Rückkehr auf die Rennstrecke sei vor September nicht denkbar», verriet Espargaró heute im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com.
Pol Espargaró verbringt momentan täglich vier Stunden in einer hyperbaren Sauerstoffkammer («hyperbaric chamber»). Durch hyperbare Sauerstofftechnik in dieser Überdruckkammer wird die Regeneration und Genesung schneller wirksam, indem reiner Sauerstoff eingeatmet wird.
Pol, in der Woche nach dem Sturz ist dein Unterkiefer operiert worden; der Kiefer wurde dann im geschlossenen Zustand arretiert. Du konntest also einen Monat lang nicht reden und nichts essen. Das hört sich nach unvorstellbaren Qualen an.
Ja, es war hart. Denn ich konnte deshalb auch nicht trainieren. Ich konnte nicht einmal ein Ausdauertraining machen, also nicht Radfahren oder laufen, weil ich nicht atmen konnte. Sobald der Puls hochging, bin ich gestorben.
Also habe ich probiert, etwas Muskeltraining zu machen. Aber auch das war mühsam, weil ich ja nicht essen konnte, und sobald ich trainiert habe, habe ich noch mehr Gewicht verloren. Insgesamt habe ich in den vier Wochen mit dem versperrten Kiefer 8,7 kg verloren.
Ich sollte also trainieren, aber das hatte zur Folge, dass ich noch mehr Gewicht verloren habe. Das war eine sehr, sehr schwierige Phase. Ich hatte plötzlich nur noch 59 kg – so viel wie vor 15 Jahren in der 125er-WM.
Du hast dich vier Wochen nur flüssig ernähren können. Was konntest du da zu dir nehmen?
Nur Suppen. Aber gehaltvolle Suppen.
Am 24. April, das war der Montag vor dem Jerez-GP, wurde dein Kiefer wieder entriegelt. Das war vermutlich wieder schmerzvoll. Es waren ja auch einige Zähne beschädigt.
Ja, die Zähne haben mir Schmerzen verursacht, denn einige sind gebrochen. Ich muss sie in einigen Monaten ersetzen lassen. Aber ich muss ca. sechs Monate warten. Erst dann wissen wir, ob der Nerv darunter abstirbt oder nicht. Wenn das so ist, müssen einige Zähne durch Implantate ersetzt werden.
Es war auch ein Problem, dass ich die Kiefermuskeln erst wieder trainieren konnte, als ich den Mund wieder öffnen konnte.
Man hat normalweise sehr starke Kiefermuskeln, aber bei mir haben sie in den vier Wochen der Untätigkeit fast die gesamte Beweglichkeit und Kraft verloren. Um den Mund wieder aufmachen zu können und die Muskeln wieder in Schwung zu bringen, habe ich arg gelitten. Ich bin zweimal pro Woche zu einem speziellen Physiotherapeut gegangen. Diese Behandlungen haben höllische Schmerzen verursacht.
Ich habe vor Schmerzen geweint. Aber ich musste das durchstehen, um wieder essen und beissen zu können. Ich konnte mir ja nicht viel Zeit lassen. Ich musste essen, um mein Gewicht wieder aufzupäppeln.
Vermutlich hat sogar das Küssen deiner Frau Carlota weh getan?
(Er lacht herzlich). Ja, es schmerzt immer noch! Aber sie war großartig. Carlota hat mich in dieser schwierigen Phase sehr, sehr tapfer unterstützt.
Es war auch deine Lunge beschädigt. Wie hat sich das ausgewirkt, als du wieder richtig trainiert hast?
Ja, ich war mit verschiedenen Problemen konfrontiert, als ich das Training wieder aufgenommen habe. Das größte Problem waren die Nerven im Nacken, die ins Schulterblatt führen. Sie waren sehr stark beschädigt.
Als ich wieder trainiert habe, sind meine Hände in eine Art Panikmodus verfallen. Meine Hände haben zu zittern begonnen; ich konnte nach dem Training nicht einmal ein Wasserglas halten. Ich musste deshalb eine Woche pausieren und wieder von vorne beginnen. Nachher habe ich die Pause auf drei Tage reduziert.
Dieses Nervenproblem ist eine sehr eigenartige Angelegenheit. Sehr merkwürdig. Ich habe im Nacken außerdem einen kleinen Muskel verloren. Er soll sich irgendwann erholen, aber vorläufig ist er eingeschlafen. Er hat nicht sehr vielfältige Aufgaben. Dazu kommt: Die Fraktur an der Hand verursacht mir immer noch Schmerzen.
Beim Aufprall in die Airfences in Portimão sind einige Nerven demoliert worden. Deshalb sind sie bisher lahm; das ist der schlimmste Teil. Ja, ich habe eine Menge Verletzungen davon getragen.