Alex Hofmann: Die große Sepang-Analyse, Teil 1
Ducati hat den Sepang-Test souverän an der Spitze beendet. Haben die Roten wieder etwas spektakulär Neues gefunden, oder sind sie bloß nicht stehen geblieben?
Sie haben sich in den letzten Jahren einfach die beste Basis erarbeitet und an der im Winter konsequent weitergearbeitet. Die Saison ging bis Ende November, da darf man sich bis Anfang Februar keine Revolutionen erwarten. Beim Sepang-Test wurde das Kräfteverhältnis von Ende letzten Jahres mehr oder weniger bestätigt.
Und die 1:56er-Zeiten…
…sollte man meines Erachtens nicht überbewerten. Sagen wir so: Es waren perfekte Bedingungen. Während des gesamten Tests hats nie geregnet, die track evolution wurde nie gestört. Außerdem hat ein Teil der Strecke neuen Asphalt. Es war nicht reine technische Entwicklung, die für heißere Zeiten gesorgt hat. Aber ja: Das gesamte Feld hat einen Schritt nach vorne gemacht, nicht nur Ducati. Alle Hersteller haben persönliche Bestzeiten aufgestellt.
Luca Marini meinte, relativ gesehen habe Honda den größten Schritt gemacht. Stimmst du zu?
Die Rundenzeiten waren besser, als man erwarten konnte. Joan Mir hat sich den richtigen Reifen sicher zum optimalen Moment gegönnt und dann die Augen zugemacht. Entscheidender meines Erachtens: Viele Fahrer sind Sprint-Simulationen gefahren. Da muss man sich die Mühe machen, sich die Zeiten rauszusuchen und direkt vergleichen. Auf die trockene Runde gesehen waren die Honda-Zeiten okay, aber das kennen wir ja schon von Marc Márquez im letzten Jahr. Der hat auch immer wieder eine rausgehauen.
Die Longrun-Rundenzeiten von Mir lagen jeweils um 3 bis 5 Zehntel pro Runde über jenen der Ducatis.
Das ist eine Welt! Und da bewegst du dich noch nicht mal im Pulk. Bei den Sprint-Simulationen in Sepang konnten die Hondas ihre potenziellen Stärken nutzen. Im Rennen werden sie auf den Geraden tendenziell geschnupft werden. Eine halbe Sekunde pro Runde ist in der aktuellen MotoGP eine Welt.
Bei KTM spürt man eine Art stillen Optimismus. Stimmst du zu?
Wenn Rookie Pedro Acosta des Weges kommt und bis auf zwei kleine Absitzer fehlerfrei solche Zeiten fahren kann, oder bei Longruns auf Augenhöhe mit Brad Binder liegt, dann ist das schon eine klare Ansage dafür, dass das Paket sehr gut funktioniert. Sepang ist keine einfache Rennstrecke, im Gegenteil. Hier diese Leistung zu zeigen beweist, wie gut er sich schon eingeschossen hat. Seine Lernphase ist wie immer sehr kurz. Er ist ein leerer Schwamm, der alles aufsaugt. Pedro ist ein gutes Beispiel dafür, wie KTM mit Konstanz probiert, Ducati die Stirn zu bieten.
Jack Miller ist aufgefallen, dass alle vier Fahrer ähnliches Feedback geben.
Das ist schon mal gut. KTM ist endlich an einen Punkt gekommen, dass sie in allen Bereichen eine klare Linie erarbeitet haben. Die letzten Jahre waren immer noch geprägt von großen Umwälzungen. Neue Rahmen, große Aero-Änderungen und so weiter. Jetzt haben sie ihr System gefunden: Das ist die Schwingen-Konstruktion, das ist der Motor. So bringst du die Fahrer weniger durcheinander. Dementsprechend werden die Aussagen stringenter, und einzelne Fahrer machen nur noch kleine Schritte nach links oder rechts weg von der Grundlinie. Das Paket ist das beste, das sie je hatten in der MotoGP. Wichtig: Dieses Niveau können sie jetzt überall abrufen. Von der Phase der Revolutionen geht es jetzt in die Evolution. Es ist unglaublich, wie sich die RC16 weiterentwickelt hat, wenn man frühere Stufen ansieht.
Wenn auch ein Rookie mit der RC16 so gut zurechtkommt: Ist sie dann vielleicht zu einfach zu fahren und zu wenig Rennmaschine?
Oder es ist ein super Motorrad, auf dem ein verdammt guter Rookie sitzt! Im Kopf von Augusto Fernández ist Pedro Acosta jedenfalls bereits angekommen. Man kennt einander aus der Moto2. Für Augusto, der ein wahnsinnig toller Typ ist, stellt das schon eine Nummer dar, die Pedro hier abgezogen hat. Jack Miller wird es ähnlich gehen, und Brad Binder wird auch beginnen, sich Gedanken zu machen. Die Ankunft von Pedro ist ein Weckruf für alle anderen Fahrer im Feld! Endlich hat es KTM mal geschafft, einen Piloten der allerhöchsten Talent-Stufe zu halten und nicht an die Konkurrenz zu verlieren wie einst Jorge Martín.
Martín startete einst als Überflieger in die MotoGP und hatte prompt seinen großen Unfall in Portugal. Zeigt das nicht, dass man selbst von Supertalenten im ersten Jahr keine Wunder erwarten darf?
Absolut richtig. Das Wichtigste ist, dass ihm sein Team und sein gesamtes Umfeld im ersten Jahr ein wenig die Handbremse anzieht. Das Talent schont im Wissen, dass mit der Erfahrung die Blüte erst so richtig aufgeht. Null Druck macht und versucht, den Jorge-Martín-Moment in Portimão zu vermeiden, auf den die Verletztenbank folgt. 2024 soll er Daten und Erfahrungen sammeln, die ihm für den Tag X nutzen werden. Man muss ihn vorsichtig leiten und die große Perspektive zeigen, denn im Tagesgeschäft machen sich diese Jungs selbst genug Druck, gerade ein Pedro Acosta. Schnell ist der von ganz allein. Er darf sich nicht vom Moment mitreißen lassen, sondern auch mal durch Q1 gehen und die paar Runden mitnehmen, ohne in Stress zu verfallen.
Wann kommt der Tag X für ihn?
Wenn KTM und er gemeinsam wachsen, dann sehe ich ihn in zwei, drei Jahren hundertprozentig dort, dass er Rennen für Rennen um Podien fährt.