MotoGP: VR46-Team ist nicht einverstanden

Fesselnder WM-Kampf 2023: Köpfchen gegen Muskelkraft?

Kolumne von Michael Scott
In dieser Woche beginnt in Sepang der MotoGP-Endspurt 2023 mit den letzten drei Grands Prix. SPEEDWEEK.com-Kolumnist Michael Scott wirft einen prüfenden Blick auf die Titelanwärter Pecco Bagnaia und Jorge Martin.

Wer auch immer sich den Kalender für die zweite Saisonhälfte ausgedacht hat, sollte sich kurz durchchecken lassen. Wobei dafür eigentlich keine Zeit bleibt, mit den finalen sechs Grands Prix, die in sieben Wochen gedrängt sind.

Und trotz der Schattenseiten – angefangen bei Jetlag und Müdigkeit und damit potentiellen Gefahrenquellen für unkonzentrierte Mechaniker oder überlastete Fahrer, ganz zu schweigen von den Familienangehörigen, die zu Hause zurückbleiben – haben diese speziellen Umstände doch ihr Gutes: Der Jahreshöhepunkt könnte spannender kaum sein.

Abgesehen von der Moto2 (ist «MotoSchnarch» übertrieben?) hängen sowohl der Ausgang der «premier class» als auch der Moto3-WM völlig in der Schwebe. Das einzige rennfreie Wochenende dieses intensiven Endspurts gab uns Zeit, ein wenig Luft zu schnappen und eine Zwischenbilanz zu ziehen (und eine Menge Flugmeilen zu sammeln, wenn man von Thailand nach Hause geflogen ist, nur um gleich wieder in Richtung Malaysia aufzubrechen).

Der WM-Kampf in der Königsklasse MotoGP ist faszinierend. Titelverteidiger Pecco Bagnaia gegen den Herausforderer Jorge Martin, der innerlich auf Revanche brennt, weil ihm bei der Besetzung des roten Ducati-Lenovo-Werksteams im Vorjahr der in dieser Saison von Verletzungen geplagte Enea Bastianini vorgezogen wurde.

Ein robuster Verteidiger gegen einen aufmüpfigen Angreifer. Ein Italiener gegen einen Spanier. Das macht Lust auf mehr.

Martin ist zweifelsohne der schnellere Fahrer auf der einen Runde und über die kürzere Sprint-Distanz (er hält bei sieben Sprint-Siegen im Vergleich zu Bagnaias vier). Dann aber kam der taktische Fehler des Pramac-Ducati-Piloten (und ein Rennen, das eine Runde zu lang dauerte), was ihm einen wichtigen Sieg in Australien raubte. Weil dem schon ein Rennsturz in Indonesien vorausgegangen war, als Martin das Rennen mit drei Sekunden Vorsprung anführte, sprechen einige schon vom Kampf Köpfchen gegen Muskelkraft.

Das ist etwas Wahres dran. Aus meiner Sicht ist diese Darstellung aber zu sehr vereinfacht.

Bagnaia und Martin im Vergleich

Der schlaue Bagnaia macht auch Fehler – fünf Stürze in den GP-Rennen zum Beispiel, im Vergleich dazu waren es bei Martin nur deren zwei. Und die wichtigste taktische Fähigkeit des explosiven Martin mag zwar darin bestehen, an der Spitze von Anfang an Druck zu machen, um dem Feld nach Möglichkeit zu entfliehen. Es ist aber immer noch eine wirksame Methode, mit der er seine Stärken ausspielt. Jedenfalls wirksam genug, um drei Rennwochenenden vor Schluss nur 13 Punkte hinter dem WM-Leader zurückzuliegen – und bis zu 111 Punkte sind ja noch zu holen.

Die zwei Titelrivalen haben aber auch viel gemeinsam.

Pecco, der ein Jahr älter ist (fast genau – er wurde am 14. Januar 1997 geboren, Martin ein Jahr und 15 Tage später), kann auch auf zwei Jahre GP-Erfahrung und zwei MotoGP-Saisons mehr zählen.

Davon abgesehen gibt es aber einige Parallelen in ihren Karrierewegen, die sich bei Mahindra kreuzten, als sie 2015 und 2016 bei Aspar Moto3-Teamkollegen waren. Beide holten einen WM-Titel in einer kleineren Klasse (Martin 2018 in der Moto3, Bagnaia ebenfalls 2018 in der Moto2). Beide schafften in diesen Klassen zehn GP-Siege.

In der MotoGP sammelte Bagnaia in fünf Jahren 17 Pole-Positions an, Martin kommt in drei Jahren bereits auf die beeindruckende Zahl von 13. Dafür gibt es natürlich keine Punkte, aber Selbstvertrauen.

Wenn es um die Rennsiege geht, liegt der Vorteil bei Pecco: Bei 83 MotoGP-Starts gelangen ihm 17 Siege, das entspricht einer Quote von 20,48 Prozent. Nimmt man alle Klassen mit, sinkt die Quote auf 14 Prozent. Damit liegt er aber immer noch vorne. Martin erreicht mit seinen fünf MotoGP-Siegen bei 51 Starts eine Erfolgsquote von 9,80 Prozent. Über alle Klassen liegt er knapp über der 10-Prozent-Marke.

Bevor wir uns aber von der Mathematik dazu verleiten lassen, Pecco in die Favoritenrolle zu drängen, dürfen wir auch den menschlichen Faktor nicht vernachlässigen. Es ist eine Frage der Form. Und es muss gesagt werden, dass sich wohl beide in der bisher besten Form ihres Lebens befinden.

Das beschert uns diesen faszinierenden Fight, der sehr ausgewogen ist.

Wer gewinnt?

Der größte Gewinner ist immer Ducati. Die vierte Konstrukteurs-Krone in Folge ist bereits fixiert, in der Team-Wertung (mit Prima Pramac Racing in der besten Position) ist es nur noch eine Frage der Zeit und die erfolgreiche Verteidigung des Fahrertitels ist seit dem Thailand-GP Tatsache.

Oder sind die Fans die großen Gewinner?

In der ultraengen Moto3, die den gebannten Zuschauern das Herz regelmäßig in die Hose rutschen lässt, ist die Ausgangslage vor den letzten drei Rennen genauso offen. Bei bisher sieben unterschiedlichen Siegern beträgt der Vorsprung von WM-Leader Jaume Masia auf Ayumu Sasaki (interessanterweise noch ohne Sieg in der laufenden Saison) 17 Punkte.

Weitere acht Punkte dahinter lauern zwei weitere Kandidaten: David Alonso, die Rookie-Sensation mit mittlerweile vier GP-Siegen, und Daniel Holgado. Beides Teenager und damit der Beweis dafür, dass viel mehr Talent nachrückt, als in den Ruhestand geht – was der Serie eine glänzende Zukunft bescheren sollte.

Überstrapazierter Kalender hin oder her, 2023 hat da Zeug, als echter Klassiker in die Geschichtsbücher einzugehen.

Schwer vorstellbar, dass zwei weitere Grands Prix und noch mehr zermürbende Reisen es im nächsten Jahr noch besser machen könnten.

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